Unsere Gesellschaft erbringt zahlreiche, die menschliche Würde sichernde Leistungen: | Kleinkindern vermitteln wir Urvertrauen, Neugierde, Lebensbilder der Geborgenheit und Zuversicht, Entfaltung der Motorik, Leben mit der Natur, erste musische Erfahrungen...
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Schulkindern vermitteln wir Basiskompetenzen, wir fördern ihre Talente und helfen ihnen, Interesse und Freundschaft zu entwickeln .
Jugendliche führen wir in die Welt des Gemeinwesens ein: in Vereine, Cliquen etc.; wir bieten ihnen zahllose Engagementmöglichkeiten.
Für Erwachsene gibt es viele Non-profit-Dienstleistungen: kulturelle Angebote wie Laientheater, Mütterrunden und Hobbyvereine.
Alten Menschen bieten wir Pflege und Betreuung, die ein würdevolles Altern und Sterben gewährleisten.
Viele weitere Leistungen erbringen wir, ohne dafür Geld zu verlangen: Feuerwehren, Elternvereine, karitative Einrichtungen.
Alles das ist Arbeit: Freiwillige, nicht bezahlte Arbeit, ohne die unser Leben und unsere Gesellschaft schnell das Attribut "humane Gesellschaft" einbüßen würde. Aber jene Bürger, die diese Arbeit leisten, bleiben ziemlich unbedankt. Andere, die solche Leistungen nicht erbringen, erhalten die Gratifikationen: Sie verdienen besser und haben daher einen besseren Pensionsanspruch. Pflege von Kindern, Enkeln oder Alten, die Leistungen der Feuerwehr, der sozialen Hilfsorganisationen etc. bringen bestenfalls Anerkennung bei Nachbarn.
Da wir alle diese Leistungen brauchen, müssen wir neue Trägerorganisationen aufbauen und bezahlte Mitarbeiter beschäftigen. Wer soll das bezahlen und mit welchem Geld? Arbeit wird heute schon mit über 100 Prozent Aufschlag auf die Nettogage besteuert. Wer wundert sich, dass vor allem die kleinen und mittelständischen Betriebe nicht mehr genug (junge) Menschen beschäftigen? Ein Selbständiger mit mittlerem Einkommen zahlt bereits jetzt fast 70 Prozent seines Brutto-Umsatzes an den Staat. Woher wollen wir die Pflegekosten für die Alten, die Betreuungskosten für die Kinder finanzieren?
Wir brauchen viel Arbeitsleistung, die nicht als Erwerbsarbeit bezahlt werden kann. Aber wir müssen dafür auch Gratifikationen schaffen. Eine Möglichkeit bestünde darin, definierte Gemeinwesen- und Humanarbeit als zweite Säule für den Pensionsanspruch auszubauen. In Ansätzen tun wir das bereits bei der Anrechnung von Erziehungszeiten für Mütter. Warum soll nicht auch die Pflege von Angehörigen oder Nachbarn, die Übernahme flexibler Aushilfe oder Betreuungsfunktionen für Kinder usw. mit einem Anrechnungssatz zur Pensionsberechnung belohnt werden?
Der neue Bundeskanzler hat in eine richtige Richtung gedacht: die Studiengebühren mit sozialen Leistungen zu junktimieren. Eine Gesellschaft funktioniert nur, wenn sowohl Erwerbsarbeit als auch gemeinnützige Arbeit geleistet wird. Beide sind erforderlich. Wir müssen aber auch beide anerkennen.
Warum verbreitern wir unser System des Pensionszugangs nicht und schaffen einen zweiten Leistungsanspruch für den Pensionserwerb: nämlich nicht oder nur wenig honorierte Gemeinwesen-Arbeit. Wir könnten diese beiden Zugänge zum Pensionsanspruch unterschiedlich gewichten, sie beispielsweise mit einem Punktesystem bewertbar machen. Aber die Menschen sehen nicht ein, dass jemand, der immer berufstätig war und verdient hat, sich aber überhaupt nicht um das Gemeinwesen, das soziale Leben, die Erziehung und Betreuung der Kinder gekümmert hat, eine bessere Pension erhält als jene Menschen, die wenig verdient, aber viel für die Allgemeinheit getan haben.
Durchaus würden viele Menschen gern auch außerberuflich für nützliche Aufgaben zur Verfügung stehen. Aber ein wenig Anerkennung sollte es geben.