Lockere Notenbankpolitik ermöglicht höchsten Zuwachs aller Industriestaaten.|Wunderwaffe oder Strohfeuer?
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Tokio. Müssen die Lehrbücher neu geschrieben werden? Japans Wirtschaft überrascht im ersten Quartal mit dem höchsten Wachstum aller großen Industrieländer: Zwischen Jänner und März 2013 ließen höhere Exporte und konsumfreudige Verbraucher die Wirtschaftsleistung der drittgrößten Volkswirtschaft um 0,9 Prozent steigen. Ein gigantischer Zuwachs: Die USA schafften zum Vorquartal nur ein Plus von 0,6 Prozent und Deutschland gerade einmal 0,1 Prozent.
Ist es Ministerpräsident Shinzo Abe wirklich gelungen, chronische Wachstumsschwäche und fallende Preise zu überwinden? Er hat die Notenbank dazu gebracht, binnen zwei Jahren mehr als eine Billion Euro in die Wirtschaft zu pumpen, indem sie Staatsanleihen, Index- und Immobilienfonds kauft. Die Geldflut ließ den Yen dramatisch abwerten, seit Herbst hat er zum Euro gut 30 Prozent verloren.
Somit sind Japans Produkte im Ausland um ein Drittel billiger - kein Wunder, dass die Ausfuhren im ersten Quartal um 3,8 Prozent zulegten. Toyota verkauft drei von vier Autos außerhalb Japans. Selbst der taumelnde Elektronikriese Sony schreibt wieder schwarze Zahlen. Die Börse boomt, der Nikkei-Index stieg auf ein Fünfeinhalb-Jahres-Hoch. Das mehrt die Vermögen der Japaner - und ihre Kauflust: Die Konsumausgaben stiegen um 0,9 Prozent.
"Die Zentralbanken der Welt spielen Poker - und Japan hat eine neue Setzrunde eröffnet", sagt Markus Schuller, Makroökonom und Anlageexperte von Panthera Solutions in Monaco. Aus seiner Sicht könnte das Spiel gut gehen, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind. Erstens: Die Länder müssten den Spielraum, den ihnen die Zentralbanken eröffnen, nützen und Strukturreformen umsetzen. So müsste Japan den Arbeitsmarkt und abgeschottete Wirtschaftsbereiche öffnen, um dauerhaftes Wachstum zu fördern.
Zweitens: Japan kann seinen Exportvorteil nur bewahren, solange andere Währungsblöcke nicht nachziehen. Schuller wertet als positiv, dass die großen Staaten "besonnen reagieren" und Japan Freiräume geben, um seine Deflation zu korrigieren. Auf Dauer würden sie eigene Exportnachteile aber nicht akzeptieren.
Den kurzfristigen Anstieg der Zinsen bei Japans Staatsanleihen würde Schuller nicht überbewerten: "Das kann etwas bedeuten, muss es aber nicht." Bedrohlich wäre ein Zinsanstieg, weil die Schulden der Insel 245 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Davon muss ein gewaltiger Anteil (fast 60 Prozent des BIP) Jahr für Jahr umgewälzt - also Altschulden durch Neuschulden abgelöst - werden. Steigende Zinsen wären dabei Gift.
"Muss nicht die Dosis sein"
Sollte auch die EZB mehr tun, um den anämischen Euro-Krisenländern zu Wachstum zu verhelfen? "Wenn eine Medizin nicht wirkt, muss nicht die Dosis zu gering gewesen sein", sagte dazu Jaime Caruana, Chef der Notenbanken-Dachorganisation BIZ, am Donnerstag in London: "Vielleicht sollte die Medikation insgesamt überdacht werden." Geldpolitik könne Zeit kaufen, aber weder die Bilanzreparatur der Banken noch Reformen der Staaten ersetzen.