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Generika sind zu hinterfragen

Von Christa Karas

Wissen
Die derzeitigen Tests des Wirkstoffs im Plasmaspiegel sind unzureichend. Foto: bilderbox

Therapietreue der Patienten steht für Fachleute in Frage. | Rückfälle kämen ungleich teurer als Originalpräparate. | Wien. Beim Einsatz von Generika in der Psychiatrie müssen aus mehreren Gründen ganz besondere Maßstäbe angewendet werden. Vertreter der Österreichischen Gesellschaft für Neuropharmakologie und Biologische Psychiatrie (ÖGPB) stellten jüngst in Wien erste Ergebnisse aus dem Konsensusbericht "Generika und Originalsubstanzen in der Psychiatrie" vor, der im Rahmen der 10. Tagung der ÖGPB (21. und 22. November 2008 in Wien) präsentiert wird.


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Bei psychiatrischen Patienten handelt es sich um eine Hochrisikogruppe von chronisch Kranken, bei der primär Arzneimittel mit einer großen therapeutischen Breite, aber geringen Nebenwirkungen zum Einsatz kommen sollten. Von einer ökonomisch begründeten Umstellung auf ein Generikum müsse daher bei bereits gut eingestellten Patienten abgeraten werden, so der Tenor der Experten.

Grund dafür ist, dass eine Umstellung zu einer Verunsicherung der Patienten führen kann, die die Compliance - die Akzeptanz des Medikaments - und damit den Therapieerfolg gefährden und persönliche psychosoziale Nachteile sowie weitreichende Konsequenzen für das engere und weitere soziale Umfeld des Betroffenen nach sich ziehen kann. Zudem sind Rück- oder Anfälle oft mit zusätzlichen Spitalsaufenthalten, psychosozialen Nachteilen wie etwa dem Verlust des Führerscheins oder des Arbeitsplatzes verbunden und führen dadurch zu Folgekosten, die ein Vielfaches der ersparten Medikamentkosten ausmachen können.

Langwieriger Prozess

Insbesondere psychiatrische Patienten leiden oft unter einer mangelhaften Krankheitseinsicht, persönlichen Schuldzuweisungen, Aggressionen, Angst, Depressionen, Zwängen, Misstrauen, paranoiden Vorstellungen wie Vergiftungsideen und teilweise auch kognitiven Einschränkungen.

"Hier muss über gezielte therapeutische Intervention, mit Erfahrung, Feingefühl, viel Zeit und vor allem einer Linderung der aktuellen Symptomatik ein vertrauensvolles Arzt-Patient-Verhältnis erst aufgebaut werden", so Susanne Lentner, Präsidentin der ÖGPB und Primaria am Anton-Proksch-Institut. "Die Therapie ist vor allem durch eine langfristige Einnahme von Medikamenten entsprechend dem chronischen, oft prozesshaften Verlauf charakterisiert. Es geht oft darum, eine Vielfalt von auch körperlichen Symptomen in den Griff zu bekommen."

Im Konsensusbericht wird aber auch - vor allem von Univ.-Prof. Siegfried Kasper, Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Med Uni Wien - kritisch hinterfragt, ob die einzige Studie, die für die Zulassung von Generika zu erbringen ist, die sogenannte Bioäquivalenzstudie, tatsächlich aussagekräftig ist.

Ähnlich ist nicht gleich

Mittels Bioäquivalenzstudien soll nachgewiesen werden, dass der Wirkstoff des Generikums annähernd gleich resorbiert wird wie der des Originalpräparates. Dazu werden die Blutplasmaspiegel der beiden Präparate miteinander verglichen. Grundannahme dabei: Gleichen einander die Verläufe der Spiegel von Originalpräparat und Generikum im Wesentlichen, so ist anzunehmen, dass auch die Konzentration am Wirkort die gleiche ist und man davon ausgehen kann, dass auch Wirksamkeit und Sicherheit gleich seien.

Allerdings: Psychopharmaka greifen ins Zentralnervensystem ein und haben hoch komplexe Wirkmechanismen auf gleich mehrere Neurotransmittersysteme (insbesonders Dopamin, Noradrenalin, Serotonin). Sie veranlassen die Bildung von spezifischen Stoffwechselprodukten, die ihrerseits wiederum bestimmte Vorgänge initiieren (aktive Metaboliten), sie binden an unterschiedliche Rezeptoren und vieles mehr. Ob hier der bloße Vergleich von Blutplasmaspiegeln ausreichen kann, wissenschaftlich fundierten Aufschluss darüber zu geben, dass das Generikum auch tatsächlich dieselbe therapeutische Wirksamkeit wie das Originalpräparat aufweist, ist fraglich.

Ein weiterer Kritikpunkt ist die Tatsache, dass bei Bioäquivalenzstudien nur eine Einmal-Gabe und diese bei einer geringen Anzahl - mindestens 12 - von obendrein gesunden Probanden bei standardisierten Bedingungen erfolgt, die nur im Entferntesten den realen Bedingungen entsprechen.

Kasper: "Dieser Ansatz vernachlässigt die Aspekte einer Dauertherapie, wie sie bei psychisch kranken Menschen notwendig ist, ebenso wie mögliche biologische Veränderungen bei Kranken. Dadurch können keine relevanten Schlüsse darüber gezogen werden, ob sich - wie beim Originalpräparat - nach mehreren Gaben ein konstanter Plasmaspiegel aufbaut, der natürlich für die langfristige Wirksamkeit des Medikamentes ebenfalls von entscheidender Bedeutung ist."

Für klinische Prüfungen

Bioäquivalenz ist aber nicht gleich therapeutische Äquivalenz. Unter dieser versteht man die gleiche Wirksamkeit und Verträglichkeit zweier Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff, wenn sie vergleichbaren Patienten in gleicher Weise verabreicht werden. Während der Nachweis der therapeutischen Wirksamkeit und Verträglichkeit beim Original in aufwendigen klinischen Studien nachgewiesen werden muss, wird für Generika dennoch der indirekte Nachweis durch eine Bioäquivalenzstudie als ausreichend erachtet.

Kasper: "Hier sei eindeutig festgehalten, dass sich die therapeutische Äquivalenz nur durch den direkten Vergleich therapeutischer Parameter, also wieder durch klinische Prüfungen, nachweisen lässt."