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Genießen mit gutem Gewissen

Von Stephan Burianek

Reflexionen
Die "Six Senses Resorts" in Thailand bieten Komfort und Umweltschutz zugleich.
© © Six Senses Resorts & Spa

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Ein Genie denkt manchmal genial einfach, was neulich in der südfranzösischen Küstenstadt Cannes bestätigt wurde. Im Rahmen der zehnten Ausgabe der alljährlich im Dezember stattfindenden Luxusreisemesse "International Luxury Travel Market" (ILTM) sprach Isadore Sharp vor rund tausend geladenen Reisevermittlern über sein Lebenswerk. Der Kanadier ist Gründer der "Four Seasons Hotels", deren Geschichte im Jahr 1961 mit einem Motel in Toronto begann. Als Quereinsteiger schlief sich Sharp seinerzeit durch die Hotels der Mitbewerber und notierte Dinge, die ihn störten. Die Shampoo-Packungen in den Badezimmern der Hotels waren so etwas: nämlich mit nassen Händen kaum zu öffnen. Sharp füllte das Haarwaschmittel als erster Hotelier in kleine Fläschchen, die neben "Artgenossen" aus Duschgel, Conditioner und Körpercreme mittlerweile längst zum Standard in der gehobenen Hotellerie geworden sind.

Seither predigt Sharp das Marketing aus Kundensicht. Der Konsument im Mittelpunkt: Das ist zumindest theoretisch eine Selbstverständlichkeit und dürfte unter BWL-Studenten rasch zu Gähnanfällen führen. In den 1960er Jahren war das noch anders. "In der Luxushotellerie herrschte eine eigenwillige Grand-Hotel-Mentalität vor. Gäste wurden nicht willkommen geheißen, sondern beurteilt." Vieles hat sich seither verändert.

Neue Zielgruppen

Es verwundert vielleicht, aber trotz der aktuellen Weltwirtschaftskrise geht es der internationalen Luxusreisebranche so gut wie selten zuvor. James Wallman und Chris Sanderson vom Zukunftsforschungsunternehmen "The Future Laboratory" führen das unter anderem auf die Bildung einer "Sanduhr-Wirtschaft" zurück, wie die beiden das zunehmende Wegbrechen der mittleren Gesellschaftsschichten bezeichnen. Zudem boomen die Märkte in Asien und Lateinamerika, vor allem internationale Hotelketten erweitern bereits seit einigen Jahren ihr Angebot in den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika).

In den aufstrebenden Regionen eröffnen laufend neue High-End-Hotels. Sie dienen nicht vorrangig der Abdeckung von Fernreisen aus den westlichen Staaten, sondern vielmehr der regionalen Nachfrage. Zukunftsforscher gehen davon aus, dass spätestens im Jahr 2050 die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts in Asien erwirtschaftet werden wird. Bereits heute profitieren europäische Touristenregionen von der starken Nachfrage aus Asien. Die Häufigkeit von Fernreisen wird sich wohl von West nach Ost verschieben.

Dieser Wandel erfordert eine neue Ausrichtung der Serviceleistungen. Russische Reisende setzen bei ihrem Urlaub in der Regel andere Prioritäten als Touristen aus Indien; Chinesen haben andere Vorstellungen als Besucher aus arabischen Ländern. Auch innerhalb der jeweiligen Gesellschaft existieren mehrere wohlhabende Gruppen, die sich voneinander unterscheiden.

Mit einer derart großen Diversifizierung von Kundenzielgruppen war die Luxusreisebranche bisher noch nie konfrontiert. Das weltgrößte elektronische Zahlungssystem Visa nützt diese Situation für neue Einnahmequellen. Einerseits wertet das Unternehmen die globalen Transaktionsdaten statistisch aus, andererseits vereint es mit seiner neuen "Visa Signature Luxury Hotel Collection" (VSLHC) bereits bestehende Luxushotels in einem Hotelnetzwerk, mit dem ausgewählte Premium-Kartenbesitzer gezielt erreicht werden sollen.

