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Generika sind großartig. Generika verheißen das größte Sparpotenzial im Gesundheitswesen. Generika sind billig. Generika dämpfen die Kosten und fördern den Preiswettbewerb. Generika entlasten das System und die Krankenkassen, ohne dass dies zu Lasten der Patienten geht. - Kurzum: Folgt man allen diesen Argumenten, gibt es keinerlei Zweifel daran, dass Generika das Allheilmittel schlechthin und alle anderen Aufwändungen der Medizin fast schon vernachlässigbar sind. Das hält so zwar einer nüchternen Überprüfung keine fünf Minuten stand, stimmt aber zumindest ad hoc einmal optimistisch.
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Zynisch formuliert könnte man sagen, dass die allgemeine Lebenserwartung in den westlichen Industrieländern einfach zu hoch ist. Denn die Folgen sind bekannt: Je länger das Leben währt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit medizinischer Eingriffe jeder Art, von der Impfung bis zur Operation, vom verordneten Medikament bis zur Rehabilitation nach Unfällen, Infarkten und Schlaganfällen, vom Brutkasten bis zur Palliativmedizin.
Führt man sich all dies vor Augen, so mag es nicht weiter verwundern, dass der Anteil der Arzneimittel lediglich 13,3 Prozent der Gesundheitsausgaben in Österreich von insgesamt mehr als 17 Mill. Euro (ÖSTAT 2002) beträgt - was zwar in Summe auch nicht gerade ein Pappenstiel ist, aber doch deutlich macht, dass hier mit erheblichen Einsparungen nicht zu rechnen ist.
Sparen mit Medikamenten
Leicht übersehen wird auch immer wieder, dass der Abbau von Spitalsbetten und die Verkürzung stationärer Aufenthalte in den Spitälern - gewichtige Einsparfaktoren der vergangenen Jahre bis heute - zu einem Gutteil auf den Einsatz von Medikamenten zurück zu führen war und ist. Dr. Ulrich Bode, Präsident der Pharmig (Vereinigung der pharmazeutischen Unternehmen Österreichs), führt dem entsprechend ins Treffen: "Pro Euro, den die Kassen für moderne Arzneimittel ausgeben, werden 3,5 Euro im Spital eingespart."
Arzneimittelsicherheit
Wo ergibt sich also tatsächlich ein Nutzen von Generika und wo könnte er sich ergeben? Und: Können Patienten wirklich sicher gehen, genau das Präparat zu bekommen, das ihren Bedürfnissen entspricht. Vor allem: Wie sicher hinsichtlich von Wirkung und Nebenwirkungen sind Generika und wer überprüft dies?
- Zunächst: Generika sind Präparate, die als Kopien von Originalmedikamenten nach deren Patentablauf hergestellt werden. Sie können in einem "bezugnehmenden Zulassungsverfahren" zugelassen werden.
- Das heißt: Für derartige Nachahmerprodukte braucht der Zulassungswerber weder präklinische, noch klinische Studien und Prüfungen sowie nur einen Teil der pharmazeutischen Daten (Nachweis der Bioäquivalenz zum Original) vorzulegen. Er kann statt eigener Daten auf die vorliegenden Daten des Originalpräparates "Bezug nehmen".
- Generika können vor allem deshalb preisgünstiger angeboten werden, da sie weder durch intensive Forschungsaufwändungen noch durch Informationskosten belastet sind.
Allerdings: Die US-Food and Drug Administration (FDA) erklärt ein Generikum zum Beispiel bereits dann zu einem Äquivalent des Originals, wenn die Abweichung in der Bioäquivalenz zwischen den beiden nicht mehr als 20 Prozent (nach oben oder unten) beträgt. Das heißt, dass die Konzentration des Wirkstoffs im Blut gemessen wird, was auch im Hinblick auf das Prodezere - meist sind die Probanden junge Männer, deren Blut nach einer einmaligen Medikamentengabe getestet wird - zu Kritik geführt hat. Schließlich macht dies einen großen Unterschied in der Wirkung etwa bei längerer oder dauernder Einnahme, bei Frauen bzw. älteren Personen etc. aus.
Wirksamkeitstudien fehlen
In Europa, so wird hingegen von Seiten der Unternehmen versichert, werden Generika unter den gleichen Qualitätsanforderungen produziert wie die Originalpräparate. Über ihre Wirksamkeit sagt dies indessen nur bedingt etwas aus. Die könnte nur durch Doppel-Blind-Studien mit einiger Sicherheit erhoben werden, die allerdings (siehe Zulassungsverfahren) nicht vorgeschrieben sind und natürlich zu einer Verteuerung führen würden.
Generika-Markt
Das ist zwar für eine Vielzahl von Generika, wie sie zum Teil rezeptfrei erhältlich sind, ohne jede Bedeutung. Der Anwender hat die Wahl. Ibuprofen etwa wirkt, egal, von wem es hergestellt wird - und das sind mittlerweile viele, darunter sogar Bayer - bei gleicher Dosierung ausgezeichnet gegen Kopfschmerzen und Entzündungen. Und es sind eben nicht nur kleinere Unternehmen, die Generika herstellen. Beispiel:
Als der Patentschutz eines kleinen italienischen Produzenten für ein antibakteriell hochwirksames Mittel gegen Harnblasenentzündungen (Pipemidinsäure*) auslief, fanden sich unter den Nachproduzenten Multis wie Rhone-Poulenc Rorer, Aventis und SmithKline Beecham. Pipram, Pipemid und Urotractin, so die eingetragenen Namen des Wirkstoffs, unterscheiden sich nur in einem einzigen Punkt: Dem Preis.
