Irans Führung verstärkt die Polizeipräsenz und veranstaltet Pro-Regime-Kundgebungen.
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Teheran/Wien. Eine Woche nach Beginn der Proteste gegen die iranische Führung mit mehr als 21 Toten und hunderten Verletzten hat das Innenministerium die Polizeipräsenz in allen großen Städten und Dörfern verstärkt und am Mittwoch einige Pro-Regierungsdemonstrationen organisiert. Tausende Staatsbeamte waren dazu aufgerufen, innerhalb der Dienstzeit auf die Straße zu gehen und eine Flagge der Islamischen Republik und ein Abbild des Obersten Geistlichen Führers, Ayatollah Seyed Ali Khamenei, mitzubringen. Viele schwenkten Flaggen und riefen: "Das Blut in unseren Venen ist ein Geschenk für unseren Führer." Außerdem forderten sie lautstark, Aufständische hinzurichten. Auf Transparenten machten sie die USA, Saudi-Arabien, Großbritannien und Israel für die kritischen Proteste verantwortlich.
Brutale Bassij-Milizen
Obwohl einige junge Männer der "Wiener Zeitung" telefonisch bestätigten, dass die Proteste am Mittwoch in Teheran und Shiraz abgeebbt sind, meinten sie unter Zusicherung der Anonymität, dass "die Sache für die da oben noch nicht ausgestanden ist".
Die Polizei habe sich am ersten Tag zurückgehalten, doch ab dann sei sie eingeschritten. Die paramilitärischen Bassij-Milizen hätten Menschenansammlungen aufgelöst und seien dabei brutal vorgegangen. "Ich versuche, Proteste zu vermeiden, doch als die U-Bahn einmal nicht fuhr, musste ich zu Fuß durch eine Demonstration gehen, und es war schrecklich. Die Sicherheitskräfte griffen hart durch", erzählt ein junger Verkäufer aus der Hauptstadt Teheran am Telefon. "Nicht, dass ich mich vor den Sicherheitsbeamten fürchte, nein, aber wenn sie dich erwischen und mitnehmen, dann bist du erledigt", ergänzt er. Teherans sei auch nicht das Epizentrum der Proteste. Zudem findet der Aufstand nicht nur auf der Straße statt. Vielmehr sind es Soziale Medien, die als Stimmungsbarometer fungieren. Eines ist klar: Die größte "Waffe" der Regimegegner im Iran ist ihr Alter: Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung (rund 80 Millionen Menschen) sind unter 30 Jahre alt, im Großraum Teheran (16 Millionen Einwohner) sind 13 Millionen unter 29 Jahre alt.
Und fast alle jungen Menschen haben ein Mobiltelefon und sind Mitglieder bei diversen Sozialen Medien wie YouTube, Instagram, Facebook und Twitter, die im Iran teilweise verboten und nur durch VPN-Systeme (Filterbrecher) zu bedienen sind. Das beliebteste Kommunikationsmittel in der Islamischen Republik ist aber Telegram. Während die App in Europa nur einer unter vielen Messengern ist, sieht die Situation im Iran ganz anders aus: Mehr als 40 Millionen monatlich aktive Nutzer nennen sich "die Generation Telegram". Gerade die zahlreichen öffentlich zugänglichen Informationskanäle, die von unterschiedlichster Seite dafür angeboten werden, erfreuen sich reger Beliebtheit.
Eine Dominanz, die sich nicht zuletzt auch daraus ergibt, dass zahlreiche andere Messenger im Iran schlicht verboten sind, während Telegram versucht, den engen Pfad zwischen legalem Betrieb und staatlicher Zensur zu beschreiten. Nach den Protesten ließ die Führung, die selbst sehr aktiv auf Telegram ist, die App in einigen Städten sperren. Doch die Jugend lässt sich nicht einschüchtern. "Wir haben Hunger, wir wollen Arbeit, die Einhaltung der Menschenrechte und ein besseres Leben", heißt es in einer der Telegram-Gruppen.
Präsident Hassan Rohanis Versprechen, die Menschenrechtslage zu verbessern, ist bisher nicht umgesetzt worden. Seit Juni 2013, als Rohani überraschend gewählt wurde, hat sich nicht wirklich etwas verändert. Journalisten und politische Oppositionelle werden weiterhin eingesperrt, die Zensurmaßnahmen an den Universitäten wurden verschärft und die Zahl der Hinrichtungen ist sogar gestiegen. Freilich hat der Präsident innerhalb des Justizapparates fast nichts zu sagen. Dieser wird unter der Federführung von Ayatollah Sadegh Larijani, dem Bruder des Parlamentspräsidenten Ali Larijani, von den Hardlinern kontrolliert. Das letzte Wort in allen Belangen hat dabei Khamenei.
Rohani zwischen den Fronten
Die Ultrakonservativen und die Hardliner können Rohanis moderatem Kurs nichts abgewinnen und nutzen den Justizapparat, um hart durchzugreifen. Zudem hätten sie gerne alles, was aus dem Westen kommt, verbannt oder verbrannt, Laptops inbegriffen. Für sie sind diese "teuflische schwarze Kästen, aus denen nur Gift herauskommt". Aber die westlich ausgerichtete Konsumgesellschaft muss angesichts der sanktionsbedingt schlechten Wirtschaftslage den Gürtel derzeit ohnehin enger schnallen und sich mit Billigprodukten aus China begnügen.
Rohani, bei seiner Wahl noch als "Scheich der Hoffnung" bezeichnet, dürfte sich Reformen einfacher vorgestellt haben. Erst in den vergangenen Tagen beschwerte er sich mehrmals über die strenge Zensur. Wie er mit den Demonstranten umgehen soll, weiß er nicht so recht. Einerseits gesteht er ihnen Kritik zu, andererseits muss er einsehen, dass sich ihre Kritik gegen die Mullahs, also auch gegen ihn selbst richtet. Viele Perser jedenfalls drängen Rohani nach seinen "schönen Worten" zu Reformen und Taten. Denn sie befürchten, dass sich der Kleriker als ein "zweiter Khatami" entpuppen könnte. Mohammad Khatami, der moderate Ex-Reformpräsident (1997-2005), hatte der Bevölkerung auch Freiheiten versprochen, wurde letztlich aber durch die mächtigen Hardliner und ultrakonservativen Kräfte daran gehindert, seine Vorhaben umzusetzen. Für Donnerstag sind weitere Proteste angekündigt.