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Gendiagnostik: Was heute schon möglich ist

Von Richard E. Schneider

Wissen

USA-Ziel: Kosten von DNA-Analysen | Gen-Ursache von 3300 Erkrankungen bereits aufgeklärt. | Tübingen. Der Run auf die Gene hat begonnen: Rasch bauen in mehreren europäischen Ländern Genforscher Gendatenbanken auf, die einzelne Gene und damit assoziierte Erkrankungen speichern. Der Vorteil bei dieser angestrengten Suche: Wer krankmachende Gene kennt, hat praktisch das Schloss für Erkrankungen gefunden. Er kann nun gezielt den genau dazu passenden Schlüssel, ein Medikament, entwickeln.


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Inzwischen ist die DNA von 3300 Erkrankungen aufgeklärt. Weiter sind 2200 einzelne Gene bekannt, die Krankheiten auslösen. Derzeit suchen Wissenschafter in Europa und den USA nach Genen, Genmutationen und SNPs (Single Nucleotide Polymorphism), die Volkskrankheiten wie Diabetes oder Morbus Crohn auslösen. SNPs sind kleine Abweichungen der DNA und mit 11 bis 13 Millionen pro Genom reichlich vorhanden.

Ein weiteres wichtiges Augenmerk gilt der Ökonomie: Der Preis für eine komplette DNA-Analyse eines Menschen soll von 100.000 Dollar (69.000 Euro) auf 1000 Dollar (690 Euro) im Jahr 2015 sinken.

Mit viel Medienecho stellten die beiden Genforscher James Watson und Craig Venter ihre jeweils 2,1 Milliarden DNA-Bausteine zur Sequenzierung zur Verfügung. Venter ließ alles publizieren, Watson untersagte die Veröffentlichung der Gensequenzen, die seine Prädisposition für Alzheimer zeigen. Der greise Medizin-Nobelpreisträger war im Vorjahr durch die verunglimpfende Aussage aufgefallen, die Schwarzafrikaner seien nicht so intelligent wie weiße Menschen.

Gen gemeinsam: Morbus Crohn und Diabetes

Wie kompliziert und zeitintensiv Gendiagnostik ist, zeigt das SNP-Projekt des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN) in Deutschland, das seit Herbst 2006 vom deutschen Bundesforschungsministerium gefördert wird: Beteiligt an dieser NGFN-Studie sind 25.000 Patienten mit 25 verschiedenen Erkrankungen. Der Kieler Experte Stefan Schreiber erläutert den enormen Arbeitseinsatz und Ablauf: "Werden pro Erkrankung 500.000 SNPs in 1000 Patienten zugrunde gelegt, ergibt dies 500 Millionen Patienten-Genotypen, die wir mit 500 Millionen Kontroll-Genotypen zu vergleichen haben." Auf diese Weise kann die Bedeutung jedes einzelnen Gen-Bausteins en detail aufgeklärt werden.

Auch in anderen EU-Ländern ist man aktiv: So unterstützt beispielsweise in England seit 2005 der Wellcome-Trust etwa 50 Genforscher-Gruppen mit rund 200 Wissenschaftern, die insgesamt 10 Milliarden SNPs von 17.000 Patienten mit acht Erkrankungen untersuchen. Sie stellten fest, dass zwei Erkrankungen, Morbus Crohn (Darmentzündung) und Diabetes Typ-2 (Altersdiabetes), das Gen PTPN2 gemeinsam haben.

Bei der Sequenzierung von DNA-Bausteinen soll ein neues Werkzeug, die Nanopore, schneller helfen: Die gesamte DNA-Doppelhelix wird durch die nur nanometergroße Pore gezogen, umgebende elektrische Felder erkennen jeden einzelnen DNA-Baustein und registrieren ihn. Doch gibt es bisher noch kein Lese-Gerät, das binnen Sekunden diese schnelle Registrierungsarbeit verrichten könnte. Es geht um circa 2,1 Milliarden DNA-Bausteine bei Menschen.

Pro Stunde 25 Millionen DNA-Bausteine lesbar

Das schnellste DNA-Lesegerät, ein Chip mit Mikroarray, stammt von Jonathan Rothbergs Firma "454 Life Science" in den USA. Es kann 25 Millionen DNA-Bausteine in einem Durchlauf binnen einer Stunde ablesen. Mit diesem Chip wurde bereits die Knochen-DNA des Neandertalers (homo neanderthalensis) analysiert. Da aber jedes einzelne humane Genom häufig in einzelnen DNA-Bausteinen von einem anderen abweicht - angesichts der 2,1 Milliarden Bausteine fällt dies prozentuell kaum ins Gewicht -, werden bei solchen DNA-Analysen meist gleich 50.000 DNA-Bausteine in einem einzigen Analyseschritt abgelesen. Die Übereinstimmung der DNA von zwei Lebewesen oder Pflanzen stellt also eine grobe Vereinfachung dar.

Fast zwangsläufig ergeben sich durch die Eruierung solch immenser Daten neue öffentliche Datenbanken. Das Rote Kreuz war eine der ersten Organisationen, die eine Blutspender-Datenbank mit Blutgruppen, Rhesus-Faktoren etc. anlegten. Die neuen Bio-Datenbanken werden zukünftig die Arbeit der Ärzte erleichtern. Diesem Trend folgten bereits private Pharmakonzerne: Die Schweizer Novartis AG richtete eine Gendatenbank für Altersdiabetes ein. Auf der Web-Site "www.broad.inst.edu" sind genetische Informationen von über 1500 Diabetes-Patienten aus Schweden und Finnland verfügbar, die mit der DNA von 1500 gesunden Personen aus den beiden Ländern verglichen werden können.

Man versteht schon: Die Genom-Datenbasis soll möglichst einheitlich und bevölkerungstypisch sein. Deshalb entschieden sich die Genforscher in Deutschland für den getrennten Aufbau von süd- und norddeutschen Genom-Datenbanken. Die neue Gendiagnostik wird auch gleich mit der anschließenden Therapie verbunden: Roche, Basel, entwickelte mit seinem Brustkrebsmedikament Herceptin einen dazu passenden HER2-Rezeptor-Test.

Für die Volkskrankheit Diabetes brachte die Genforschung bereits zutage, dass vier größere Regionen im Genom des Menschen mit der Auslösung der Erkrankung eng verbunden sind. Weiter wurde konkret der Gen-Locus TCF722 als wichtig identifiziert. Mit 70-prozentiger Sicherheit kann deshalb ab sofort eine Prognose zur Erkrankung eines Patienten an Diabetes abgegeben werden. Weiters wurde in der DNA ein Protein gefunden, das Zink transportiert. Stoffwechsel-Experten ist bereits bekannt, dass Zink eine Rolle bei der Verpackung und zellulären Sekretion von Insulin spielt.