Die Markenpolitik internationaler Hotelketten wird aufgrund der zunehmenden Zielgruppenstreuung stetig komplexer, mehr denn je sind daher klare marketingpolitische Positionierungen gefragt. Die Hilton-Gruppe umfasst beispielsweise zehn Marken, die allesamt auf unterschiedliche Kundengruppen abzielen. Laut Olivier Chavy, leitender Markenmanager bei Hilton Worldwide, nächtigen nur zwei bis drei Prozent der Kunden einer Hilton-Marke auch in einem anderen Hotel. Wenn diese Zahlen stimmen, könnten die einzelnen Hotelketten innerhalb der Hilton-Gruppe als ideale Fallbeispiele für die erfolgreiche Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen in der Hotellerie dienen.

Immer häufiger zielt die Markenpolitik von Luxusanbietern auf eine junge Klientel ab. Die Hyatt-Gruppe baut derzeit das relativ neu geschaffene Netz ihrer Andaz-Hotels aus. Sie richtet sich ebenso an junge Kreative wie die bereits seit längerer Zeit erfolgreichen "W Hotels" der Starwood-Gruppe (Le Meridien, Sheraton).

Einen weniger intellektuellen Ansatz scheinen die Nikki Beach Hotels zu verfolgen, die aus gleichnamigen Clubbings hervorgegangen sind. "Cool & stylish" lautet deren Motto, das auf wohlhabende Partymenschen abzielt.

Freilich finden nicht alle die richtige Strategie. Laut Simon Mayle, Marketingmanager des ILTM, bewirkte die Wirtschaftskrise im Luxussegment eine Trennung der Spreu vom Weizen: "Die Krise hat gezeigt, dass langfristig nur die wahren Luxusanbieter in dieser Branche überleben."

Da stellt sich natürlich die Frage: Was ist wahrer Luxus und in welche Richtungen entwickelt er sich? Laut Isadore Sharp, dem Four Seasons-Gründer, bereisten Touristen früher im Laufe ihres Lebens möglichst viele unterschiedliche Länder. Heute besuchen sie weniger Länder, diese aber umso öfter. Sie bemühen sich um ein größeres Verständnis der regionaltypischen Kultur. Es ist daher kein Wunder, dass die Gastronomie aus touristischer Sicht immer wichtiger wird.

Lokale Traditionen

Das Konzept "kulinarische Reisen" ist nicht neu: Der Michelin-Restaurantführer erscheint seit mehr als hundert Jahren. Neu ist allerdings der Wunsch nach Ursprünglichkeit, dem ein faszinierend einfaches Konzept des Shanti Maurice Resorts auf Mauritius entgegenkommt. "Grandma’s Kitchen" ("Großmutters Küche") nennt sich das Angebot, bei dem zweimal wöchentlich jeweils zehn Gäste lokale Spezialitäten kennen lernen können, die von Großmüttern der Hotelangestellten zubereitet werden.

Das Kochen mit lokalen Zutaten ist manchmal gar nicht so trivial, wie man annehmen würde. In der Karibik kann es mitunter einfacher sein, Zutaten aus San Francisco einzufliegen als sie lokal einzukaufen. Luxushotels übernehmen zunehmend eine neue Rolle, indem sie klein strukturierte Bezugssysteme wieder wirtschaftlich machen und damit einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit liefern. In einer ILTM-Podiumsdiskussion relativierte Larry Martin, Inhaber des Veranstalters "Food & Wine Trails", allerdings das Wohlwollen der Luxusbranche: "Der Grund für lokale Nahrungsmittel ist nicht der Umweltschutz. Lokales ist frisch, und Frisches schmeckt einfach besser." Im Übrigen sei im Luxusbereich eine gewisse Flexibilität notwendig. "Es wird auch weiterhin möglich sein, französischen Wein in den USA zu trinken."

Ein weiterer Trend in der gehobenen Gastronomie ist Transparenz. Schauküchen sind in vielen Sterne-Restaurants mittlerweile üblich. Beliebt sind "Küchentisch-Veranstaltungen", bei denen man dem Koch über die Schulter schauen kann. Dabei gilt: Je berühmter der Chef, desto besser.

