Im Terrorprozess war das LVT auf Gedächtnisprotokolle seiner Beamten angewiesen, weil es Informationen löschen muss.
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Es war eine Aussage, die etwas untergegangen ist, als ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) im Terrorprozess erzählte, dass das LVT regelmäßig wichtige Daten zu Personen löscht. Das Problem dabei: Der Verfassungsschutz ist damit auf Gedächtnisprotokolle seiner Beamten angewiesen, möglicherweise erst Jahre später. Ermittlungsschritte können so nicht immer nachvollziehbar gemacht werden und es besteht die Gefahr, dauerhaft Informationen zu verlieren.
"Ein Nachrichtendienst will eigentlich nicht sofort einschreiten, sondern weiter beobachten und weitere Informationen gewinnen", erklärt Thomas Riegler. Der Historiker beschäftigt sich mit der Geschichte österreichischer Nachrichtendienste und veröffentlichte im Oktober ein Buch dazu. Diesem Bestreben stehen gesetzliche Löschpflichten gegenüber. Sie seien "ein Problem, das den Verfassungsschutz schon länger plagt", so Riegler.
"Es gibt Gedächtnisprotokolle von einzelnen Beamten"
Im Staatsschutz- und Nachrichtengesetz wird die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) verpflichtet, "Daten zu löschen, sobald diese für die Erfüllung der Aufgabe" nicht mehr benötigt werden, "längstens jedoch nach zehn Jahren". Protokolle müssen nach spätestens drei Jahren gelöscht werden.
Es ist eine Interessensabwägung: Einerseits müssen Nachrichtendienste Informationen sammeln und speichern können, um Gefahrenpotenziale auch langfristig beobachten zu können. Auf der anderen Seite stehen rechtmäßige Datenschutzbedenken, vor allem in Anbetracht der Kritik, die das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung vor seiner Umstrukturierung auf sich gezogen hat.
Der Terrorprozess zeigt das Problem gut auf: Der Angeklagte H.Z., der am 1. Februar noch nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist, kam dem Verfassungsschutz schon 2014 unter. Damals besuchte er Moscheen, in denen extremistische Prediger aufgetreten sind. Wie oft H.Z. dort war, kam bei der Befragung nicht heraus. Es bleibt offen, ob diese Informationen verloren gegangen oder nie erhoben worden sind, da die Protokolle nach Ende der zugehörigen Gerichtsprozesse vernichtet worden sind. Aufgekommen ist diese Praxis, als sich ein Verteidiger wunderte, dass in einem Bericht des LVT-Wiens Unterlagen fehlten, auf die sich die Behörde bezog, und den zuständigen LVT-Beamten zur Zeugenaussage vorladen ließ.
Der befragte Beamte sagte aus, dass es grundsätzlich Aufzeichnungen gebe, die für Gerichtsverfahren wichtig seien. Danach würden sie vernichtet werden, "was ja nicht heißt, dass es aus unseren Köpfen gelöscht wird", so der Beamte mit der Kennziffer W-79. Und weiter: "Es gibt Gedächtnisprotokolle von einzelnen Beamten", darüber hinaus aber keine Informationen.
Österreich bei Entwicklung hinten nach
"Ein Musterbeispiel, dass es teilweise nicht sonderlich sinnvoll ist, wenn sich Leute aus dem Gedächtnis heraus erinnern müssen", sagt Riegler. Gleichzeitig habe es in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit nicht gelöschten Daten gegeben. Im Zuge des BVT-Skandals wurde unter anderem kritisiert, dass Informationen nicht wie gesetzlich vorgesehen gelöscht worden sind - etwa zur damaligen ÖH-Vorsitzenden und jetzigen Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer.
Löschpflichten, die auf einen ersten Blick dem Sinn eines Nachrichtendienstes widersprechen, erklärt Riegler mit der historischen Entwicklung: "Bis zur DSN-Reform hat es diesen nachrichtendienstlichen Arm überhaupt nicht gegeben. Das war immer mehr Polizei als Nachrichtendienst. Ich nehme an, dass diese Regelungen einfach aus einer Zeit stammen, als Österreich diese Bedrohungen noch nicht so stark gesehen hat." Die DSN-Reform war für Riegler ein großer Schritt in Österreichs Bestreben, verpasste Entwicklungen der Vergangenheit aufzuholen. Jetzt gehe es noch darum, die gesetzlichen Bedingungen anzupassen. Der Historiker spricht sich für weitgehendere Befugnisse und engmaschigere Kontrollen bei Nachrichtendiensten aus.
Sicherheitsdienste und Politik zeigten sich auf Anfragen der "Wiener Zeitung" zu diesem Thema sehr zugeknöpft. Die DSN leitete die Anfrage gleich ans Innenministerium weiter. Dieses erklärte, dass das Gesetz Löschfristen vorgebe, an die man sich halten müsse. Obendrein gebe es absolute Löschfristen, "die keinen Ermessensspielraum der DSN vorsehen". Aus dessen Umfeld hört man dafür immer wieder von Bestrebungen, die eigenen Kompetenzen auszuweiten, um effektiver arbeiten zu können.
Ein Pressesprecher von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) teilte der "Wiener Zeitung" mit, dass man "keine bestehenden Gesetze medienöffentlich bewertet, kommentiert oder auf etwaigen Handlungsbedarf einschätzt". Neos-Sicherheitssprecherin Stephanie Krisper sieht schon jetzt Möglichkeiten, Informationen nicht löschen zu müssen, wenn es um islamistische Radikalisierung geht. "Es ist hochriskant, wie dilettantisch hier vorgegangen wird", so Krisper zur "Wiener Zeitung".