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Gemeinde Europa

Von Jan Michael Marchart

Politik

Seit 2010 entsenden Gemeinden Bürgermeister, Gemeinderäte und freiwillige Bürger nach Brüssel.


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Wien/Brüssel. In dieser Vorstellung liegt politische Romantik. Der Bürgermeister sitzt am Stammtisch des Dorfwirts mit den Leuten aus der Ortschaft bei Bier und Wein beisammen und es wird über Europa geplaudert. Über alle Vorzüge und Schwierigkeiten, die diese Union zweifelsfrei in sich trägt. Um Missverständnisse und Vorurteile abzubauen. Um die Menschen darauf einzustellen, dass Europa mehr ist als Reisefreiheit und ein unüberblickbarer Bürokratieapparat in Brüssel, der den Nationalstaaten vorschreibt, was sie tun sollen. Die Staaten schieben der EU ja gerne alles Negative zu, selbst wenn sie davor bei EU-Gesetzen mitgestimmt haben. In Österreich kennt man das. Die mit Mythen und Ablehnung aufgebaute EU-Skepsis lässt sich an der mäßigen Wahlbeteiligung der vergangenen Jahre ablesen.

Europa fängt in den Gemeinden an, lautet eine 2010 ausgegebene, aber recht leise Parole des Außenressorts und Gemeindebunds, mit der die Bedeutung und Vorteile einer geeinten Union vorangetrieben werden soll. Der damalige Minister Michael Spindelegger wollte dafür Bürgermeister und Gemeinderäte als ehrenamtliche EU-Botschafter gewinnen.

Diese Initiative folgt dem Gedanken, dass Bürger am besten vor ihrer Haustüre, also direkt in ihrer Gemeinde von der EU überzeugt werden können. Auch weil die Nationalstaaten in einem geeinten Europa an Macht verlieren, werden Gemeinden für die Identitätsbildung der Menschen immer wichtiger. Bürgermeister und Gemeinderäte sind lokale und direkte Ansprechpartner für allerlei Probleme und Anliegen der Ortsbewohner, Vereine dienen als zusätzliche Multiplikatoren.

Aufgrund der Tatsache, dass Gemeindevertreter die Ersten sind, die damit konfrontiert werden, wenn am Wirtshaustisch über die EU debattiert wird, befanden es Spitzenpolitik und Gemeindebund für wichtig, dass der lokale Raum mit Informationen versorgt wird und die Gemeindevertreter selbst Erfahrungen sammeln können.

Vor acht Jahren starteten 29 EU-Gemeinderäte nach Brüssel, heute gibt es österreichweit insgesamt 1060 solcher Botschafter in zirka 650 Gemeinden. Bei einem dreitägigen Besuch im Europaparlament und der Europäischen Kommission sollen die EU-Gemeinderäte Europa-Wissen sammeln und Kontakte knüpfen. Vom Außenministerium und Gemeindebund werden sie regelmäßig per Newsletter und über Internet-Portale mit Informationen versorgt. Dabei geht es aber nicht nur um Basiswissen über die EU-Institutionen, die kommunalen Botschafter werden etwa auch über die Krisenherde dieser Welt unterrichtet.

Das "Europadorf"

"Das ist nicht romantisch", sagt Maria Skazel (ÖVP), Bürgermeisterin von St. Peter im Sulmtal in der Steiermark. "Glauben’s mir, am Stammtisch, das ist mühsam, als Frau noch dazu." Skazel geht lieber in die Volksschule und Neue Mittelschule im Ort, um mehr Europa unter die Leute zu bringen. "Ich will die Jugend so früh wie möglich dafür begeistern", sagt sie. "Ab einem gewissen Alter wird das schwieriger."

Der Ort im Bezirk Deutschlandsberg ist seit jeher streng europagläubig. 1999 wurde er vom Europarat als erste Gemeinde in Österreich nach einem Antrag zum "Europadorf" ernannt. Eine Bezeichnung, auf die die 1300 Bewohner so stolz sind, dass sie in der Webadresse den Ortsnamen verdrängt hat. Auch auf dem Ortsschild, eine Europaflagge aus Blech, steht die Prämierung in großen Lettern geschrieben. Darunter "Schönstes Dorf Österreichs" und "Zweitschönstes Dorf Europas". Zwei Auszeichnungen, die die Gemeinde im Zuge eines Blumenwettbewerbs errang. Auch die Dorferneuerung wurde mit EU-Förderungen finanziert.

Skazel war eine der ersten EU-Gemeinderätinnen, die nach Brüssel gereist ist. Inzwischen war sie fünfmal dort, hat Reisen organisiert und ist Vorstandsmitglied des Europahauses in Graz. Die Kontakte, die man in Brüssel knüpft, seien viel wert für kleine Gemeinden wie St. Peter im Sulmtal, sagt sie, und mit zielgerichteten Informationen würde sich so mancher Mythos unter den Leuten leicht entkräften lassen.

In St. Peter im Sulmtal werden zu Europawahlen Veranstaltungen abgehalten, aber auch zu drängenden Themen. "Die Leute haben auf gut Steirisch einen Kropf im Hals und wollen den irgendwo anbringen", sagt Skazel. Deshalb sei es wichtig, dass zu solchen Veranstaltungen Experten kommen, die Antworten geben können. "Durchaus kritisch, weil es ist eben nicht alles romantisch in der EU." Europa sei aber selbst im "Europadorf nicht das dringlichste Thema, gibt Skazel zu. Mit EU-Anliegen kämen die Leute nie von selbst zu ihr.

