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Dass nationale Parlamente ihre Regierungen effektiv kontrollieren, ist ein Mythos. Das EU-Parlament will dennoch eins werden mit seiner Exekutive.
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Geld regiert die Welt. Und deshalb ist der große Vorteil nationaler Parlamente ihr letztes Wort in Geldfragen. Ihr mindestens so großer Nachteil wurzelt in der strukturellen Verquickung der parlamentarischen Mehrheit mit der Regierung. Wirkliche Kontrolle der Exekutive durch das Parlament ist daher eine Chimäre, auch - und vor allem - in Österreich.
Der große Vorteil des Europäischen Parlaments ist die strikte Trennung vom Objekt seiner Kontrolle, der Europäischen Kommission. Der mindestens so große Nachteil: Es hat in Geldfragen kein letztes Wort.
Das soll sich allerdings demnächst ändern. Und zwar, geht es nach den Abgeordneten in Brüssel und Straßburg, schon für die nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament. Bisher galten diese als lästige Pflichtübung oder als billige Gelegenheit, den eigenen Regierungen einen Denkzettel zu verpassen. So oder so, die EU-Wahlen sind noch nicht wirklich im politischen Bewusstsein der Bürger als entscheidende Weichenstellung verankert.
Um diese von der Innenpolitik der 27 Mitgliedstaaten bestimmte Dynamik zu durchbrechen, wollen die großen Parteifraktionen im EU-Parlament - also vor allem Europäische Volkspartei (EVP), Sozialisten & Demokraten (S&D) sowie Liberale und Grüne - für die Wahlen im Frühjahr 2014 EU-weite Spitzenkandidaten aufstellen. Natürlich soll es sich dabei um möglichst bekannte, zugkräftige Namen handeln, alles andere wäre schlicht widersinnig, schließlich verfolgen die EU-Abgeordneten das Ziel, ihren Einfluss zu erhöhen.
Am Ende sollen die EU-Wahlen wie nationale Parlamentswahlen funktionieren, indem der Sieger den Premierminister, im europäischen Fall eben den Kommissionspräsidenten, stellt. Zwar muss der Rat der Regierungschefs bereits jetzt bei dessen Nominierung das Wahlergebnis "berücksichtigen", was diese Formulierung jedoch genau bedeutet, ist noch unklar, da sie erst mit dem Lissaboner EU-Vertrag eingeführt wurde. Dies kann entweder - wie derzeit - als Anspruch der stimmenstärksten Fraktion interpretiert werden, oder aber genauso gut als Auftrag zum parlamentarischen Koalitionsprinzip; den nächsten Kommissionspräsidenten würden dann jene Fraktionen stellen, die gemeinsam eine absolute Mehrheit der dann 754 Abgeordneten hinter sich vereinen.
Das Verhältnis zwischen EU-Parlament und Kommission wäre dann sehr nahe an jenem, wie es in den Mitgliedstaaten besteht: ein europäischer Premier, der sich auf eine eigene parlamentarische Mehrheit stützen kann; nur für die Anomalie des Rats der Regierungschefs gibt es kein nationales Pendant.
Bleibt die Frage, ob sich auf diese Weise die Bürger für das europäische Parlament begeistern lassen. Werden EU-weite Spitzenkandidaten tatsächlich die Wähler von nationalen Motiven bei der Stimmabgabe abhalten? Führt diese Personalisierung tatsächlich zu einer Politisierung im europäischen Sinn?
Und, vielleicht am allerwichtigsten: Nimmt sich das EU-Parlament damit nicht seine größten Trumpf in Sachen Kontrolle, die Unabhängigkeit gegenüber der Kommission?