)
Der Mord an dem libanesischen Industrieminister Pierre Gemayel hat einmal mehr deutlich gemacht, dass der Libanon ein ewiges Pulverfass des Nahen Ostens ist. "Obskure Kräfte versuchten, den Libanon zu zerstören" meinte Papst Benedikt XVI. am Mittwoch bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz. Im Libanon selbst, aber auch in vielen westlichen Staaten sieht man einmal mehr Syrien als Drahtzieher.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Dagegen spricht allerdings die Tatsache, dass Syrien daran interessiert ist, als Gesprächspartner für eine Lösung der Nahost-Krise akzeptiert zu werden. Dass der Mord an Gemayel genau an dem Tag passierte, als Damaskus nach 24 Jahren Eiszeit seine diplomatischen Beziehungen zum Irak wieder aufgenommen hat, kann Zufall sein, aber auch ein genau überlegtes Kalkül der Hintermänner des Gemayel-Mordes, die bisher noch niemand kennt: Syrien, das im Libanon durch Jahrzehnte eine unrühmliche Rolle spielte, ist neuerlich desavouiert worden.
Dem Libanon wären auch ohne den Mord an Gemayel sehr schwierige Wochen und Monate bevorgestanden. Die Hisbollah, die vor wenigen Tagen ihre Minister aus dem Kabinett von Fouad Siniora zurückgezogen hatte, wollte den Regierungschef unter Druck setzen, um Neuwahlen zu erzwingen, aus denen sie hofft, wesentlich gestärkt hervorzugehen.
Der einmonatige Krieg Israels im Juli und August, dessen Bilanz 1189 Tote, 4399 Verletzte, derzeit noch immer mehr als 215.000 Flüchtlinge und 35.000 zerstörte Wohnungen sowie 77 zerstörte Brücken sind, hat die antisyrischen Kräfte in der Beiruter Regierung geschwächt. Die Hisbollah ist aus diesem Krieg, den sie durch die Entführung von zwei israelischen Soldaten ausgelöst hatte, in den Augen vieler Libanesen als Sieger hervorgegangen. Könnte man ihr nachweisen, hinter dem Mord an Gemayel zu stehen, würde ihr das viel von den neu gewonnenen Sympathien kosten. Syrien und die Hisbollah hätten sich mit dem Mord an Gemayel, wenn sie tatsächlich darin verwickelt sind, also ein mächtiges Eigentor geschossen.
Das christliche Lager im Libanon ist deshalb auch sehr vorsichtig mit der Schuldzuweisung. Pierre Gemayels Vater, der frühere Präsident Amin Gemayel, rief seine Landsleute ebenso zu Ruhe und Einigkeit auf wie der derzeitige Präsident Emil Lahoud, ein prosyrischer Politiker, der mit Regierungschef Siniora im Dauerclinch steht. General Michel Aoun, der Anwärter auf das Präsidentenamt, ein Bannerträger des antisyrischen Lagers, warnte vor einer Spaltung des christlichen Lagers im Libanon, die die ohnehin schon schwierige Situation noch weiter verkomplizieren würde.
Der Mord an Gemayel, der als wesentliche Stütze von Premier Siniora galt, könnte nach Meinung politischer Beobachter den Druck auf den Regierungschef sogar etwas vermindern. Dass alle politischen Kräfte sich klar von der Bluttat distanziert und diese verurteilt haben, deutet in diese Richtung.