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Gendern, gendern über alles

Von Gerhard Strejcek

Reflexionen

Gedanken zur deutschen Nationalhymne, deren Text von August Hoffmann (von Fallersleben) - und zur Funktion von Hymnen im Allgemeinen.


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Nun soll auch der Text der deutschen Hymne, deren Melodie vom Österreicher Josef Haydn (geboren 31. 3. 1732 in Rohrau, NÖ) stammt, "gegendert", das heißt von allzu ausgeprägten, maskulin-patriarchalischen Elementen befreit werden. Das betrifft folgende, hier in Klammern gesetzte Änderungen bzw. Varianten, die derzeit nur angedacht sind: "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland" (neu wäre: Heimatland); danach lasst uns alle streben brüderlich (neu: couragiert) mit Herz und Hand".

In Deutschland kommt der Versuch, statt "Vaterland" künftig "Heimatland" und statt "brüderlich" das Fremdwort "couragiert" zu verwenden, nicht bei allen Adressaten gut an. Auch Bundeskanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier reagierten skeptisch bis ablehnend auf den Vorstoß, der im Gefolge der Anpassung der kanadischen Hymne und der österreichischen Bundeshymne erfolgt. Und ein französisches Fremdwort, das Bert Brecht zu seiner "Mutter Courage" anregte, ausgerechnet im "Lied der Deutschen", na ja, das wird nicht jedem gefallen.

In Österreich ist es vor allem die Passage "Heimat großer Töchter und Söhne" anstatt "Heimat, bist du großer Söhne", die zunächst für Anstoß sorgte, heute aber trotz der geringfügig ungünstigeren Anpassung der (zu vielen) betonten und unbetonten Vokale an die Melodie und des Eingriffs in das Original von Paula von Preradović (der laut Judikatur zulässig ist und weder Rechte der Autorin noch des Sessler-Verlags verletzt hat) bereits etabliert ist. - Der ursprüngliche Text erschien übrigens zunächst nach einer TV-Ansprache des damaligen Unterrichts-Ministers Hurdes in der "Wiener Zeitung" Nr. 58 vom 9. März 1947.

Hoffmanns Text

Derzeit singen die Deutschen die dritte Strophe eines von August Hoffmann, genannt Hoffmann von Fallersleben (2. April 1798 in Fallersleben - 19. Jänner 1874 in Höxter), betont national gedichteten Texts. Während die Melodie schon um 1797 entstand und dem Habsburger Kaiser Franz gewidmet war, folgte Hoffmanns Text erst um 1841. Der Autor von "Alle Vögel sind schon da" nannte diesen Liedtext "Das Lied der Deutschen", umgangssprachlich wurde dieser als "Deutschlandlied" bekannt.

Lange bevor dieser Text Hymnenehren erhielt, sangen ihn deutschnationale Burschenschafter und Verbindungen, auch in "österreichischen" Corps natürlich, was eine eindeutige Botschaft an die Habsburger beinhaltete. Wer demnach das "Lied der Deutschen" öffentlich, das heißt den Ohren der Obrigkeit zugänglich sang, konnte mit Verhaftung oder Anklage wegen Hochverrats rechnen. Viele Burschenschafter sahen, vor allem nach der Reichsgründung 1871, die Hohenzollern als das eigentliche deutsche Herrschergeschlecht an und wollten vom Vielvölkerstaat nichts mehr wissen. Wohin dies letztlich führte, ist bekannt.

Aber zurück zum "Lied der Deutschen": Unter dieser Überschrift und der fortlaufenden Nummer 24 (S. 22f.) finden sich Noten und Text in Schauenburgs "Allgemeinem Deutschen Kommersbuch" (Hrsg. Silcher/Erk, 81.85. Aufl., Lahr um 1900). Unsere gut 80 Millionen Nachbarn haben demnach keine Hemmung, ein Lied aus einem Kommersbuch zu singen, wie sanft ironisch angemerkt sei. Und es stört sie auch nicht, bei internationalen Anlässen den Text genau so zu singen, wie er in damals verbotener Weise auch schon bei den Burschenschaften in der k.u.k. Monarchie und in der Ersten Republik anstelle des "Kaiserlieds" und der nachfolgenden Kernstock-Hymne gesungen wurde. Warum auch nicht?, könnte man antworten. Was kümmert es die Deutschen, dass unsere Burschenschafter - und ab 1871, aber auch um 1918/19 sowie in den späten 1920er Jahren - auch viele Politiker (außerhalb der NSDAP) "Anschluss"-Phantasien entwickelten?

Ganz unproblematisch scheint es dennoch nicht zu sein, einfach eine einzelne Strophe aus dem nationalistischen Kontext des Fallersleben-Textes zu reißen, der natürlich auch in der dritten Strophe deutschnationale Codes enthält. Aber das soll jeder und jede selbst beurteilen, denn der Text hat auch seine Qualität: "Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland, danach lasst uns alle streben brüderlich mit Herz und Hand! Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand. Blüh’ im Glanze deines Glückes, blühe, deutsches Vaterland!" So lautet die Strophe des hundert Jahre vor dem Unternehmen "Barbarossa" entstandenen Liedes, das auch in jener Zeit gesungen wurde, als Deutschland beinahe moralisch und physisch verblüht wäre.

Ist der heute gängige Text der deutschen Hymne verständlich? Weiß tatsächlich jeder Zweitligisten-Verteidiger in der deutschen Bundesliga, was "des Glückes Unterpfand" bedeutet? Es reimt sich zwar "Unterpfand" sehr schön auf "Vaterland", aber Pfandrecht ist, wie jeder Jusstudent weiß, nicht nur eine römische (ja, Herr von Fallersleben, ein Import aus Rom/ Konstantinopel!), sondern eine diffizile Angelegenheit. Und warum gerade Einigkeit und Recht und Freiheit zum Glück in einem sachenrechtlichen Verhältnis stehen sollen, mag womöglich auf Unverständnis stoßen.