Letzteres nannte Larry Martin "das Recht anzugeben", das manchen Luxustouristen stets wichtig bleiben wird. "Ideal wäre es, wenn der Schauspieler Robert De Niro Ihnen persönlich in einem seiner Restaurants den Wein ins Glas kippt." Das mag übertrieben sein, aber in eine ähnliche Kerbe schlagen die "One of a kind"-Angebote, mit denen die Hotelvereinigung "Leading Hotels of the World" (LHW) neuerdings wirbt. Sie beinhalten u. a. ein romantisches Abendessen für zwei Personen, begleitet von Kammermusik in den Ausstellungsräumen des Prado-Museums in Madrid.

Wer protzt, der möchte dabei möglicherweise ein gutes Gewissen haben. Bereits seit längerem ist die Integration von nachhaltigen Konzepten ein Trend in der Hotellerie, wie der Erfolg der "Six Senses-Resorts" zeigt. Ob Waldprojekte oder eigene Wasseraufbereitung als Kampfansage gegen Plastikflaschen - eine nachhaltige Geisteshaltung war in der fast 20-jährigen Geschichte dieser Resorts, die vor allem in Thailand und auf den Malediven zu finden sind, stets ein entscheidender Bestandteil der Marktpositionierung.

Mitunter stellten die "Six Senses-Resorts" dabei auch einen gewissen Mut zum Scheitern unter Beweis. Ein immens teures Wasserprojekt, bei dem kaltes Meerwasser aus der Tiefe zur Kühlung eines gesamten Resorts gewonnen werden sollte, schlug fehl. Trotz des hohen finanziellen Aufwands versprach der Firmenchef, Bernhard Bohnenberger, bis 2013 alle Resorts auf Klimaneutralität umgestellt zu haben. "Als wir anfingen, hielten uns alle für verrückt. Bald werden jene verrückt sein, die es uns nicht nachmachen."

Öko-Abenteuer

Tatsächlich schließen sich den Vorreitern zunehmend neue Mitstreiter an: Auf zwei benachbarten Privatinseln vor der kambodschanischen Küste steht ein Resort namens Song Saa kurz vor der Fertigstellung. Es möchte sich dem Schutz des Meeres verschreiben und dabei zugleich die lokale Bevölkerung einbinden. Bald wird man auch mit einem besonders guten Gewissen auf die für ihr fragiles Ökosystem bekannten Galápagos-Inseln fliegen können. Im kommenden Jahr wird dort die "Pikaia Lodge" ihre ersten Gäste empfangen. Bereits jetzt wird sie als "nächster Schritt in der Evolution von Luxus-Öko-Abenteuern" angekündigt.

Die Hotellerie kann sich noch so dynamisch weiterentwickeln, eines wird sich nie ändern: ihre Abhängigkeit von aktuellen politischen oder natürlichen Gegebenheiten. Vertreter der japanischen Tourismusbehörde bemühten sich auf der ILTM redlich um eine touristische Schadensbegrenzung nach dem radioaktiven Desaster, dessen endgültiges Ende noch immer nicht in Sicht zu sein scheint. Leichter taten sich die thailändischen Vertreter, die den Abzug ihres Jahrhunderthochwassers verkündeten.

Überraschend leise traten die arabischen Länder auf. Sowohl in Tunesien als auch in Ägypten könnten sich die politischen Veränderungen in den kommenden Jahren positiv auf den Luxustourismus auswirken. Das wäre für diese Staaten kein Nachteil, immerhin ist der Luxusreisemarkt mit nur drei Prozent der Gesamtbuchungen für geschätzte 20 Prozent des Umsatzes in der Reisebranche verantwortlich. Doch manche potenzielle Luxusregion wartet noch auf den Morgenkuss.

Stephan Burianek, geboren 1976, lebt als Journalist für die Bereiche Reise, Kultur & Lifestyle in Wien.

Literatur: "Four Seasons: The Story of a Business Philosophy" (Englisch) von Isadore Sharp, Viking Canada, auf amazon.de