Zum Hauptinhalt springen

Genossenschaftliche Selbsthilfe

Von Holger Blisse

Recht

Daseinsvorsorge und Infrastruktur - direkt und indirekt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 4 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wenn die kommunalen Budgets angespannt sind, fehlt es am Geld für so manche zusätzliche Maßnahme - gerade auch im Bereich der Daseinsvorsorge oder Infrastruktur. Erfahrungen aus dem angloamerikanischen Raum zeigen, dass private Lösungen oft zu teureren bis hin zu exklusiven Angeboten führen. Welchen Beitrag leisten Genossenschaften in unseren Breiten?

Genossenschaften erhielten ihren rechtlichen Rahmen im 19. Jahrhundert ausdrücklich mit der Auflage, der Förderung der Wirtschaft und des Erwerbes ihrer Mitglieder zu dienen. Denn sie sollten keine Tätigkeiten auf politischem Terrain entfalten. Gleichwohl trugen sie zur Lösung einer "sozialen Frage" bei, indem sie den Menschen dazu verhalfen, nicht verdorbene Lebensmittel, gesunden Wohnraum, aber auch Zahlungsmittel im Voraus (Kredit) erhalten und sich "leisten" zu können.

Bürgerschaftliches Engagement

Als Rechtsform für bürgerschaftliches Engagement im Bereich von zum Beispiel Bildung, Kultur, Sport oder auch Wissenschaft wurde die Genossenschaft im deutschsprachigen Raum erst nach der Einführung der Europäischen Genossenschaft (SCE: Societas Cooperativa Europaea) als Rechtsform entdeckt. Denn in die SCE ging auch das romanische Genossenschaftsverständnis ein, so etwa bei der Förderung im Bereich sozialer oder kultureller Aktivitäten. Dies wurde in das deutsche und österreichische Genossenschaftsgesetz (2006) übernommen.

Mit der SCE-Verordnung erweiterte sich die Genossenschaft auf der einen Seite um kapitalgesellschaftliche Elemente wie die investierenden Mitglieder oder ein festes Mindestkapital. Auf der anderen Seite bietet sie sich zum Beispiel für Tätigkeiten an, für die schon jetzt der Verein zur Verfügung steht, der in diesen Tätigkeitsfeldern zumeist auch steuerlich als gemeinnützig anerkannt ist.

Demzufolge überrascht es einerseits nicht, wenn immer mehr Wünsche an den Einsatz von Genossenschaften herangetragen werden. Andererseits tendiert die Praxis zu "reinen" Lösungen und wechseln Genossenschaften in die Aktiengesellschaft beziehungsweise wird der Verein im sozialen Bereich bevorzugt.

Dies kann dazu führen, dass die Genossenschaft durch das scheinbar breitere Spektrum ihrer Möglichkeiten tatsächlich an Anwendungsattraktivität verliert, weil ihr Profil unschärfer geworden ist.

Denn um ihren genossenschaftlichen - sozial ausgleichenden - Beitrag zu entfalten und nicht selbst zum Beispiel im Zuge einer Umwandlung verloren zu gehen, brauchen Genossenschaften heute ein Verständnis, das von den ursprünglichen - zeitgenössisch liberalen - Vorstellungen abweicht. Dieses Verständnis hatte in Österreich den Vorteil mit sich gebracht, dass das Genossenschaftsgesetz (GenG) einen deutlich größeren Gestaltungsspielraum bietet als etwa das verwandte deutsche GenG.

Mit welcher Selbstverständlichkeit jedoch die bestehenden Genossenschaften im Markt weiterentwickelt werden sollen, zeigen heute sehr deutlich die Bereiche Wohnen und Kredit, aber auch Landwirtschaft. Der Bereich Konsum kommt in Österreich nahezu ohne genossenschaftliche Selbsthilfe aus. Dies ist aber unter anderem in Italien noch ganz anders.

Es entsteht allerdings ein Widerspruch, wenn eine Genossenschaft, die selbst eine Alternative zu über den Markt vermittelten Angeboten darstellt, dessen Gesetzen unterworfen werden soll. Denn dann nehmen die übereinstimmenden Interessen von Eigentümern (Mitgliedern) und Kunden respektive Bürgern (Identitätsprinzip) ab.

Schützende Kraft

Dies ist wohlgemerkt kein Plädoyer für eine Welt, in der es ausschließlich Genossenschaften gibt. Welch notwendiges Nebeneinander verschiedene Konzepte bieten können, das zeigt zum Beispiel die Wohnungswirtschaft, in der sich private, genossenschaftlich-gemeinnützige und kommunale Angebote finden. Aber auch in der Kreditwirtschaft findet sich diese Arbeitsteilung.

