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Generäle setzen Mursi das Messer an

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Anhänger des Präsidenten machen mobil - Angst vor Bürgerkrieg.


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Kairo. Was war das für ein Jubel vor einem Jahr, als Ägyptens neuer Präsident Mohammed Mursi vor den versammelten Massen am Tahrir-Platz sprach und dem Volk seinen Eid schwor. Auf der Bühne angekommen, zog Mursi das Jackett aus, krempelte die Ärmel seines Hemds hoch, so als ob er sagen wollte, packen wir’s an. Demütig huldigte er den "Märtyrern der Revolution", die für den Kampf um die Freiheit gestorben sind, versprach dem Volk zu dienen und ein Präsident für alle Ägypter zu sein. Auch diejenigen, die dem Muslimbruder bei den Präsidentschaftswahlen nicht ihre Stimme gegeben hatten, waren zum Tahrir-Platz gekommen und versprühten Zuversicht.

Jetzt, ein Jahr später, steht Mursi vor den Trümmern seiner Regentschaft. Massen strömen auf die Straßen Kairos und fordern seinen Rücktritt. Einen Tag räumt die wütende Menge dem Muslimbruder noch ein, dann werde zum zivilen Ungehorsam aufgerufen. Die Armee, die das Feld geräumt und die Macht abgegeben hatte, meldet sich mit einem Paukenschlag in die politische Arena zurück: Binnen 48 Stunden müsse der Konflikt gelöst werden, so die Generäle im ägyptischen Fernsehen, die Forderungen des Volkes müssten erfüllt werden. Dies sei die "letzte Chance" für die Staatsführung. Damit setzt die Armee, einst Geburtshelfer der Revolution, dann gefürchteter Gegner des Volkes, Mursi das Messer an die Kehle. Der Vorstoß der Armee wurde von der Menge am Tahrir-Platz mit großem Jubel aufgenommen. Das Militär fordert, dass alle politischen Kräfte und die Jugend des Landes an der Macht beteiligt werden. Eine direkte Machtübernahme schließt Generalstabschef Abdel Fattah al-Sissi aus. Nach dem Ultimatum habe sich Mursi laut seiner Facebook-Seite allerdings mit al-Sissi getroffen, ein undatiertes Foto der beiden mit einem Lächeln begleitete den Eintrag auf der Internet-Plattform.

Der Hass wächst

Der Hass auf den Präsidenten ist jedenfalls groß: Zuversicht und Hoffnung haben sich längst in Wut und Aggression verwandelt. Poster mit Fotos von Mursi und Mitgliedern der Muslimbruderschaft sind mit roten Kreuzen durchgestrichen, ganz so wie vordem Hosni Mubarak und der Vorsitzende des Militärrats Hussein Tantawi. "Mursi hau ab!", schreit die Menge, und: "Wir wollen einen anderen Präsidenten!" Am späten Sonntagnachmittag setzen sich Demonstrationszüge vom Tahrir-Platz in Richtung Präsidentenpalast in Bewegung. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, wollen einige Protestgruppen den Palast stürmen, der allerdings von der Armee hermetisch abgeriegelt wird. Die Soldaten halten sich zurück, sind lediglich auf Objektschutz fixiert. Panzer stehen vor den Regierungsgebäuden, Militärhubschrauber kreisen sowohl über dem Tahrir-Platz als auch über einer Moschee im Bezirk Nasr City, vor der sich die Anhänger Mursis versammelt haben um ihren Präsidenten zu verteidigen. Welches Lager stärker ist, lässt sich schwer ausmachen.

Ungesicherten Meldungen zufolge wurden 15 bewaffnete Bodyguards der Nummer Zwei der regierenden Muslimbrüderschaft, Khairat El-Shatar am Montag festgenommen. Die Partei dementierte, ihnen zufolge sei nur sein privater Chauffeur nach einem Feuergefecht gekidnappt worden. Zur Schießerei kam es, als Sicherheitsleute die Bodyguards wegen illegalen Waffenbesitzes festnehmen wollten. Die Bodyguards wurden verdächtigt, am Sonntag auf Demonstranten geschossen zu haben.

Am Montagabend wurde die Zentrale der Wasat-Partei in Kairo in Brand gesteckt. Die Partei war in den 1990er Jahren von Mitgliedern der Muslimbrüder gegründet worden und erst nach dem Sturz von Machthaber Husni Mubarak offiziell erlaubt worden. Demonstranten hatten zuvor bereits den Hauptsitz der Muslimbrüder gestürmt und in Brand gesetzt.

Der Protest beschränkt sich nicht mehr nur auf die drei großen Städte Kairo, Alexandria und Suez, wie bei den Demonstrationen gegen Mubarak vor zwei Jahren. Gegen Mursi protestieren die Menschen in 23 der insgesamt 27 Provinzen. Bis zu zwölf Millionen sollen am Sonntag auf den Straßen links und rechts vom Nil gewesen sein, heißt es aus Militärquellen - die größte Protestbewegung in der Geschichte Ägyptens.

Die Stimmung ist angespannt, die Einwohner Kairos befürchten weitere Ausschreitungen in den nächsten Tagen. Durch die Intervention der Armee soll das verhindert werden. Schon jetzt sind mindestens 16 Tote und hunderte Verletzte im ganzen Land zu beklagen. Manche sprechen gar von einem heraufziehenden Bürgerkrieg. Auf dem internationalen Flughafen herrscht derzeit Hochbetrieb. Sämtliche Flüge in die USA, nach Europa und in die Golfstaaten sind ausgebucht. In der Nacht zum Samstag wurde bei Ausschreitungen in der Hafenstadt Alexandria auch ein US-Amerikaner mit einem Messer erstochen. Inzwischen haben vier Minister aus der Regierung ihren Rücktritt eingereicht.

Innerhalb eines Jahres, der Amtszeit Mursis, ist Ägypten nun in zwei unversöhnliche Lager zerfallen. Nun wehrt man sich gegen die "Muslimbrüderisierung".