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Gemeinsam gegen IS

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson aus Erbil

Politik

Kurden aus Syrien, der Türkei und dem Irak starten eine Offensive gegen die Radikalislamisten.


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Erbil. "Die wollen bleiben." Die Herrenrunde in einem Hotel in der kurdischen Stadt Erbil ist sich einig. "So schnell werden wir die nicht wieder los." Die Rede ist von der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Langsam wird den über 30 Millionen Einwohnern des Lands zwischen Euphrat und Tigris klar, dass die Eroberung großer Teile des Nordiraks in den vergangenen Wochen keine Eintagsfliege gewesen ist. Seitdem gibt es nur ein Thema: Daash, wie die Truppe mit den schwarz vermummten Killern auf Arabisch heißt, die im Westen bis vor kurzem unter dem Namen Isis bekannt war. Auch bei den Herren im Hotel in Erbil ist IS Thema Nummer eins. "Die Peschmerga sind bereit, in Mossul einzumarschieren und die Stadt von den Terroristen zu befreien", gibt sich General Abdul Rahman Koreni kämpferisch. Er ist Kommandeur der Peschmerga, jener kurdischen Kämpfer, die früher gegen Saddam Hussein und für ein autonomes Kurdistan kämpften und heute die Sicherheitskräfte zum Schutz Irak-Kurdistans aufbieten. Koreni kündigt an, dass seine Truppen IS aus dem nordirakischen Mossul verjagen werden.

"Die Peschmerga sind bereit, in Mossul einzumarschieren und die Stadt von den Terroristen zu befreien", sagt der General. Tags darauf bringt ein Militärtransporter aus den USA moderne Waffen, Munition und technisches Gerät. Doch bisher haben die Peschmerga lediglich die Hoheit über den Staudamm zurückerkämpft. Nun wollen die Gegner von IS das Blatt wenden. Am Mittwoch starteten kurdische Kämpfer aus dem Irak, der Türkei und Syrien ihre Gegenoffensive. Mit dabei seien Mitglieder der in der Türkei verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sowie der syrischen Partei der Demokratischen Union (PYD). Diese gingen in der Region von Sindschar gegen IS vor, erklärte der irakische Kurdenvertreter Hallo Pendschweni. Irakische Peschmerga-Kämpfer versuchten indes, Gebiete nördlich und östlich von Mossul zu sichern. IS hatte in den vergangenen Tagen weite Gebiete zwischen Mossul und der Grenze zu Syrien erobert, darunter die Städte Sindschar und Sumar sowie mehrere Ölfelder und angeblich sogar ein Kraftwerk, das weite Teile des Irak mit Strom versorgt.

Iraks Armee zerfällt

Zwar leisten mehrere Gruppierungen IS Widerstand, gleichzeitig hat sich die irakische Armee praktisch aufgelöst. Die trotz der massiven Desertionen noch verbliebenen Soldaten haben sich entlang ethnischer und religiöser Grenzen unterschiedlichen Milizen angeschlossen. Das ehedem von der US-Administration mit viel Geld verfolgte Ziel einer gesamt-irakischen Armee, in der alle Volksgruppen des Landes ihren Dienst leisten, ist gestorben. Die kurdischen Soldaten haben sich der Peschmerga angeschlossen; Sunniten kämpfen entweder auf Seiten von IS, mit den in die Rebellion involvierten Stämmen und ehemaligen Baath-Parteimitgliedern oder halten sich versteckt, um nicht der Rache der Aufständischen zum Opfer zu fallen; schiitische Soldaten kämpfen mit der wiederbelebten Mahdi-Miliz des Schiitenführers Moktada al-Sadr, der von ihr abgespaltenen Asaib Ahl al Haq oder den vom Iran geschickten Al-Quds-Brigaden.

Die Zerklüftung der Sicherheitsstruktur angesichts der Bedrohung durch Daash ist jedoch ein Riesenproblem. Es gäbe keine Strategie, keine Doktrin, sagt der Parlamentsabgeordnete Alaa Makki von der Allianz "Watani" des früheren irakischen Premierministers Ijad Allawi. Auch die Amerikaner wissen um die Schwierigkeit, unter diesen Umständen dem Irak zu Hilfe zu eilen. "Sie können Bagdad verteidigen", schätzt der Generalstabschef des Washingtoner Verteidigungsministeriums, Martin Dempsey, die Kapazitäten der irakischen Streitkräfte ein. Für eine Gegenoffensive reiche es aber bei weitem nicht aus.

50.000 Jesiden auf der Flucht

Infolge der Kämpfe seien rund 50.000 Mitglieder der Jesiden in die Flucht geschlagen worden, sagte ein Peschmerga-Kämpfer. Die Angehörigen der kurdisch-stämmigen Minderheit aus vorislamischer Zeit hielten sich auf einem Berg in der Nähe der Stadt Sindschar versteckt, wo ihnen der Hungertod drohe. Die Extremisten von IS bezeichnen die Jesiden als Teufelsanbeter und verfolgen jeden, der nicht zum Islam übertritt. Meldungen über Massenhinrichtungen, Entführungen und Vergewaltigungen jesidischer Frauen machen derzeit die Runde, sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln.