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Gemeinsam in Ottakring - und auf dem Weg in die EU

Von Martyna Czarnowska

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Auch ohne neuen Reformvertrag ist eine Aufnahme Kroatiens und der Türkei in die EU möglich.


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Hupen tun sie jedenfalls mehr als die Kroaten. Wie in Istanbul, wenn Galatasaray die Superliga gewinnt, ist es in Wien nach dem Sieg der Türken gegen die Tschechen zugegangen. Als ob die Türken bereits Fußball-Europameister geworden wären, fuhren sie Sonntag Nacht mit wehenden roten Fahnen und aus dem Autofenster gebeugten Oberkörpern den Gürtel entlang.

Auch am Freitag wird in Ottakring gefeiert werden - egal wer das Match gewinnt. Denn da spielt Kroatien gegen die Türkei. Und Vertreter beider Nationen gibt es in Ottakring etliche. Die jungen sind hier aufgewachsen, ihre Eltern sind teilweise mit Bussen nach Österreich geholt worden. In den 60- und 70er-Jahren haben österreichische Unternehmen sogar Agenturen angeheuert, die in der Türkei Arbeitskräfte rekrutiert und die Reise organisiert haben.

Geht es nach den Regierungen in Zagreb und Ankara, sollten alle Kroaten und Türken EU-Bürger werden. Geht es nach der Meinung vieler Österreicher, wären die einen weit willkommener in der Europäischen Union als die anderen. Die Gegner eines möglichen EU-Beitritts der Türkei könnten sich nun durch die Ablehnung des EU-Reformvertrags in Irland im Aufwind glauben: Ohne neue Strukturen sei die Union nicht imstande, sich weiter auszudehnen, wäre ihr Argument. Unberücksichtigt bleibt dabei, dass das irische Nein kaum Auswirkungen auf die Erweiterung haben kann.

Denn eine EU-Mitgliedschaft Kroatiens ist auch auf Basis der derzeitigen EU-Verträge möglich. Im Beitrittsvertrag mit Zagreb könnte sogar die Möglichkeit weiterer Aufnahmen fixiert werden. Das könnte sowohl für Serbien oder Mazedonien als auch für die Türkei gelten. Diese hat aber sowieso noch einen langen Weg vor sich; eine Mitgliedschaft früher als in zehn Jahren ist kaum denkbar. Bis dahin kann sich die Türkei sehr gewandelt haben - und Europa auch.

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Im Moment hat die türkische Regierungspartei AKP allerdings andere Probleme. Sie hat gerade ihre Verteidigungsschrift beim Verfassungsgerichtshof eingereicht, der ein Verbotsverfahren gegen die islamisch geprägte Partei eingeleitet hat. Der Generalstaatsanwalt wirft der AKP vor, im "Zentrum anti-laizistischer Aktivitäten" zu stehen.

Dies sei rechtlich haltlos, politisch motiviert und Ausdruck einer "Paranoia", erwidert die Fraktion von Premier Recep Tayyip Erdogan. Zahlreiche Beweismittel würden auf Medienberichten beruhen, welche die Staatsanwaltschaft aus dem Internet heruntergeladen habe. Deswegen spricht die AKP auch von einem "Google-Prozess".

Wegen der innenpolitischen Turbulenzen hat Erdogan auch die Teilnahme am EM-Eröffnungsspiel der Türkei abgesagt. Am Freitag aber will der Fußballfan nach Wien kommen. Schließlich wäre er in seiner Jugend beinahe selbst Profispieler geworden.

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