Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Während die Politik die EU- Erweiterung noch diskutiert, wird sie von der Wirtschaft schon gelebt: Durch Direktinvestitionen und intensivierte Handelsbeziehungen mit den künftigen Partner in der Europäischen Union hat die österreichische Wirtschaft die Erweiterung bereits vorweggenommen. Die Position der österreichischen Wirtschaft angesichts der nahenden EU-Erweiterung lässt sich mit drei Schlagworten charakterisieren: "Wachstum" für den gesamten Wirtschaftsstandort, "Wettbewerb" durch eine Vergrößerung des Wirtschaftsraumes und "Wohlstand" durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Die österreichische Wirtschaft kann in diesem Zusammenhang bereits Erfahrungswerte aufweisen: Wir haben bereits von der Ostöffnung seit 1989 enorm profitiert. Durch die Ostöffnung wurden in Österreich rund 57.000 neue Arbeitsplätze geschaffen, laut aktueller Studien werden durch die Erweiterung rund 27.500 neue Jobs in Österreich entstehen.
Die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) sind jedenfalls der wichtigste Zukunftsmarkt für die österreichische Wirtschaft. Der Anteil der mittel- und osteuropäischen Staaten an den österreichischen Exporten stieg von 9,9% im Jahr 1989 auf 16,9% im Jahr 2001. Jeder siebente Exporteuro wird also in diesen Ländern verdient. In absoluten Zahlen haben sich die Exporte im diesem Zeitraum nahezu verdreifacht und erreichten im Jahr 2001 bereits einen Wert von rd. 12,6 Mrd. Euro, was einer Steigerung gegenüber 2000 um plus 10,5% entspricht. Damit ist Mittel- und Osteuropa (nach der EU) die weitaus wichtigste Außenhandelsregion für Österreich.
Einen besonderen Stellenwert erreichen die Beziehungen mit den künftigen EU-Partner angesichts des weltweit stotternden Konjunkturmotors. Aus der Erweiterung werden wichtige Wachstumsimpulse für die heimische Wirtschaft kommen. Die MOEL erreichen bereits jetzt Wachstumsraten, die zwei bis dreimal über den Wachstumsraten von Österreich und der EU- Länder liegen werden. Der Chancenreichtum liegt für die österreichischen Wirtschaftstreibenden darin, die steigende Kaufkraft und den wirtschaftlichen Aufholbedarf bestmöglich zu nutzen und erfolgreich zu einem Abschluss zu bringen.
Trotz des Chancenreichtums bestehen im Zusammenhang mit der Erweiterung Ängste die nur durch vertrauensbildene Maßnahmen beseitigt werden können. So hat sich gezeigt, dass die Angst vor "Billigarbeitskräften" und "Billiganbietern" aus den MOEL ungerechtfertigt sein wird. Im Zuge der Verhandlungen ist es der WKÖ gelungen etwaige Nachteile durch die derzeit noch bestehenden, unterschiedlichen Lohnniveaus zu verhindern. Diese ausverhandelten, bis zu 7- jährigen Übergangsfristen im Bereich der Personen- und Dienstleistungsfreiheit werden einen flexiblen, geregelten Zugang auf den österreichischen Markt gewährleisten. Nur diejenigen Arbeitskräfte und Dienstleister, die der heimische Markt auch tatsächlich absorbieren kann, werden Zugang auf den österreichischen Markt bekommen.
Österreich darf sich auf den guten Aussichten aber nicht ausruhen, es besteht durchaus Handlungsbedarf. Die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Österreich kann nur dann aufrecht erhalten werden, muss in den kommenden Monaten ein Vitalprogramm für den Wirtschaftsstandort umgesetzt werden. Das bedeutet, Maßnahmen in folgenden Bereichen zu setzen: In der Arbeitsmarktpolitik muss es zu einer Entlastung des Faktors Arbeit ebenso kommen wie zu einer Flexibilisierung der Arbeitszeit. In der Steuerpolitik benötigt die österreichische Wirtschaft u.a. eine niedrigere Besteuerung nicht entnommener Gewinne. In der Bildungspolitik geht es um eine Modularisierung des Ausbildungssystems und mehr "Marketing" für Selbständigkeit. Forciert werden muss die Forschungs- und Technologiepolitik etwa durch eine Verdoppelung der Kompetenzzentren, Fachhochschulen sowie Gründer- und Innovationszentren und einem leichteren Zugang zu europäischer Forschungsförderung. In der Verkehrspolitik müssen wir, um den Bedürfnissen einer modernen, zeitgemäßen, international verflochtenen und arbeitsteiligen Wirtschaft zu entsprechen, zu durchdachten und vernetzten Verkehrsanbindungen kommen.
In Bezug auf die viel diskutierten Kosten der EU- Erweiterung muss eines klar gestellt werden: Österreich leistet als Nettozahler bereits einen bedeutenden Beitrag zum EU- Budget und rangiert unter den Nettozahlern pro Kopf an fünfter Stelle. Gesamt gesehen wird die EU-Erweiterung jeden österreichischen Staatsbürger pro Kopf rund 28 Euro kosten - im Vergleich zu den Ausgaben für Glücksspiele, für die jeder Österreicher 2001 rund 154 Euro, also mehr als das fünffache ausgegeben hat, ein Betrag, der vergleichsweise gering und zukunftsträchtig investiert erscheint.
Gemäß einer von der WKÖ in Auftrag gegebenen WIFO- Studie würde eine Verzögerung der EU-Erweiterung Österreich in den nächsten sechs Jahren etwa 0,80 % Wirtschaftswachstum oder 1,66 Mrd. Euro und rund 8000 Arbeitsplätze kosten. Allein die weiter bestehen bleibenden Grenzformalitäten samt Grenzwartezeiten würden die österreichischen Exporteure in den nächsten sechs Jahren 470 Mio. Euro kosten - also etwa 5% des Warenwertes. Bei einem Nichtbeitritt der 10 Kandidatenländer läge auch die heimische Inflationsrate jährlich etwa 0,33% höher.c
Die Kosten der EU-Erweiterung um 10 neue Mitgliedsstaaten sind also wesentlich geringer als die Kosten einer Nicht-Erweiterung. Aufgrund der geographischen Lage und den florierenden Handelsbeziehung Österreichs zu den Kandidatenländern ist es rentabel, in das "Geschäft" EU-Erweiterung zu investieren: Der potentielle Gewinn liegt nicht in der Hand des Zufalls, sondern manifestiert sich vielmehr in handfesten Zahlen und Prognosen. Dabei ist noch nicht einmal der positive Effekt einer erweiterten Friedens- und Stabilitätszone berücksichtigt. Das größte Risiko für die Zukunft eines vereinten und sicheren Europas wäre, wenn wir diesen historischen Moment der Einigung unseres Kontinents nicht aktiv mitgestalten, weil uns auf den letzten Metern der Mut verlassen hat. Nutzen wir gemeinsam diese Chance, damit sie uns allen zugute kommen kann.