Alles Einbildung - oder?
Nachdenklicher stimmen einen da schon die zahlreichen verunsicherten Patienten (etwa in deutschen Userforen), die Unterschiede in der Wirkung vor allem von Psychopharmaka (Antidepressiva etc.) bemerkt haben wollen. Der fast durchgängige Tenor lautet: "Habe vorher von meinem Arzt 'abc' bekommen, nun hat er mir vor ein paar Wochen 'xyz' verschrieben und erklärt, das sei das selbe unter anderem Namen. Finde nun aber, dass es gar nicht so wirkt... Hat jemand ähnliche Erfahrungen damit gemacht?" - Und siehe da, auffallend viele bestätigen dies mit eigenen Eindrücken.
Experten bezeichnen dies als mangelnde Akzeptanz des neuen, quasi noch unbekannten Medikaments infolge Gewöhnung an das "alte" bzw. vielmehr Abhängigkeit davon (vor allem Psychopharmaka müssen häufig über derart lange Zeiträume eingenommen werden, dass sie süchtig machen und ihr Absetzen ohne schwerste Krisen fast unmöglich ist). Dennoch fällt es schwer, diese - auch von unbefangenen Personen wie etwa sogar Ärzten (als Anwender) gemachten - Erfahrungen allesamt als bloße Einbildung (etwa einer ohnehin nicht sehr glaubwürdigen Patientengruppe?) abzutun. Hier also ergäbe sich schon eine Art der Beweislast-Umkehr durch Doppel-Blind-Studien.
Biotech-Generika ad portas
Umso mehr wird sich diese Frage stellen, wenn demnächst die erste Generation gentechnisch hergestellter Generika - vom Humaninsulin bis zu Interferonen und vielen anderen mehr, deren Patentschutz 2006 ausläuft - aus den USA auf den europäischen Markt drängt - oder gelten die bekannten Vorbehalte der "Alten Welt" gegenüber der Biotechnologie dann nicht mehr, sondern auch hierfür nur das "bezugnehmende Zulassungsverfahren"?
Die große "Preisfrage"
Doch zurück zur "Preisfrage". Untergegangen in der bisherigen Debatte ist auch weitgehend, warum die Pharma-Industrie den Generika nur eingeschränkt positiv gegenüber steht und gleichzeitig eine generelle Liberalisierung des Pharmamarktes fordert. Hubert Dreßler, Aventis-Geschäftsführer und Pharmig-Vorstand: "Derzeit ist es nämlich so, dass bei Einführung eines Generikums der Preis des Originalpräparates um 23 Prozent gesenkt wird. Die Folge: Der Preisunterschied zwischen Original und Generikum macht nur noch zehn Prozent aus - und damit zu wenig, um große Summen im Gesundheitswesen einsparen zu können."
Derart deutliche Zahlen fehlen bisher ansonsten zur Frage der Einsparungen durch Generika, vielmehr besteht ein eklatanter Mangel an brauchbaren Daten. Eine der wenigen Studien, die dazu verfasst wurden, stammt von Dr. Susan Horn, einer Wissenschafterin vom Institut für klinische Studien (University of Utah School of Medicine), die 1998 an mehr als 12.000 Patienten von sechs öffentlichen Gesundheitszenten den Nutzten von Generika evaluierte. Ihr Fazit: Der Druck auf die Ärzte, die billigeren Medikamente zu verschreiben, führte bei den Patienten, die diese erhielten, zu signifikant mehr Ambulanzbesuchen bzw. Spitalsaufenthalten. Und: Die absoluten Kosten der abgegebenen Medikamente stiegen infolge der Substition erheblich.
"Steigende Mengen"
Seitens der Pharmig verweist man hierzu nicht zuletzt auch auf das "Phänomen der steigenden Mengen", d. h.: Niedrige Preise führen primär zu keiner Einsparung, weil mit fallenden Preisen die Verbrauchsmenge steigt. Die allgemeine Erfahrung zeige nämlich, dass die Zahl der Verschreibungen pro Jahr wesentlich von der Konjunkturlage abhängig sei: Geht das Wirtschaftswachstum zurück, sinken (zumindest vorübergehend) auch die Verschreibungen, so die Pharmig.
Was auch für den OTC-Bereich, also den Handel mit rezeptfreien Medikamenten und damit für jene Menschen gilt, die quasi "aus der eigenen Tasche" gesund bleiben oder werden wollen. Nicht nur innovative Medikamente könnten in der Folge eines Ungleichgewichts auf dem Pharmamarkt derart teuer werden, dass sich daraus jene Zwei-Klassen-Medizin entwickelt, die niemand ernstlich wollen kann - oder dass gar eine dritte Klasse ("Ausgesteuerte neu") entsteht.
Kein Investitionsanreiz
Und nicht zuletzt: Wenn Unternehmen, so wie es sich derzeit abzeichnet, nur noch an Generika verdienen können, werden sie ihre bisher beträchtlichen Investitionen in den Forschungs- und Entwicklungsbereich reduzieren und dadurch Arbeitsplätze für Hochqualifizierte verloren gehen. - Den Opfern künftiger Seuchen (und solche wird es immer wieder geben) könnte dann etwa Ibuprofen von 30 Anbietern zur Verfügung stehen, aber sonst nicht viel und schon gar nichts Neues und Wirksames.
(*In Österreich nicht und in Italien jetzt fast auch nur noch gegen Rezept erhältlich.)