Die Europäisierung der Gesetze

Das ist auch der Eindruck von Herwig Heider (ÖVP). Heider ist Gemeinderat in Perchtoldsdorf in Niederösterreich und seit 2015 europapolitisch aktiv. Er organisiert seit Jahren Sprachprojektwochen samt Gastfamilien für italienische Schulen und wurde dadurch als "Mister Europe" im Ort bekannt. "Die Leute interessiert Europa im Alltagsleben recht wenig", sagt Heider. "Außer es gibt einen Aufreger wie die Allergenverordnung, die in Österreich aber viel härter ausgelegt wird, als es die EU-Verordnung vorschreibt." Diese Härte sei eine heimische Spezialität, die aber negativ an der EU hängen bleibe.

Auf der anderen Seite würden sich Bundes- und Landespolitik aber mit den guten Dingen schmücken, die mit Hilfe der EU entstanden sind. Ein Beispiel seien Projekte, die zu großen Teilen über die EU-Regionalförderung finanziert wurden. "Das lässt man dann gerne unter den Tisch fallen", sagt Heider. Man ist zwar verpflichtet, das kenntlich zu machen, aber meistens findet man das Europa-Symbol irgendwo unten im linken Eck einer Tafel, da wo der Hund hinmacht." Dadurch werde Skepsis geschürt und den Leuten nicht vor Augen geführt, welche guten Dinge durch die EU in den Gemeinden möglich werden, sagt Heider. Europa verschwinde so aus der politischen Realität, obwohl allein 60 bis 80 Prozent der Vorgaben, die Gemeinden umsetzen müssen, der EU-Gesetzgebung folgen.

Heider spricht selten am analogen Stammtisch über Europa. Öfter beteiligt er sich an Debatten in sozialen Netzwerken. Für die dritten und vierten Klassen der örtlichen Volksschule hat er vier Veranstaltungen pro Schuljahr im Rahmen der Politischen Bildung organisiert, Europa spielt dabei eine wesentliche Rolle.

Besonders hervorgetan in der kommunalen Europapolitik hat sich das Burgenland, das anfangs nicht so recht wollte. Bis 2012 meldeten sich nur sechs Bürgermeister und Gemeinderäte für die ehrenamtliche Botschafterrolle. Das Burgenland sah Handlungsbedarf. Alle 171 Gemeinden im Land wurden im Zuge eines Regionalmanagementprojekts besucht, um die Initiative vorzustellen.

Speziell war dabei, dass sich im Burgenland nicht nur Bürgermeister und Gemeinderäte dafür melden konnten, sondern auch interessierte Bürger. Diese Aktion brachte prompt mehr als 140 Freiwillige aus insgesamt 103 Gemeinden zusammen.

In weiterer Folge veranstaltete das Burgenland kostenlose Schulungen und Informationsabende auf Bezirksebene, bei denen nicht nur EU-Basiswissen vermittelt wurde, es gab auch Trainings wie man auf dem Stammtisch oder bei Versammlungen richtig argumentiert. Die Ausbildung endete im November 2012 mit einem Brüssel-Besuch und einer Zertifikats-Übergabe an 142 EU-Gemeinderäte, die heute Vorträge halten, über EU-Themen in der Gemeindezeitung schreiben oder Gemeinderäte aus dem eigenen Ort beraten.

Das größere Vertrauen

Einer dieser Burgenländer ist Bernd Strobl (ÖVP), Bürgermeister in Ollersdorf und "glühender Europäer". Strobl glaubt, dass Europa nur über die Gemeinden näher zusammenrücken und die Spaltung in der Gesellschaft überwinden kann. "Dort ist das Vertrauen der Leute zur Politik am größten", sagt er. "Viel größer als zur Landes- und Bundespolitik."

Hätte Großbritannien EU-Gemeinderäte gehabt, sagt Strobl, der Brexit wäre nie passiert. "Die würden heute ganz anders abstimmen." Wenn die Gemeinden ihre Bürger informieren, dann könne "die Propaganda kommen wie sie will". Der Bürger sei mündig genug, um abzuwägen.

In Ollersdorf gibt es bei Europawahlen eine Wahlbeteiligung von etwa 70 Prozent. Brüssel sei für viele im Ort dennoch weit weg und im Alltag kein Thema. "Nur hat Österreich allein in einer globalisierten Welt nichts zu melden", sagt Strobl. "Da geht nur gemeinsam als Europa was."

Der Ollersdorfer Bürgermeister teilt den Leuten vor der Europawahl im Mai nächstes Jahr Listen aus, damit sie sehen, was mit EU-Geldern in den Gemeinden möglich wurde, etwa das Naturschutzgebiet im Ort, er spricht mit Betrieben, die für Projekte ebenfalls um Gelder ansuchen können. "Dann sehen sie Europa ganz anders und durch den Informationsaustausch wird das Verständnis für andere Länder vielleicht besser."

Rumänien habe freilich andere Bedürfnisse als Portugal und in Estland könne man mit der Bergbauernförderung nichts anfangen, in Tirol dagegen sehr wohl. "Wir sind alle Europäer", sagt Strobl. Da gelte es, Kompromisse zu schließen, die alle voranbringen. Je klarer dieser Gedanke werde, desto einheitlicher trete Europa nach außen hin auf. Den Grundstein dafür wollen die legen, die einem wohl nicht sofort in den Sinn kommen, wenn man an die Europäische Union denkt: die Gemeinden.