Cristiano Ronaldo hat den Fußball zur Einzelsportart umdefiniert. Sein vermutlich größter Erfolg passiert ohne sein Zutun.
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Die Tränen sind die Klammer bei Cristiano Ronaldo. Tränen 2004, nach dem verlorenen EM-Finale, Tränen 2016, diesmal sogar besonders viele. Nach der Verletzung, der Auswechslung, nach dem 1:0, und dann natürlich, als der letzte Pfiff dieses Turniers Portugal zum Europameister machte. Man kann nicht wirklich behaupten, dass Ronaldo seine bemerkenswerte Karriere an diesem Sonntag in Paris gekrönt hat, dazu kam seine Verletzung im Endspiel viel zu früh, bei der allerersten Ballberührung. Vielmehr wurde seine Laufbahn gekrönt, von seinen Mitspielern, was man als zynische Volte seiner Biografie verstehen kann.
Zwischen diesem unglückseligen 0:1 gegen Griechenland 2004 und dem überraschenden und durchaus glücklichen Triumph 2016 (Dritter in der Gruppenphase; nur ein Sieg nach 90 Minuten in sieben Partien) lagen 18 Titel, die Ronaldo auf Klubebene geholt hatte. Das ist auch die Parallele zu Ronaldos Nemesis, Lionel Messi. Der Argentinier hat sogar 28 Titel mit dem FC Barcelona gewonnen, aber keinen mit dem Nationalteam. Erst vor wenigen Wochen hatte Messi im Finale der Südamerika-Meisterschaft seinen Elfer im Penaltyschießen gegen Chile verschossen, Argentinien verlor.
Noch nie haben zwei Spieler die Fußballwelt so dominiert wie Ronaldo und Messi, nicht über einen so langen Zeitraum. Seit acht Jahren wechseln sie einander bei der Wahl des Weltfußballers auf den ersten beiden Rängen ab, nur einmal konnte Andrés Iniesta Zweiter werden. Seit 2008 haben es auch nur zwei Spieler geschafft, Messi oder Ronaldo den jährlich verliehenen Goldenen Schuh für den besten Torjäger auszuziehen: die beiden Uruguayer Diego Forlán (2009) und heuer Luis Suárez.
Messi und Ronaldo haben den Fußball scheinbar zur Einzelsportart umdefiniert, wobei Ronaldo im Gegensatz zu Messi auch im Verdacht steht, dass er genau das bezwecken will. Der Vorwurf: Ihm seien persönliche Auszeichnungen in Wahrheit wichtiger als Erfolge mit seinem Team. Er wolle nicht gewinnen, sondern der Beste sein. Das ist ein feiner Unterschied. Die tendenziell egomanische Selbstinszenierung, darunter ein Kinofilm über sich selbst, ist ein Argument für diese These, eher nicht dagegen.
Und doch lässt sich der Fußball eben nicht auf das Genie eines Einzelnen reduzieren, wie sich bei den Nationalteams von Argentinien und Portugal seit Jahren zeigt. Ronaldo und Messi haben zwar das Niveau ihrer Mannschaften gehoben, gleichzeitig aber deren Entwicklung durch die Fokussierung auf ihre Person auch behindert. Zu sehr stand im Vordergrund, Team und Taktik so zu organisieren, dass die beiden Stars ihre Stärken ausspielen können. Das ist zwar naheliegend, doch andere Mannschaften erwiesen sich eben als viel ausbalancierter und mannschaftlich stärker als Portugal und Argentinien. Eigentlich auch bei dieser EM.
Es ist natürlich nur ein Gedankenspiel, doch war die Verletzung von Ronaldo am Ende ein Glücksfall für Portugal? Unmittelbar nach seiner Auswechslung schien jedenfalls für kurze Zeit eine Art Trotzreaktion einzusetzen, während Frankreich auf einmal verunsichert schien. Und wer weiß, ob Éder überhaupt eingewechselt worden wäre, hätte Ronaldo noch gespielt. Dass am Ende elf andere den Titel holten und Éder mit einer Einzelleistung zum Held wurde, muss sich für Ronaldo fast nach narzisstischer Kränkung anfühlen. Wenn die Vorwürfe stimmen. Tatsächlich haben TV-Aufnahmen in Spanien einmal für einen kleinen Skandal gesorgt, weil sich Ronaldo bei einem Treffer von Real Madrid zu ärgern schien, dass er das Tor nicht geschossen hatte. Davon war in Paris nichts zu sehen. Ronaldo schien ehrlich aufgelöst, vielleicht hat er rechtzeitig seinen Frieden damit gemacht, dass er Großes erreichen kann, selbst wenn er nicht aktiv daran beteiligt ist.