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Niederlagen am laufenden Band und keine Aussicht auf bessere Zeiten. Die SPÖ schlittert von einem Tiefpunkt zum nächsten. Die mächtige Wiener Parteibasis ist beim Asylthema tief gespalten. Wohin steuert die Sozialdemokratie?
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Wien. Es ist etwas faul in der roten Reichshälfte - sofern man noch von einer Reichshälfte sprechen kann. Für politische Beobachter ist offensichtlich: Die SPÖ steckt in einer tiefen politischen Krise. Das ist an sich nichts Neues, europaweit geht es sozialdemokratischen Parteien schlecht. Doch der zuletzt erfolgte 180-Grad-Schwenk der Bundespartei in der Flüchtlingspolitik sorgt dafür, dass der ideologische Orientierungsverlust und die Diskussionen darüber immer stärker nach außen dringen. Die sprichwörtliche Geschlossenheit wird immer brüchiger. Ein Richtungsstreit liegt in der Luft.
An diesem Samstag, wenn sich die Funktionäre der mächtigen Wiener Landesorganisation zum Parteitag treffen, könnte deutlich werden, wohin die Sozialdemokratie steuert. Immer stärker wird innerparteilich jener Flügel, der einen restriktiveren Kurs gegen Flüchtlinge befürwortet und die FPÖ als Koalitionsalternative sieht. Die linke Fraktion setzt auf eine Willkommenskultur, muss aber gegen den Zeitgeist anrennen.
Michael Häupl kommt hierbei die undankbare Aufgabe zu, beide Lager auf einen Kompromiss zu vereinigen und eine Eskalation zu vermeiden. Da ist einerseits Sozialstadträtin Sonja Wehsely. Sie steht für die Innenstadtbezirke, gilt als "Linke" und will jenen Kurs, mit dem Michael Häupl bei der Wien-Wahl im Herbst 2015 besser als befürchtet - und jedenfalls deutlich vor der FPÖ - abschneiden konnte, weiterführen. Für Wehsely ist klar: Einen Notstand, wie ihn die SPÖ in der Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage mitträgt, gibt es in Österreich nicht.
Ungeregeltes Erbe
Auf der anderen Seite steht Wohnbaustadtrat Michael Ludwig. Er steht für die Flächenbezirke und für jene Genossen, die in Richtung Burgenland blicken, wo Landeshauptmann Hans Niessl die Blauen ins Boot geholt hat. Wehsely und Ludwig gelten beide als mögliche Nachfolger Häupls. Das Erbe zu regeln hat der Bürgermeister bisher auf die lange Bank geschoben. Doch genau dieses Aufschieben von schwierigen Entscheidungen und die Ausrichtung auf Kompromisse sehen viele in der SPÖ, nicht nur in Wien, als Grund für die Krise an.
Als Sozialdemokrat kann man auf vieles stolz sein. Das Allermeiste davon befindet sich allerdings in einer weit entfernten Vergangenheit. Die SPÖ stand für einen sozialen Aufstieg des kleines Mannes. Mit dem Verschwinden des klassischen Arbeiters und "einem noch nie da gewesenen Wohlstand", wie hochrangige Parteifunktionäre unter vorgehaltener Hand erzählen, hätte die Sozialdemokratie in Österreich ihre Positionen nahezu aufgegeben.
Die neue Unterschicht und die Mittelschicht mit ihren Abstiegsängsten erreicht die SPÖ nicht. Die reißt sich die FPÖ unter den Nagel. Demgegenüber hätten SPÖ-Vertreter verlernt zu erzählen, warum es sie weiterhin brauche. "Die Partei besteht nur noch aus Sitzungen, sie hat ihren Bewegungscharakter verloren", klagt ein Wiener Funktionär. Egal mit wem man in der SPÖ und ihren Vorfeldorganisationen redet - über die Bundespartei unter Werner Faymann hört man nicht ein gutes Wort. Diesem und dessen Führungsteam geben die befragten Funktionäre die Hauptschuld, dass "die Partei in Wirklichkeit nur noch aus Wien, der Gewerkschaft und dem Burgenland besteht", wie es eine junge Genossin ausdrückt.