Daher ist, aller tatsächlichen oder doch nur theoretischen Effizienz der Märkte zum Trotz, in den Bereichen der Daseinsvorsorge ein Angebot aufrechtzuerhalten, das gerade nicht dem Spiel der "freien" Kräfte überlassen ist, sondern davon unabhängig bleibt. Zur Daseinsvorsorge dürfen wir durchaus auch den Umgang mit und freien Zugang zu Zahlungsmitteln (Geld) rechnen. Dann werden Menschen, die zum Beispiel nicht im Eigentum wohnen, trotzdem in ihrer Wohnung ruhig schlafen können und müssen nicht mit unerwartet hohen Mietpreisveränderungen rechnen.

Was bis heute Transformationserscheinungen bei Genossenschaften kennzeichnet, das ist die Gefahr, dass das genossenschaftliche System von wenigen zu ihrem Vorteil genutzt wird. Der Vorteil ergibt sich daraus, dass die Mitglieder auf einen Teil des Vermögenszuwachses, der über die reine Förderfunktion hinaus entsteht, zugunsten der Genossenschaft und damit für die Zukunft verzichten.

Gerade dieses über mehrere Generationen gewachsene Vermögen, ohne zusätzliche Kapitalansprüche erfüllen zu müssen, könnte sich für die Begleitung von Maßnahmen im dörflichen oder städtischen Wirkungsfeld einer Genossenschaft als ein Potenzial erweisen, das nicht zwingend nur den heutigen Mitgliedern zugutekommen muss. Es ließe sich sogar als partiell gemeinnützig beschreiben und gibt damit der Genossenschaft vereinsrechtliche, aber auch öffentlich-rechtliche Gestaltungselemente an die Hand, ohne dass sie ihre Eigentümlichkeit einbüßt.

"Moderation des Marktes"

Daher sei die grundsätzliche Frage erlaubt, was geschähe, wenn alle Bedarfe und Leistung(serbringung)en, nicht nur das Wohnen, das man wohl berechtigterweise zu den Daseinsgrundfunktionen rechnet, dem Marktmechanismus unterworfen würden. Ließe sich die Schärfe des Marktes weiter entfalten, indem über Marktbeziehungen (bilaterales Kontrahieren) zwischen ungleich starken Vertragspartnern die Bildung von Monopolen gefördert wird und damit Kontrahierungsmöglichkeiten und Alternativen im Markt (ver)schwinden? Dauerhafte, beständige Alternativen mildern den Markt.

In der Genossenschaft sind die Eigentümer zugleich die Nutzer. Im Gegensatz zur Kapitalgesellschaft gibt es in der Genossenschaft keine fremden Eigentümer mit eigenen Erwartungen. In der Genossenschaft und übergeordnet in der Gemeinnützigkeit sind gerade diese Erwartungen ausgeblendet und führen über den partiellen Verzicht der originären Eigentümer dazu, dass die Leistungen günstiger erbracht werden können und/oder eine Reserve auf- und ausgebaut werden kann, die künftigen Generationen den Bestand der Einrichtung sichern hilft.

Erhalt dieser Zukunftsvorsorge

Zum Erhalt dieser Zukunftsvorsorge früherer Mitgliedergenerationen trägt wesentlich bei, wenn sich jede folgende Mitgliedergeneration dieses Auftrages bewusst bleibt. Dann kann sich die Geschichte der "alten" Genossenschaften fortsetzen. Aus einer gesellschaftlich notwendigen Innovation ist über die Generationen von Mitgliedern bis heute eine nachhaltige - auf Dauer angelegte -Institution geworden. Ihr anfangs eine Notlage überwindender Charakter wandelt sich zu einem ausgleichenden im Markt und Wettbewerb oder in einer Gemeinde.

Eine besondere Rolle darf man gewiss den genossenschaftlichen Revisionsverbänden zuschreiben. Denn sie achten nicht nur darauf, dass Bürger als Mitglieder keinen wirtschaftlichen Schaden bei der Gründung nicht tragfähiger Konzepte erleiden. Sie schützen auch das gewachsene Vermögen insofern, als dass sie die reifen Genossenschaften ebenfalls wettbewerbsfähig erhalten und vor den Folgen eines übermäßigen Wachstumskurses warnen. Letzterer ist keinesfalls im Modell einer Genossenschaft angelegt, sondern zeigt bereits an, dass die Denkweisen anderer Rechtsformen übernommen werden.

Zum Autor~Sie sind anderer Meinung?

Diskutieren Sie mit: Online unter www.wienerzeitung.at/recht oder unter recht@wienerzeitung.at