Deutsche Werte

Aber was soll man sonst auf "Vaterland" oder, meinetwegen, "Heimatland" reimen: Getriebesand? Ostseestrand? Weltenbrand? Festtagsg’wand? Oder auf Wienerisch: Klump’ und Tand? Das war jetzt bitte nicht ernst gemeint, also weiter "des Glückes Unterpfand", es wird schon jeder wissen, dass Einigkeit+Recht+Freiheit glücklich machen können, es sei denn, man setzt Einigkeit mit Wiedervereinigung, Recht mit Hartz IV und Freiheit mit schrankenlosem Zuzug gleich.

Wird nun über kurz oder lang die Debatte darüber anheben, ob die Deutschen ihren Hymnentext neu dichten, neu fassen oder einen Wettbewerb hiefür ausloben? Oder bleibt es bei einzelnen Versuchen der Genderei. Es gäbe ja noch die Variante, alles beim Alten zu belassen. Die Frauen sind genaugenommen schon sichtbar, nämlich im Text der zweiten Fallersleben-Strophe. Wie ein Treppenwitz der Geschichte mutet an, dass und wie der Dichter des "Lieds der Deutschen" die deutschen Frauen besingt: "Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang, uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang".

Hier ist anzumerken, dass Fallersleben mit dem Attribut "deutsch" nicht gerade sparsam umgeht und, obwohl sich "Sang" auf "Klang" vortrefflich reimt, der Autor elegant kaschiert, dass weder Frauen noch Treue noch Wein einen "Klang" haben. Wer von den vier genannten deutschen Werten (Frau, Treue, Wein, Sang), und vor allem in welcher Weise, zur "edlen Tat" begeistern soll, ist wirklich nicht ganz klar.

Kommen wir zum heiklen Teil der Hymne. Bekanntlich sind die ersten zwei Strophen des "Lieds der Deutschen" heute verpönt, obwohl sie, abgesehen von einem etwas zu stark "deutschtümelnden" und x-mal wiederholten Vers in der ersten Strophe, die heute "verboten" ist, nicht sonderlich anrüchig sind. Punziert wurde dieser Text ("Deutschland, Deutschland über alles") allerdings historisch dadurch, dass ihn nicht nur (auch) die Nationalsozialisten sangen und vor allem in der Phase deutscher Etappensiege 193941, die halb Europa galten, der restlichen Welt den Eindruck vermittelten, dass die Wehrmacht buchstäblich über alles, so auch über Hekatomben von Leichen ging (auch ihrer eigenen Soldaten), um eben "D, D über alles" zu erheben. Die Deutschen spüren bis heute im Ausland instinktiv, dass die Welt sie durchaus mag, aber nicht, wenn sie "D, D über alles" stellen . . .

Die erste Strophe aus dem "Lied der Deutschen" war demnach in einem modernen Deutschland unter der Ägide des Bonner Grundgesetzes und seiner Betonung der Menschenwürde inakzeptabel. Daher fand sich die Nachkriegs-BRD (in der DDR sang man eine andere Hymne) darein, nur die dritte Strophe zu singen, was insofern auch angenehm für die Deutschen ist, weil sie nur eine Strophe ihrer Hymne kennen müssen, wogegen wir Österreicher alle drei Strophen unserer Bundeshymne kennen sollten, aber meist bereits bei der ersten stolpern. Hand aufs Herz, wer kennt schon die dritte Strophe unserer Hymne oder kann diese sogar flüssig absingen? Übrigens kommen dort ja auch Vaterland und Bruderchöre vor, die nach deutschem Muster in "Heimatland" (Mutterland?) und "mutig’ Chören" re-genderiert werden müssten. Das ginge dann aber zu weit.

Hymne stiftet Identität

Meine persönliche Meinung ist daher jene: Im Zweifel soll alles so bleiben wie es ist. Mein konservativer Standpunkt beruht auf der identitätsstiftenden Funktion der Hymne. Ein Hymnentext ist ein Text sui generis, dessen Details nicht auf die Waagschale gelegt werden dürfen.

Auch der Preradović-Text hat meines Erachtens eine grundlegende, nicht zu behebende Schwäche, weil er Österreich als ein pittoreskes Agrarland mit zahlreichen Äckern und Domen hinstellt, aber nicht den Kern der österreichischen Kultur erreicht. Der Text ist vielmehr so oberflächlich wie ein Provinz-Idyll, eine Kleinbahnszenerie mit Häuserln und Schuppen, ein Diarama oder eine der tausend TV-Dokus im "Land der Berge"-Stil.

Österreich ist sicherlich mehr als seine Berge, Dome, Äcker, großen Töchter und Söhne. Die Gewerke-Hämmer schlagen kaum mehr, die Industrie kennzeichnet unser Land kaum, und auf Dienstleistungen kann man keine Hymne gründen. Wie würde das denn klingen, wenn Musils ironische Formulierung vom "Land der Friseure und Kellner" zur Hymne geworden wäre? Aber die Preradović-Zeilen passen zur Melodie, deren Komponist vermutlich Mozart ist, der sie für eine Freimaurerloge komponierte (Bundeslied: "Einig reicht die Hand zum Bunde"); dasselbe gilt für Hoffmann von Fallerslebens dritte Strophe mit Bezug auf die Haydn-Melodie.

Und deshalb können wir getrost weiter unser Freimaurerlied singen - und die Deutschen (weitaus öfter, weil sie ja auch mehr gewinnen) ihren national konnotierten, aber genaugenommen nicht so bösen Kommers-Text aus dem Jahr 1841.

Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Ao. Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Autor.