Zum Hauptinhalt springen

Gemeinden gegen Atommülllager

Von Johannes Pucher

Politik

Tschechien sucht einen Standort für ein Atommüllendlager. Österreichische Gemeinden leisten Widerstand.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Freistadt. Das Mühlviertel ist das Zentrum der Atomkraftgegner in Österreich. Gleich vier Anti-Atom-Vereine gibt es allein im Bezirk Freistadt. Einer davon, das Anti-Atom-Komitee, hat Anfang November eine Petition mit 12.700 Unterschriften an Umweltministerin Elisabeth Köstinger übergeben. Die Unterzeichner wollen den Bau eines Atommüllendlagers in Tschechien und den Ausbau des Atomkraftwerks Temelin verhindern. Die Ministerin versprach volle Unterstützung.

Im Zentrum von Freistadt, im Gebäude der Postfiliale, liegt das Büro des Anti-Atom-Komitees. Manfred Doppler, ein Landwirt aus Grünbach, der Nachbargemeinde, ist die treibende Kraft der Organisation. "Im Mühlviertel ist sicher die geografische Nähe ausschlaggebend dafür, dass es so viele Atomgegner gibt", sagt Doppler. Eine Fahrt zum AKW Temelin dauert nur knapp eineinhalb Stunden. Neben der Gefahr, die von einem Reaktorunfall in Temelin ausgeht, hat die Kernkraftnutzung ein Grundproblem, für das es bisher keine Lösung gibt: Wohin mit den ausgedienten Brennstäben und dem radioaktiven Müll? Die tschechische Regierung sucht deshalb seit 1989 einen geeigneten Standort für ein Atommüllendlager. Manche, wie der potenzielle Standort Cidhalo/Lodherov, liegen weniger als 30 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt. "Wir wollen verhindern, dass hochradioaktiver Müll vor unserer Haustüre auf immer und ewig vergraben wird", sagt Doppler.

Breite Unterstützung

Nur wenige hundert Meter vom Büro des Anti-Atom-Komitees entfernt, liegt der Sitz eines weiteren Anti-Atom-Vereins, der "Mütter gegen die Atomgefahr Freistadt". "Wir haben als Mütter miterlebt, welchen Einfluss die Katastrophe in Tschernobyl trotz der Entfernung auf unser Familienleben hatte. Wir sehen uns als Sprachrohr für unsere Kinder, die sich nicht wehren können", sagt Obfrau Gabriele Schweiger. Im Mühlviertel leisten die Mütter Aufklärungsarbeit und arbeiten eng mit ihren tschechischen Freundinnen von den "Südböhmischen Müttern gegen die Atomgefahr" zusammen. In der Gemeinde Dukovany, wo eines der beiden tschechischen AKWs steht, haben die Mütter dem Kindergarten und dem Hallenbad eine Solaranlage gespendet und montiert.

Der Widerstand gegen die tschechische Atomkraftnutzung findet im Mühlviertel die Unterstützung einer breiten Bevölkerungsmehrheit. Das zeigen 12.700 Unterschriften und eine Resolution, die alleine in Oberösterreich in 250 Gemeinderäten beschlossen wurde. Die Gemeinden fordern darin die Regierung auf, Gespräche mit den Verantwortlichen in Tschechien zu führen. "Österreich erklärt, dass es die Tschechische Republik und deren Rechtsnachfolger für jegliche Schäden aus bestehenden und eventuellen zusätzlichen Atomanlagen und -aktivitäten als haftbar betrachtet", heißt es in der Resolution. Gemeinsam mit Gemeinden aus Niederösterreich und Salzburg wird die Aktion von 400 Gemeinden unterstützt. Wichtig ist auch, dass bei der Atomfrage Parteipolitik keine Rolle zu spielen scheint. Die Gemeinderesolution wurde großteils einstimmig und parteiübergreifend beschlossen. Der Vorstand des Vereins Anti-Atom-Komitee besteht ebenfalls aus Mitgliedern aller Parteien, außer den Neos.

Ministerin Köstinger hat den Atomgegnern volle Unterstützung und die Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten versichert. Diese rechtlichen Möglichkeiten sind allerdings beschränkt. Österreich kann dort wo die EU oder Regierungen den Ausbau von AKWs finanzieren, Klagen einreichen. Dies wurde zum Beispiel in Bezug auf den Ausbau des AKW Paks II in Ungarn und das AKW Hinkley Point 2 in England getan.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Ministerin Köstinger haben in einem gemeinsamen Brief ihre tschechischen Amtskollegen aufgefordert, Österreich in die Auswahl eines Standortes für ein Atommüllendlager mit einzubeziehen. Auf Anfrage der "Wiener Zeitung" heißt es aus dem Umweltministerium: "Wir sind sowohl auf politischer, als auch auf technischer Ebene in ständigem Austausch mit den Tschechen. Diese Gespräche verlaufen sehr professionell, vonseiten der Tschechen vorerst aber noch ohne große Ambition, auf Atomkraft verzichten zu wollen."

