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Geisterfahrer unterwegs

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Regieren ohne Haltung führt dazu, dass die Energiepolitik mit Wumms gegen die Wand kracht.


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Wenn einem auf der Autobahn auf der eigenen Richtungsfahrbahn ununterbrochen Autos entgegenkommen, kann man sich über die vielen Geisterfahrer wundern, die da unterwegs sind. Es dürfte sich freilich schwierig gestalten, diesen Standpunkt auch der Polizei glaubhaft zu machen. Die deutsche - und in diesem Falle auch die österreichische - Energiepolitik ist derzeit in genau dieser Situation. Während weltweit erkannt wird, dass Atomstrom eine notwendige Bedingung des Ausstiegs aus der Stromerzeugung mit Kohle und Gas ist, beharren die beiden deutschsprachigen Länder darauf, unbeirrt auf der falschen Spur weiterzurasen. Deutschland, so hat es der bekannte deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn dieser Tage formuliert, sei "ein Geisterfahrer", die im Nachgang zur Fukushima-Katastrophe getroffene Entscheidung, alle deutschen AKW vom Netz zu nehmen, sei "ein Fehler" gewesen.

Das Problem dabei: Auch 2021 findet sich kein Politiker von Gewicht, der in Berlin oder Wien diesen Fehler klar benennt und sich dafür einsetzt, ihn zu beheben. Vor allem die FDP, der man dergleichen noch am ehesten zutrauen würde, aber auch die früher einmal wirtschaftsfreundliche CDU wagt sich da nicht aus der Deckung, obwohl auch führende Politiker unter der Hand konzedieren, was evident ist: dass Deutschland einen Ausstieg aus dem Ausstieg braucht - und in der Folge zumindest jene sechs Atommeiler, die noch bis Ende 2022 im Betrieb sind und dann vom Netz genommen werden, darüber hinaus weiterlaufen könnten, was eine Reduktion des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes um ein Zehntel ermöglichen würde.

In gewisser Weise ist hier ein Politikversagen zu konstatieren, das uns auch in anderen Zusammenhängen immer öfter begegnet: dass Politiker nicht das, was sie für richtig erachten, klar und deutlich vertreten in der Hoffnung, für diese Ziele Mehrheiten organisieren zu können; sondern umgekehrt herauszufinden trachten, welche Ziele denn mehrheitsfähig sein könnten, um sie sich in der Folge zu eigen zu machen. Zur Perfektion entwickelt hat dieses umfragegetriebene Regieren die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, aber auch Österreichs nachmaliger Kanzler Sebastian Kurz bediente sich dessen in hohem Maße (ganz anders übrigens als einst Wolfgang Schüssel).

Diese Methode ist auf der einen Seite zwar hilfreich, um Mehrheiten zu organisieren und damit den Machterhalt zu sichern - sie hat aber den kleinen Nachteil, viele Entscheidungen als Folge einer Gefühlslage und nicht faktenbasiert zu treffen. Die Atomkraft ist ein besonders typisches Beispiel. Denn die Fakten - von der großen Sicherheit moderner Reaktoren über die etwa in Finnland bereits gelöste Endlagerfrage bis hin zur Klimafreundlichkeit dieser Form der Stromerzeugung - sprechen heute weitgehend dafür. Das hilft nur nichts, wenn eine in diesen Dingen unterinformierte, aber überemotionalisierte Öffentlichkeit in Panikattacken verfällt, sobald jemand nur das Wort Atom ausspricht - und weit und breit kein Politiker in Sicht ist, der Klartext spricht.