Billa präsentiert im 11. Bezirk eine barrierefreie Vorzeigefiliale - und gelobt, dass diese keine einsame Insel bleiben soll.
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Wien. Nein, es gibt für ihn wirklich nichts auszusetzen. Dabei ist Behindertenanwalt Erwin Buchinger "berufsbedingt ein bisschen ein Bad Guy und kritisch". Angesichts der neuen Billa-Vorzeigefiliale in der Fuchsröhrenstraße 11 (an der U3-Station Zippererstraße) in Simmering ist aber sogar er laut eigener Aussage baff: "Bei Barrierefreiheit denkt man oft nur an den Eingangsbereich und vergisst aufs Innere des Geschäfts, wie den Zugriff auf Tiefkühlregale, Kassen oder Feinkost. Die große Überraschung für mich ist, dass Billa hier einen sehr breiten Ansatz zeigt." Ein Lob, dem sich bei der Eröffnung auch andere Behindertenvertreter angeschlossen haben.
Erst Evaluierung, dann schrittweise Umsetzung
Zur Vorstellung einer "erweitert barrierefreien" Supermarktfiliale (Kriterien siehe Grafik) ist neben Billa-Vorstand Robert Nagele auch Rewe-Konzernchef Frank Hensel persönlich angereist. Beide betonen, dass es sich um eine Prototyp-Filiale handle, die keine einsame Insel bleiben solle. "Alle gesetzten Maßnahmen wurden so konzipiert, dass sie für ein breites Rollout auf andere Billa-Standorte denkbar und leistbar sind", so Nagele, der im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vorrechnet, dass die Errichtung der voll barrierefreien Filiale nur knapp 3 Prozent mehr gekostet hat als bei einer herkömmlich angelegten. "Das ist in einem Bereich, der es uns ermöglicht, das auch auf alle anderen 1050 Billa-Filialen umzulegen." Eine erste Evaluierung sei in etwa sechs Monaten geplant.
Man dürfe sich freilich nicht erwarten, dass in Kürze alle Billa-Standorte komplett barrierefrei gemacht würden. "Wir sprechen hier von einem Zeitraum von 10 bis 15 Jahren", relativiert Nagele. Einige Dinge werden aber sicher rascher gehen. Bewährt sich etwa die neue, mit dem Rollstuhl unterfahrbare Obstwaage, wird sie zum Standardmodell im Konzern. Und der Infopoint samt Ruftaste und Online-Shop-Terminal im Eingangsbereich könne recht rasch auch in anderen Filialen eingerichtet werden, sagt Hensel. Größere Investitionen wie eine bei der Feinkost installierte Induktionsschleife, die für Nutzer von Hörgeräten im Gespräch mit den Mitarbeitern die Nebengeräusche reduziert, werden in anderen Filialen wohl nur bei größeren Umbauten berücksichtigt werden.
Viele Verbesserungen sind eigentlich billig zu haben
Ein Rundgang gemeinsam mit Cornelia Scheuer von der Interessenvertretung Bizeps durch die Vorzeigefiliale zeigt: Es gibt auch viele kleine Schräubchen, an denen man billig drehen kann, um ein Geschäft barrierefrei zu machen. Da ist zum Beispiel der Gebäckspender, der sich so langsam schließt, dass man ihn einhändig bedienen kann. Oder der Flaschenrückgabeautomat, dessen Einwurfhöhe um 12 Zentimeter gesenkt werden konnte, ohne das System dahinter umbauen zu müssen. Und der Gang zu den Kassen ist plötzlich viel geräumiger, wenn man die Körbe mit den sogenannten Zweitplatzierungen umstellt. Hensel stellt dazu fest, dass "Geld nicht der limitierende Faktor und in der Gesamtsicht zu vernachlässigen ist - unser Aufwand liegt hier viel mehr in der Kopfarbeit unserer Ingenieure und im Austausch mit Experten und Behindertenverbänden".
Und Letztere sind tatsächlich positiv überrascht: "Wir haben mit Rewe bei der Entwicklung zusammengearbeitet, und es wurden sicher 70 Prozent unserer Vorschläge umgesetzt", berichtet Scheuer. Auch wenn manche Probleme wie etwa die Greifhöhe auch in dieser Filiale mit dem Arbeitstitel "Billa ohne Grenzen" immer noch vorhanden sind. "Aber ich kann natürlich nicht von einem Supermarkt verlangen, alle Güter auf maximal 1,50 Meter Höhe zu platzieren. Das wäre nicht wirtschaftlich", sagt die Behindertenvertreterin, die selbst im Rollstuhl sitzt. Nur für die Obstwaage hätte sie sich einen Schwenkschirm gewünscht. "Hier sind wir noch in Verhandlungen mit Billa."
51 von 1050 Billa-Standorten immer noch nicht barrierefrei
Begleitet wird die "erweiterten Barrierefreiheit" bei Billa von Mitarbeiterschulungen im Umgang mit gehörlosen, blinden und gehbehinderten Kunden. Nagele gibt aber gleichzeitig zu, dass 51 Filialen immer noch nicht barrierefrei sind. "Das sind bauliche Themen, die aus unterschiedlichen Gründen schwer zu lösen sind, etwa weil wir keine Umbaugenehmigung bekommen. Manches ist auch technisch gar nicht lösbar. Das sind Standorte, die wir auf lange Sicht zusperren müssen."
Eine Sicht, die Buchinger nur bedingt teilt: "Wenn ein Umbau nicht möglich oder zumutbar ist, kann man sogar laut Gesetz in Einzelfällen auf die Barrierefreiheit verzichten. Aber auch wenn es mühsam ist, muss man daran arbeiten. Es gibt ja auch andere Lösungen. In Italien zum Beispiel sieht man oft Treppenlifte als Alternative zu Rampen." Die neue Billa-Filiale überzeugt ihn jedenfalls voll und ganz. Nachsatz: "Das hätte man auch schon ein paar Jahre früher haben können. Aber besser spät als gar nicht."