Zum Hauptinhalt springen

Gen-Rassismus?

Von Peter Bochskanl

Wissen

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Zumindest in den westlichen Demokratien bemühen wir uns ernsthaft, Rassismus und Fremdenhass zu bekämpfen. Andererseits schlagen viele heute führende Politiker - wie seinerzeit die Habsburger - Grillparzers Warnung vor derer enger Verwandter, der "Nationalität", und ihrem kurzen Weg "zur Bestialität" in den Wind. Sie setzen noch immer auf den Nationalismus als innenpolitische Schubkraft, wie nun ganz deutlich Frankreichs Präsident Chrirac: Nachdem er - auch mit dem Österreich-Hebel - wieder die unangefochtene Führungsrolle Frankreichs in der EU zurückerobert hat, will er die Zukunft der Union in die Richtung einer Gemeinschaft von Nationalstaaten statt in jene eines europäischen Bundesstaates lenken. Auch der kontinentale Wettkampf von Nationalmannschaften dient wohl eher mehr dem Geschäft als dem Abbau trennender Nationalismen.

In diesem zwiespältigen Umfeld jubeln wir nun darüber, dass die Wissenschaft den Bauplan des Menschen (fast) vollständig entschlüsselt hat. So grandios dieser Erfolg ist, so große Gefahren birgt er auch in sich.

Einerseits verheißt dieser Durchbruch praktikable Möglichkeiten, Gen-Defekte so rechtzeitig zu erkennen und zu reparieren, dass der betreffende Mensch nicht die durch seine Gene vorprogrammierten Krankheiten erleiden muss: Leben werden verlängert, die Lebensqualität für viele wesentlich erhöht werden können. Aber das ist wohl Musik einer weiter entfernten Zukunft.

Auf der anderen Seite lauert die Gefahr eines neuen Rassismus. Und die ist schon jetzt zum Greifen nahe: Die Rasse der Gen-Perfekten und die Rasse der Gen-Defekten entstehen sehr rasch, wenn etwa Firmen von Stellenbewerbern Gen-Tests verlangen und ihre Anstellungsentscheidung von den Testergebnissen abhängig machen; aber auch wenn Versicherungen das genetische Programm eines Versicherungsnehmers als Basis für ihre Prämiengestaltung nehmen. Diese Bespiele zeugen von einer drohenden Unmenschlichkeit, Leben mit dem ungewollten Wissen über unausweichlich erhöhtes Erkrankungsrisiko und wahrscheinlich frühzeitigem Tod zu belasten. Vor allem aber zeigen sie ein neues Spaltungsmuster für die Gesellschaft, das wohl keinen Stein humanitärer und sozialer Errungenschaften auf dem anderen ließe.

Schon hört man den lässigen Hinweis, das Pendel schlage eben zurück: Früher habe eben die Lehrmeinung dominiert, der Mensch werde hauptsächlich von seinem Erbgut geprägt, Milieu und Erziehung könnten da nicht viel ändern; dann sei die Mileutheorie gekommen, die den Menschen eher als Produkt seiner Umwelt sah. Jetzt gehe es eben wieder in die andere Richtung.

Aber hier geht es nicht mehr um ein eine Diskussion über Pendelschläge von Theorien, sondern um Realitäten, die mit Riesenschritten auf uns zukommen. Denn natürlich werden im globalen Wettbewerb stehende Firmen auch die Gen-Analyse eiskalt zur Gewinnmaximierung nutzen, wenn man sie lässt. Hier hat ihnen eine verantwortungsbewusste Politik in den Arm zu fallen. Sie muss Regeln aufstellen und global durchsetzen, die den Gen-Rassismus erst gar nicht entstehen lassen. Hier sind Staatsmänner und internationale Organisationen gefordert, die vorrangige Tragweite dieses Problems rasch zu erkennen und umgehend zu handeln.