Goethes "Faust II" aus der Sicht der Wirtschaft gedeutet. | Notenbanken sollen Geldschöpfung aktiv kontrollieren. | Wien. "Es fehlt an Geld, nun gut, so schafft es denn!" Die Aufforderung des Kaisers in Goethes "Faust II", ihn von seinen Geldsorgen zu befreien, ist der Beginn der Papiergeldschöpfung. Wie Goethes Werk wirtschaftlich gedeutet werden kann, zeigte der Ökonom Hans Christoph Binswanger bei einem Vortrag in der Nationalbank.
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In seinem Buch "Geld und Magie" zieht der 80-jährige emeritierte Wirtschaftsprofessor der Schweizer Universität St. Gallen und Doktorvater des Deutsche-Bank-Chefs Josef Ackermann Parallelen zwischen der modernen Wirtschaft und der Alchemie: "Eine wertlose Substanz wird in eine wertvolle verwandelt. Statt Blei zu Gold verwandeln, wird nun Papier zu Geld."
Im "Faust II" werden die Banknoten durch noch nicht gehobene Goldschätze im Boden gedeckt. "Papiergeld kann beliebig angehäuft werden, weil es sich nicht beim Gebrauch verbraucht", sagt Binswanger.
Süchtig nach Prognosen
Was wollte uns Goethe, selbst Finanzminister am Weimarer Hof, mitteilen? Binswanger spart in seiner Deutung nicht mit Kritik an den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen: "Durch die Faszination des unendlich vermehrbaren Geldes übt die Wirtschaft eine magische Anziehungskraft aus." Geld verschaffe Faust im zweiten Teil des Werkes jenen höchsten Augenblick, den ihm die Liebe im ersten Teil nicht geben konnte.
Das Wirtschaftswachstum sei an keine Grenze gebunden, wodurch aber auch die Sorge zunimmt - die im zweiten Teil des "Faust" auch als Person auftritt. "Unternehmen produzieren heutzutage für einen unbekannten Markt. Daher sind sie ständig um ihren Absatz besorgt", sagt Binswanger. Die Folge: "Investoren werden süchtig nach Prognosen und ängstigen sich bei schlechten Prophezeiungen", so Binswanger.
Gemäßigtes Wachstum
Neben den Sorgen habe das Wirtschaftswachstum auch andere negative Auswirkungen: "Neue technische Errungenschaften bergen ein Risiko, womit die Sicherheit verloren geht." Goethe zeige auch die Zerstörung der Natur: Faust erhält einen Küstenstreifen und darf das Land als "Dominium" nach Römischen Recht nicht nur gebrauchen, sondern auch verbrauchen. "Dies ist die Basis des Wirtschaftswachstums", kritisiert Binswanger: "Unternehmen verbrauchen nicht erneuerbare Ressourcen und übernützen erneuerbare Ressourcen."
Binswanger plädiert daher für gemäßigtes Wachstum in ökologisch erträglichem Ausmaß - im Gegensatz zu seinem ehemaligen Schüler Ackermann, dessen Zielvorgabe für die Deutsche Bank von 25 Prozent Eigenkapitalrendite vor Steuern als überhöht und maßlos kritisiert wurde.
Aus "Faust II" zieht Binswanger die Lehre, dass Notenbanken eine zentrale Rolle spielen sollen. Er bezieht sich auf den Vorschlag des "100-Prozent-Geldes", den der US-Ökonom Irving Fisher nach der Krise 1929 entwickelt hat. Demnach sollen Banken ihre Kundeneinlagen zu 100 Prozent mit Geld der Zentralbank unterlegen.
"Statt die Kredit- und Geldmenge in Krisenzeiten unendlich zu erweitern, sollen Zentralbanken die Geldschöpfung im Voraus kontrollieren und den Banken nicht weiter Geld nachliefern, wenn sie faule Kredite vergeben", so Binswanger. Damit sollen Spekulationsblasen vermieden und künftige Krisen verhindert werden.