Widerstand in Tschechien

Doch auch in Tschechien gibt es Widerstand auf Gemeindeebene. Auf der Suche nach einem Standort für ein Atommüllendlager hatte die zuständige tschechische Behörde für die Lagerung von radioaktivem Müll "SURAO" bereits einige Probleme. Die ursprünglich 27 möglichen Standorte wurden bereits auf sechs Favoriten reduziert, doch die betroffenen tschechischen Gemeinden haben allesamt ihre Zustimmung verweigert. Nachdem die tschechische Regierung die Vorbereitungsarbeiten in diesen Gemeinden für einige Jahre aussetzen ließ, werden die Standorte derzeit wieder geprüft.

Zusätzlich werden Machbarkeitsstudien zur Eignung der beiden AKW-Standorte Temelin und Dukovany durchgeführt. Neun mögliche Standorte zählt die Liste der Atommüllbehörde aktuell. Bis Ende 2018 soll sie auf vier reduziert und bis 2025 zwei Favoriten ausgewählt werden. Für 2050 ist der Baubeginn geplant, damit 2065 der radioaktive Müll dort eingelagert werden kann.

31 tschechische Gemeinden haben sich zu einer "Plattform gegen das Endlager" zusammengeschlossen, um ihrem Widerstand Ausdruck zu verleihen. Mit ihnen pflegen die Mühlviertler Atomgegner einen engen Kontakt und besuchen sie zu gemeinsamen Aktionen, wie beispielsweise bei einem jährlichen Protestmarsch. Die oberösterreichische Landesregierung unterstützt sowohl oberösterreichische als auch tschechische Anti-Atom-Initiativen mit Förderungen, denn von der tschechischen Regierung gibt es keine finanzielle Unterstützung für Atomkraftgegner.

Das Problem mit dem Atommüll ist nicht unbekannt. Seit der Nutzung der Kernkraft beschäftigt die betroffenen Länder die Frage, was mit den Brennelementen passieren soll, wenn sie nicht mehr genutzt werden können. Verschiedene Varianten wurden bereits in Betracht gezogen, stellten sich aber allesamt als nicht realisierbar heraus. Bei Lagerung von Atommüll in Permafrostböden stellt der Klimawandel ein Problem dar. Eine Lagerung im Meer oder unter dem Meeresboden könnte die Ozeane kontaminieren und wurde deshalb durch internationale Abkommen verboten. Ebenso die Lagerung in Gletschern der Antarktis. Schließlich bleibt noch die Möglichkeit, den Atommüll ins Weltall zu schießen. Dabei besteht allerdings, neben extrem hohen Kosten, die Gefahr eines Unfalls beim Start einer Rakete, die mit radioaktivem Material beladen ist.

Problem Atommülllagerung

Zusammengefasst: "Es gibt keine schöne Lösung für das Problem", sagt Wolfgang Kromp vom Institut für Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur Wien. Auch Manfred Doppler vom Anti-Atom-Komitee Freistadt ist sich bewusst: "Am Ende wird kein Weg an einem Atommülllager vorbeiführen." Kritisiert wird vor allem die fehlende Transparenz bei der Standortauswahl. Dass die tschechische Regierung neuerdings die Standorte Temelin und Dukovany in Betracht zieht, habe vor allem damit zu tun, dass man in diesen Gemeinden mit weniger Widerstand rechnen würde, weil sie schon lange mit der Atomkraft leben und vom Energieversorger CEZ finanziell unterstützt werden, sagt der Anti-Atom-Beauftrage der oberösterreichischen Landesregierung, Dalibor Strasky. Die tschechische Atommüllbehörde weist diese Kritik auf Anfrage zurück: "Der Schwerpunkt des Standortauswahlprozesses wird immer sein, den sichersten Standort für ein Endlager zu finden."

Wenn man mit dem Problem verantwortungsbewusst umgehen will, müsse man die Bevölkerung in die Standortwahl mit einbeziehen, sagt Manfred Doppler, und vor allem aufhören, neuen Atommüll zu produzieren.