Die palästinensische Einheitsregierung bringt frischen Wind. Unklar bleibt, wohin er weht.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Ramallah. Dass Palästinenser- Präsident Mahmud Abbas gerade eine neue Einheitsregierung eingeschworen hat, löst bei Fahid, einem palästinensischen Bauarbeiter, kaum Emotionen aus. "Weder der Präsident noch irgendeine andere Partei wird uns Frieden bringen", sagt der 47-Jährige, während er mit israelischen und palästinensischen Arbeitskollegen auf der Baustelle eines Büroturms in Tel Aviv beim Mittagessen sitzt. "Hättest du mich vor zwanzig Jahren gefragt, hätte ich was anderes gesagt. Aber heute kümmert mich nur eines: Wie ich mit meiner Arbeit genug Geld für meine Frau und meine sechs Kinder nach Hause bringen kann."
Weil er in Israel mindestens das Doppelte verdient, nimmt Fahid fünf Tage die Woche eine Odyssee auf sich, die ihn aus seiner Heimatstadt Hebron über Israels Militärkontrollpunkte nach Tel Aviv und wieder zurück führt. Nationalpolitik, Regierung und Widerstand sind für ihn mehr Nostalgie als bedeutsame Gegenwart. Die Errungenschaften der politischen Eliten in Ramallah hinken den Veränderungen am Boden hinterher, meint er: "Selbst wenn es bald Wahlen gibt, wo ist der Staat? Ohne Israels Erlaubnis können wir uns nicht einmal bewegen. Genauso wenig Abbas und seine Minister."
Dennoch: Eine Regierung, die aus unparteiischen Technokraten besteht und sowohl von der islamistischen Hamas als auch von der gemäßigten Fatah unterstützt wird, ist durchaus ein Durchbruch. Auch wenn dieser erst durch den akuten Mangel an Alternativen möglich wurde. "Wir sehen das Resultat von zwölf Jahren fehlgeschlagener Verhandlungen", sagt der frühere Präsidentschaftskandidat Mustafa Barghouti, einer der führenden Vermittler im Hamas-Fatah-Versöhnungsprozess. "Die neue Strategie soll das Kräfteverhältnis ändern. Durch zivilen Widerstand, Boykott und palästinensische Einheit."
Präsident Abbas hat bereits angekündigt, innerhalb von sechs Monaten Wahlen abhalten zu lassen. Um das Ziel zu erreichen, müsste vor allem an der Graswurzel ein Klima des Vertrauens geschaffen werden, sagt Barghouti. Das betrifft vor allem die Verhaftungen und Einschüchterungen politischer Aktivisten der jeweils anderen Seite. Und langfristig brauche eine nationale Einheit ein wahres Mehrparteiensystem. "Viele leben aber immer noch den Traum des Einparteiensystems."
"Es gibt keinen Grund, den Atem anzuhalten", sagt Ofer Zalzberg, Israel-Experte der International Crisis Group. "Die neue palästinensische Regierung soll für einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten im Amt sein. Aber tatsächlich könnte sie viel länger regieren." Das liegt vor allem daran, dass weder die Fatah noch die Hamas bereit sind, ihre Machtbasis leichtfertig für Neuwahlen aufs Spiel zu setzen.
Innerhalb der Fatah könnte sich zudem bald viel ändern, wenn die Nationalbewegung am 4. August ihren Kongress abhält, um über die neuen Parteispitzen abzustimmen. Abbas werde sich wohl nicht mehr zur Wahl stellen, glaubt der palästinensische Journalist Daoud Kuttab. Und somit könnte der Fatah-Kongress eine völlig neue Generation von Anführern hervorbringen. Um Wahlen einzuleiten, muss der Präsident mindestens drei Monaten vor dem Wahltermin die Wahlkommission mit der Vorbereitung beauftragen. Doch die Vergangenheit zeigt, auf welch wackligen Beinen entsprechende Hoffnungen ruhen. Auf die Frage, wie oft man sich seit dem vergangenen Urnengang im Jahr 2006 schon auf Parlamentswahlen "vorbereitet" habe, meint Farid Taamallah, der Sprecher der Wahlkommission: "Wir bereiten uns seit 2006 jeden Tag auf Wahlen vor, wir sind bereit." Rund 1,9 Millionen Wähler hat die Kommission mit Stand Mai 2014 registriert.
Für Israel scheint der frische Wind aus Ramallah vor allem Bedrohung zu verkörpern. "Abbas sagte ja zum Terrorismus und nein zum Frieden", erklärte Premier Benjamin Netanyahu. Doch damit wolle er vor allem ein innenpolitisches Zeichen setzen, meint Zalzberg: "Israel wird die neue Regierung ausnutzen, um seine Position im Spiel um internationale Schuldzuweisungen zu stärken. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit der palästinensischen Autonomiebehörde aber weiterlaufen."