In Oberösterreich, wo die ehemals starke und links geprägte Landespartei für die Roten wichtige Stimmen sicherte, sei der Widerstand gegen Faymanns Kurs der Lethargie gewichen, erzählt ein langgedienter Funktionär. In Sektionen, wo sich früher 50 und mehr Mitglieder zu Sitzungen trafen, könne man heute die Besucher an einer Hand abzählen: "Es herrscht ein apathisches Vor-sich-hin-Existieren." Lösungen vom Bund, eine klare und konsequente Linie, erwarte sich niemand mehr. Die steirische Landespartei, einst tief in den Industriehochburgen verwurzelt, befindet sich nach dem desaströsen Ergebnis bei der Landtagswahl und der überraschenden Aufgabe des Landeshauptmannsessels durch Franz Voves in einer Sinnkrise. "Die Partei orientiert sich nicht mehr an ideologischen Positionen, sondern an der Mehrheitsmeinung. Und die ist vom Boulevard und von der FPÖ geprägt", zeigt sich ein junger steirischer Funktionär enttäuscht.
Dammbruch Niessl
Die Mehrheitsmeinung treibt die Bundesgenossen in der Flüchtlingspolitik von einer "Willkommenskultur" zu einem restriktiveren Kurs, diktiert vom Koalitionspartner ÖVP. "Plötzlich ist die Willkommenskultur vorbei und alles davor war ein Blödsinn", sagt ein hochrangiger Politiker aus der steirischen SPÖ. "Ich verstehe, dass andere Situationen andere Maßnahmen erfordern, aber die Kommunikation war katastrophal. Uns glaubt keiner mehr, egal was wir sagen."
Wie aber kämpft man erfolgreich gegen den Zeitgeist an, in dem Systemkritiker weltweit einen Auftrieb erleben? Liegt die Lösung in einem Linkskurs oder muss sich die Sozialdemokratie rechts der Mitte öffnen?
"Niessl war der Dammbruch", sagt eine ältere Genossin mit besten Kontakten. Sie geht davon aus, dass Rudolf Hundstorfer und damit die Bundes-SPÖ bei der Präsidentschaftswahl eine herbe Niederlage einstecken muss, ebenso wie die Volkspartei: "SPÖ und ÖVP werden dann buhlen, wer es am schnellsten mit der FPÖ in eine Koalition schafft." Öffentlich ist die blaue Koalitionsvariante nach wie vor ein "Tabubruch". Mit jeder Niederlage und der Aussicht auf die Wahl 2018 wächst aber jener Teil der Basis, die eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aber nicht mehr gänzlich ausschließt. "Je mehr die SPÖ dem Koalitionspartner ausgeliefert ist und keine anderen Optionen hat, desto größer wird der Flügel, der nach Alternativen sucht - egal wie diese aussehen", so ein SPÖ-Mandatar.
Dass es Hundstorfer in die Stichwahl schafft, glauben auch die jungen Linken in der Partei nicht. Manche Landesorganisationen bekämen zu wenig Wahlkampfmaterial, heißt es. Einen Jugendwahlkampf habe man erst gar nicht versucht. In einem sind sich die Jungen sicher: Ohne Rückbesinnung auf alte Stärken könnte der SPÖ gar ein Schicksal wie der griechischen Pasok drohen, die im einstelligen Prozentbereich herumgrundelt. Von einer gemeinsamen Strategie ist der linke Parteinachwuchs aber weit entfernt. "In der Partei weiterkämpfen", sagen die einen, "ein neues Projekt überlegen", die anderen. Gut möglich also, dass nach dem Wiener Parteitag klarer wird, welche Richtung in der SPÖ künftig den Ton angeben wird.