Zum Hauptinhalt springen

Gelassen gegenüber den Protesten

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Nur wenige Hundert Menschen protestieren gegen die dritte Amtszeit Orbáns. Seine Macht gilt als mehr als gefestigt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Budapest. Angekündigt waren große Demonstrationen. Die Bürgerrechtsorganisation TASZ hatte sogar gegen die Polizei vor Gericht das Recht erstritten, vor dem Parlament eine Menschenkette zu organisieren, während dort am Dienstag die von Viktor Orbáns Partei Fidesz dominierte Volksvertretung zur konstituierenden Sitzung zusammentrat.

Und dann das: Es kamen nur ein paar hundert Demonstranten. Für eine Menschenkette, die das Gebäude hätte umzingeln sollen, reichte es nicht. Die extrem rechte Oppositionspartei Jobbik hatte eigentlich die Sperrgitter der Polizei umstürzen wollen. Doch die Sicherheitskräfte verzichteten kurz entschlossen auf diese Barrieren und schlugen damit den Opponenten die Waffe aus der Hand.

So sah Ungarn einen Monat nach der Parlamentswahl aus, die Orbán zum dritten Mal in Folge die parlamentarische Zweidrittelmehrheit gebracht hat. Während draußen eine deprimierte Truppe von Orbán-Gegnern immer wieder die Parole "Landesverräter" rief, schlug drinnen Staatspräsident János Áder erwartungsgemäß dem Parlament Viktor Orbán als Kandidaten für das Ministerpräsidentenamt vor.

Fidesz mit 133 der 199 Mandate

Orbáns Partei Fidesz verfügt über 133 der insgesamt 199 Mandate, Jobbik ist mit 26 Abgeordneten die zweitstärkste Kraft und die Sozialisten (MSZP) stehen mit 20 Vertretern auf Platz drei. Hinzu kommen mehrere Kleinparteien. Parlamentspräsident bleibt der Fidesz-Politiker László Kövér, der dafür auch Stimmen aus dem Oppositionslager bekam. Als einzige Oppositionspolitikerin wagte am Dienstag die Sozialistin Agnes Kunhalmi einen Besuch bei den Demonstranten vor dem Parlament - und wurde von aufgebrachten Wählern beschimpft. Kunhalmis MSZP gilt für viele als korrupt, von Fidesz gekauft.

Andere Orbán-Opponenten versuchten eine Art Mini-Boykott: Akos Hadházy, Abgeordneter der grün-konservativen Partei LMP, verweigerte den Amtseid, weil er nicht auf die von Orbán 2011 durchgesetzte Verfassung schwören wollte.

Der frühere Regierungschef der Sozialisten, Ferenc Gyurcsány, blieb mit seiner Fraktion DK (Demokratische Koalition) der konstituierenden Sitzung fern, erschien aber zur obligatorischen Vereidigung der Abgeordneten. DK ist eine Abspaltung von den Sozialisten, Gyurcsány gilt in Oppositionskreisen nach Orbán als unbeliebtester Politiker.

Neue Gesichter im Kabinett

Eigentlich könnte Orbán mit dieser Mehrheit, angesichts der zersplitterten Opposition wie bisher straff durchregieren. Dennoch wird sein Kabinett anders aussehen: Sein bisheriger Kanzleichef im Ministerrang, der mächtige János Lázár, wird abgesetzt. An seine Stelle tritt der junge, ehrgeizige bisherige Fidesz-Fraktionschef Gergely Gulyás.

Der smarte, schwerreiche Lázár galt schon seit langem als Konkurrent Orbáns. Die beiden sollen sich nie richtig gemocht haben. Anlass für seine Marginalisierung sei jetzt die zwei Monate zurückliegende Fidesz-Niederlage bei der Kommunalwahl in Lázárs Heimatort Hódmezövásárhely, kommentieren Medien.

Lázár gab seiner neuen Situation auch szenisches Gewicht: Er ließ sich einen Bart wachsen und verlangte, im Plenarsaal in der letzten Reihe sitzen zu dürfen. Möglichst weit weg von Orbán. Auf dem neuen Gruppenfoto der Fraktion fehlt er. Auch ein bisher hundertprozentiger, langjähriger Orbán-Getreuer verlässt das Kabinett: Zoltán Balog, Minister für Humanressourcen, wird nicht wieder mit diesem Amt betraut. Die Hintergründe sind nicht ganz klar. Balog selbst hatte angedeutet, nicht in allem mit Orbán einverstanden zu sein, ohne die Details zu nennen. Medienspekulationen zufolge soll Balog zum künftigen Staatspräsidenten aufgebaut werden, der in Ungarn vom Parlament gewählt wird und wenig eigene Macht hat. Balogs Ressort soll offensichtlich umgestaltet werden. Einen Teil von dessen Kompetenzen, die bisher die Bereiche Kultur, Gesundheit, Bildung und Soziales umfasst haben, soll Zsolt Semjén übernehmen, der stellvertretender Ministerpräsident bleibt. Semjén ist Vorsitzender der Kleinpartei KDNP (Christdemokraten), die ein untrennbarer Partner des Fidesz ist.

Erstmals seit 2014 soll es wieder eine Frau in Orbáns Kabinett geben: Die frühere Mitarbeiterin der Nationalbank Andrea Bartfai-Mager sei als Ministerin ohne Portefeuille vorgesehen, zuständig für die nationale Vermögensverwaltung. Allerdings berichteten regierungskritische Medien wie HVG und 444.hu wenig Vertrauenerweckendes über diese Kandidatin: An ihrer privaten Adresse am schicken Budaer Rosenhügel sollen etwa 60 Firmen gleichzeitig angemeldet gewesen sein, die hohe Steuerschulden angehäuft hätten. Trotz der schwachen Straßenproteste waren Orbán und seine Getreuen ängstlich darum bemüht, keinerlei Störer sich heranzulassen. Journalisten der drei Oppositionsmedien index.hu, 444.hu und HVG wurden nicht zur konstituierenden Sitzung zugelassen. Das Gruppenfoto wurde nicht wie üblich draußen auf den Stufen des Parlaments gemacht, sondern drinnen, hinter dicken Mauern. Um den Blicken der Demonstranten am Haupteingang zu entgehen, verließen die Fidesz-Abgeordneten das Parlament durch die Tiefgarage.