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Gekommen, um die Welt zu retten

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

Apple: Warum 2010 schließlich fast wie "1984" wurde. | "Gestapo" und Hausdurchsuchung.


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San Francisco/Wien. Der Kinosaal ist dunkel. Auf der Leinwand indoktriniert das überdimensionale Gesicht eines Diktators das Volk, das regungslos und in blau/schwarz/weiß Optik auf den Stühlen sitzt. Alle sehen gleich aus, alle sind gleich geschaltet, sie haben keine Wahl. Es herrscht die Atmosphäre der Dystopie "Metropolis". Auf einmal stürmt eine blonde Frau mit kurzen roten Hosen in den Saal und schmettert einen riesigen Hammer gegen den Bildschirm, der explodiert - das Volk wacht auf. Dann läuft der Slogan: "Am 24. Jänner wird Apple Computer den Macintosh präsentieren. Und du wirst sehen, weshalb 1984 nicht wie 1984 sein wird".

Dieser Werbefilm, in dem die "Big-Brother-Diktatur" von George Orwells Roman "1984" zitiert wurde, ging in die Geschichte ein, auch wenn er im Fernsehen nur einmal (zwei Tage vor der Präsentation) gezeigt wurde. Unter Werbern gilt er als kaum zu erreichendes Ideal (auch wenn die Erben von Orwell damals erfolgreich mit einer Unterlassungsklage drohten): Die Botschaft ist einzementiert worden: Apple rettet die Welt. Insbesondere vor der Gleichschaltung und Alternativenlosigkeit. Im Besonderen ist Apple angetreten, um die IT-Welt vor dem Giganten IBM zu retten, der quasi Monopolist für die Herstellung von Personal Computers. (Microsoft war damals ein kleiner Fisch und entwickelte als Auftragnehmer MS DOS für IBM.)

Dann kamen die Personal Computers von Apple, einem Unternehmen, in dessen Büros die Piratenflagge hing. "Es ist besser bei den Piraten zu sein, als bei der Marine", hieß es damals von Steve Jobs.

Task Force Spionage

Doch die Zeiten haben sich geändert. Nicht nur die Konkurrenz, sondern auch Blogger werden mit Klagen eingedeckt oder ein ganzer Buchverlag (nach einer nicht-autorisierten Jobs-Biografie) aus den Shops verbannt.

Im Frühling 2010 eröffnete Apple ein neues Kapitel. Einer der Programmierer feierte seinen 27. Geburtstag in einem Biergarten in Palo Alto. "Ich habe unterschätzt, wie gut deutsches Bier ist", tippte er damals in sein Handy, das als iPhone 3GS getarnt war. Doch in Wahrheit handelte es sich um den Prototyp des iPhone 4 - ein Produkt, auf das die Tech-Welt, die Apple-Jünger und die Aktionäre mit angehaltenem Atem gewartet haben.

Der Programmierer ließ das Handy gedankenlos aus den Augen. Ein weiterer Gast schnappte es sich.

So entstand ein Riss im Sicherheitsimperium um Apple. Ein Konzern, der für seine Paranoia bekannt war. 2009 erzählte ein angeblicher Ex-Mitarbeiter sogar von der (von der intern sogenannten) "Apple-Gestapo", offizieller Name "World Wide Loyality Team". Mitarbeiter, die dafür angestellt sind, Kollegen auszuspionieren und ihre Handys und Computer zu checken. Eine Task Force, die direkt Steve Jobs und dem Finanzverantwortlichen rapportiert. Berichte über die Paranoia von Apple und den strengen Sicherheitsvorkehrungen gibt und gab es immer wieder.

Der iPhone-4-Prototyp ist damals über dunkle Kanäle (angeblich hat der Finder es dem Tech-Blogger angeboten) für 5000 US-Dollar an den Betreiber des in den USA sehr bekannten Gadget-Guide "Gizmodo" gegangen.

Der hat es in einem Video auseinander genommen und den Besuchern seiner Seite vorgestellt.

Kurz darauf stürmte ein Einsatz-Team der kalifornischen Polizei mit Durchsuchungsbefehl das Haus des Bloggers (knackte in seiner Abwesenheit die Tür auf) und konfiszierte Computer sowie Server. Das war so unerwartet, dass Apple mit dieser Aktion tagelang in den Schlagzeilen blieb.

Der in den USA sehr bekannte Entertainer Jon Stewart kanalisierte damals in seiner Sendung die Gefühle der ganzen Apple-enttäuschten Generation. Stewart ließ sich schluchzend am Schreibtisch filmen: "Ich liebe eure Produkte!", schrie er, "Ich will sie alle haben!", "Ich kaufe sie seit der ersten Stunde!" Theatralisch bricht Stewart zusammen. "Steve Jobs, kannst du dich noch daran erinnern, als du uns damals vor 1984 retten wolltest? Schau in den Spiegel, was ist nur aus dir geworden!"

Sollten jetzt tatsächlich die Uncoolen (nämlich inzwischen Microsoft) die Guten werden?

Nachdem IBM aus dem Weg geräumt wurde, hat Apple lange Zeit versucht, die Microsoft-User zu Apple zu bekehren. Einen Kultstatus haben jene Werbefilme erlangt, in denen jeweils ein Mac und ein PC in Gestalt eines jungen dynamischen Mann und eines alten, fetten Bürohengstes sich gegenüber stehen. Nachdem der PC erläutert, was er alles könne, erklärt der Apple-Mann, dass ein Mac das alles und noch viel mehr und viel besser könne, jünger und dynamischer sei.

Doch was "besser" ist, wird im angebrochenen 21. Jahrhundert von den Konsumenten oft auch am sozialen Gewissen eines Konzerns gemessen.

Jobs hat sich auch bisher weniger spendabel gezeigt als Microsoft-Gründer Bill Gates, der nach seinem Rückzug aus dem Unternehmen sofort mit der Bill-und-Melinda-Gates-Foundation die größte Privat-Stiftung der Welt eröffnete und sich der Entwicklungshilfe widmet.

Man darf gespannt sein, was Steve Jobs nun als Präsident des Verwaltungsrates tut. Erst vor wenigen Tagen hatte Apple mit einem Börsenwert von 346 Milliarden Dollar den Ölkonzern Exxon als wertvollstes Unternehmen der Welt vom Thron gestoßen. Nach dem Jobs-Rückzug befinden sich die Apple-Aktien auf Talfahrt. Ob Nachfolger Cook das Unternehmen ähnlich erfolgreich führen wird, bezweifeln die Anleger.