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Geld auf der Flucht

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Ins Zwielicht geraten sind die Steuervorteile im Großherzogtum Luxemburg. Mit Begünstigungen warb das Land jahrelang um internationale Konzerne - und diese nutzten das Angebot gern.
© reu/Francois Lenoir

Die Kritik an den Steuerpraktiken in Luxemburg trifft auch den damaligen Premier Jean-Claude Juncker.


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Brüssel/Luxemburg. Ein paar Verfahren hat Luxemburg schon am Hals. Die Vorwürfe wegen legaler Steuerflucht sind daher nicht neu; ihre Brisanz allerdings nimmt nun zu. Denn mittlerweile ist auch der damalige Premier und Finanzminister Jean-Claude Juncker in den Mittelpunkt der Kritik geraten. Und er ist mittlerweile Präsident der EU-Kommission - also genau jener Behörde, die die Anschuldigungen überprüfen soll.

Zwei Jahrzehnte lang stand der Christdemokrat an der Spitze des Großherzogtums, in dieser Zeit hat er die Attraktivität Luxemburgs als Sitz für Investmentgesellschaften um ein Vielfaches erhöht. Mit niedrigen Steuersätzen warb das Land um große Konzerne; Banken und andere Unternehmen begannen, von dort ihre weltweiten Geschäfte zu tätigen. Wie komplex dieses System der Zahlungsvermeidung war, zeigen bisher geheime Dokumente, die ein Recherche-Netzwerk dutzender Journalisten aus mehreren Ländern ausgewertet hat.

Laut ICIJ (International Consortium of Investigative Journalists) hätten Luxemburger Behörden komplizierte Finanzstrukturen genehmigt, die das Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers im Auftrag der Firmen entwickelt habe. So konnten die Konzerne teilweise Gewinne mit weniger als einem Prozent versteuern, schreibt die "Süddeutsche Zeitung".

Seit einiger Zeit jedoch versucht die EU verstärkt, solche Möglichkeiten zur legalen Steuerflucht zu begrenzen. Und nicht nur die Europäer sind darum bemüht. Auch Finanzplätze wie Singapur und Staaten wie China wollen sich daran beteiligen. Denn Steuerhinterziehung stellt für die Länder mit ihren Verpflichtungen zu mehr Haushaltsdisziplin ein wachsendes finanzielles Problem dar. Nach Angaben der EU-Kommission geht den Unionsmitgliedern durch Steuerbetrug und -vermeidung jährlich bis zu eine Billion Euro verloren. Die OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) geht von mehr als 1,5 Billionen Euro aus, die Privatpersonen und Unternehmen in Steueroasen und Niedrigsteuerländer verschieben.

Klausel gegen Missbrauch von Gewinn-Verschiebungen

Mehrere Gegenmaßnahmen für mehr Transparenz bei den Finanzströmen sind bereits eingeleitet worden. So wird das Bankgeheimnis für Ausländer - von Österreich jahrelang ähnlich vehement verteidigt wie von Luxemburg - bald der Vergangenheit angehören. Die G20, die führenden Schwellen- und Industrieländer, setzen Schritte zum Schließen von Steuerschlupflöchern. Parallel dazu die Finanzminister der EU. Bei ihrem Treffen heute, Freitag, steht das Thema ebenfalls auf der Agenda.

Die Politiker wollen sich dabei auf eine Missbrauchsklausel in der sogenannten Mutter-Tochter-Richtlinie einigen. Die ursprünglich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Gewinnen gedachte Regelung soll so ergänzt werden, dass es künftig nicht mehr möglich sein wird, Gewinne von Unternehmen nur zum Zweck der Steuervermeidung an Konzerntöchter in Drittstaaten zu überweisen. Es geht dabei nicht zuletzt um Lizenz- und Patentgebühren, bei denen manche Länder Vergünstigungen anbieten.

Die EU-Kommission wiederum kann auf andere Weise tätig werden: indem sie prüft, ob die Steuervorteile, die ein Mitgliedstaat anbietet, den Wettbewerb in der Europäischen Union verzerren. So hat sie bereits vor Monaten eine Untersuchung gegen Irland, die Niederlande und Luxemburg gestartet. Die Länder werden verdächtigt, Firmen wie dem Computerhersteller Apple, der US-Kaffeehauskette Starbucks oder dem italienischen Autobauer Fiat über maßgeschneiderte Besteuerungsmodelle illegale staatliche Hilfen gewährt zu haben. In Luxemburg werden ebenfalls Nachlässe für den US-Internetkonzern Amazon analysiert.

Weitere Untersuchungen sind nun nicht ausgeschlossen. Sie würden in den Zuständigkeitsbereich der neuen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager fallen. Diese werde ihre Arbeit erledigen, "und niemand kann ihr sagen, was sie zu tun hat", erklärte ein Sprecher der Kommission, die seit einer knappen Woche im Amt ist. Juncker selbst deklarierte, keinen Einfluss auf die Geschehnisse nehmen zu wollen. Er werde seine Macht nicht missbrauchen.

EU-Abgeordnete fordern rasche Gegenmaßnahmen

Das ließ die Kritik allerdings nicht verstummen. Diese reichte bis hin zu Rücktrittsforderungen, die aus den Reihen der Grünen im EU-Parlament sowie vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac kamen. Die Sozialdemokraten wiederum drängen den Kommissionspräsidenten und sein Team dazu, rasch Maßnahmen gegen "unfaire Steuerpraktiken" zu ergreifen. Junckers Glaubwürdigkeit stehe auf dem Spiel, meinte der Vorsitzende der Fraktion, Gianni Pittella.

Die Europäische Volkspartei hingegen sprach ihrem Parteifreund "das volle Vertrauen" aus. Ihr Fraktionschef Manfred Weber wies darauf hin, dass die Untersuchungen "keine persönliche Angelegenheit" des Kommissionspräsidenten seien. Vielmehr müssten die zuständigen europäischen und nationalen Stellen handeln.

Donnerstagabend erklärte der luxemburgische Finanzminister Pierre Gramegna, seine Regierung halte es nicht mehr für vertretbar, dass große Unternehmen durch geschicktes Ausnutzen nationaler Gesetze praktisch überhaupt keine Steuern mehr zahlen. Zugleich unterstrich er, die bisherige Praxis sei völlig legal. EU-Kommissarin Vestager wollte sich diesbezüglich noch nicht festlegen. Die Brüsseler Behörde habe "zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Meinung gefällt", sagte die Dänin.