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Genormtes Wien

Von Christian Rösner

Politik

Normen betreffen heute fast jeden Lebensbereich im urbanen Leben.


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Wien. Vor allem in der Baubranche sind Normen derzeit in aller Munde. Ihr Wildwuchs würde dazu führen, dass die Baukosten steigen und diese am Ende an die Mieter weitergegeben werden, heißt es da. Auf der anderen Seite bieten Normen eine gewisse Rechtssicherheit und geben bestimmten Wirtschaftsabläufen Struktur.

Laut den Normen-Experten können solche Normen sogar Einsparungspotenzial freisetzen, "wenn man über sie Bescheid weiß und zu seinen Gunsten interpretieren kann", erklärt Wiens erste Normen-Managerin Elisabeth Schlemmer.

Ein Beispiel: Für ein Projekt von betreutem Wohnen musste bei einem Gebäude im Sinne der Brandschutzrichtlinien eine neue Belüftungsmöglichkeit geschaffen werden. Dafür war es notwendig, den Aufzug neu zu bauen, was wiederum zum Einbau eines speziellen Gebläses führte. Dafür musste wiederum der oberste Stock samt Wohnungen komplett umgebaut werden. Für das Notstromaggregat war schließlich ein eigener Raum notwendig, weswegen man eine ganze Garconniere freimachen musste. "In Summe mussten für die Freigabe von 20 Wohneinheiten - beziehungsweise für diese eine Brandschutzmaßnahme - eine Million Euro aufgewendet werden. Und der Clou der ganzen Sache ist: Als alles fertig war, ist man draufgekommen, dass es gereicht hätte, an der Rückseite des Gebäudes Feuerleitern anzubringen, was natürlich um einiges günstiger gewesen wäre", erzählte Schlemmer. Und genau dieses "Draufkommen" ist seit 2012 ihr Job.

Es gibt demnach auch die Möglichkeit, als zusätzliche Brandschutzmaßnahmen etwa in Pflegeheimen das Betreuungspersonal für die Gebäude-Evakuierung im Notfall auszubilden, weil dieses besser über die Mobilität ihrer Patienten Bescheid weiß als die Feuerwehr.

Auch der Spitalsbereich ist betroffen

Auch im Spitalsbereich gibt es laut der Expertin Möglichkeiten, Sicherheitsmaßnahmen kostengünstiger zu setzen. So gibt es spezielle Decken in Operationssälen, die sich genau über dem OP-Tisch befinden, um den Luftstrom so zu verändern, dass keine Partikel in den offenen Thorax gelangen können. "Da gab es vor kurzem eine Normen-Diskussion, wie groß diese Decke sein soll: Muss sie über den ganzen OP-Saal gezogen werden oder reicht die Fläche über dem Chirurgen", so Schlemmer. Simulationen hätten dann gezeigt, dass der Keimaustausch nicht alleine von der Decke abhängig ist, sondern vielmehr auch von der Anzahl der Personen im OP-Saal, oder sogar von der Länge des OP-Mantels des Chirurgen. "Nur darüber zu diskutieren, ob man diese spezielle Decke vergrößert, würde natürlich die Herstellerfirma sehr freuen, aber an der Gesamtsituation in dem OP-Saal nichts wesentlich verändern."

Mehr Platzbedarf für Einzeltische in der Schule

Im Bereich Arbeitsschutz und Ergonomie war man vonseiten der Stadt ursprünglich nicht im entsprechenden Normen-Komitee vertreten. Was Schlemmer schnell geändert hat: Da geht es laut ihren Angaben zum Beispiel um Schutzkleidung für die Feuerwehr. Oder in Sachen Ergonomie gibt es Normen, die in Schulklassen Ein-Personen- statt Zwei-Personen-Tische empfehlen. Das soll möglichen Haltungsschäden besser vorbeugen als der Status quo.

Dafür bräuchte man laut Schlemmer allerdings auch größere Klassenzimmer, weil Einzeltische mehr Platz brauchen als die herkömmlichen Zweiertische. "Und wenn ich das Geld für neue Tische und für größere Klassenzimmer zum Beispiel für eine Turnstunde mehr in der Woche verwende, habe ich wahrscheinlich eine bessere Prävention gegen mögliche Haltungsschäden als mit den Einzeltischen", meint Schlemmer.

Man müsste die Kirchen im Sommer beheizen

Ähnlich kommt es beim Denkmalschutz: Laut Georg Pommer, seinerseits Normen-Manager für den Bereich Wohnbau, hat sich auf europäischer Ebene ein Ausschuss formiert - Stichwort Charta von Venedig -, die "heftigst" im Bereich des Denkmalschutzes zu normen begonnen hätte. "Es ging etwa darum, die Gebäudepflege so festzulegen, dass darin befindliche Kunstgegenstände bestmöglich geschützt sind. Das heißt, man müsste im Sommer Kirchen beheizen. Wenn man bedenkt, was das alleine für die Kirchen am Zentralfriedhof bedeuten würde, dann wird klar, wie wichtig es ist, dass wir uns hier letztlich doch eingeklinkt haben."

Dass jedes Bundesland seine eigene Bauordnung hat, ist für den Experten im Übrigen nicht nachvollziehbar. "Warum soll die Durchgangslichte einer Türe in Vorarlberg anders sein als im Südburgenland", so Pommer. Theoretisch habe mit den OIB-Richtlinien eine bundesweite Vereinheitlichung stattgefunden, praktisch sind sie aber etwa von Salzburg nie voll umgesetzt worden. Aber das ist eine andere Geschichte.

Die Europäische Kommission definiert Normen als "auf freiwilliger Basis anzuwendende Dokumente, in denen technische oder die Qualität betreffende Anforderungen festgelegt sind, denen bereits bestehende oder künftige Produkte, Produktionsverfahren, Dienstleistungen oder Verfahren entsprechen können.

Sie sind das Ergebnis der freiwilligen Zusammenarbeit von Industrie, Behörden und anderen Interessensgruppen, die im Rahmen eines Systems zusammenarbeiten, das auf Offenheit, Transparenz und Konsens gründet. Sie dienen der Vereinheitlichung und Harmonisierung von Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen mit dem Ziel, technische Handelsbarrieren abzubauen."

Österreichische Normen werden in den Normungskomitees und Arbeitsgruppen des Austrian Standard Institute und des Österreichischen Elektrotechnischen Komitees erarbeitet und veröffentlicht.