Historiker: Heutige Politik erinnert an Zwischenkriegszeit. | Bis zu 500.000 Roma und Sinti Opfer der Nazis. | Wien. Es ist die "symbolische Politik gegenüber der Mehrheitsbevölkerung auf Kosten einer Minderheit", die Florian Freund stört. Diese Politik gegen Roma und Sinti, die jetzt etwa Italien und Frankreich verfolgen, erinnert den Historiker stark an jene Österreichs in der Zwischenkriegszeit.
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So habe es im Jänner 1933 im burgenländischen Oberwart eine "Zigeunerkonferenz" gegeben - Vertreter der Landesregierung, der Gendarmerie und der Gerichte ließen damals Fantasien aufkommen von der "Vertilgung" der "Zigeuner". Oder man könne sie ja auf eine Insel im Stillen Ozean deportieren, hieß es.
Bereits 1888 war in einem "Zigeunererlass" festgelegt worden, dass alle Gesetze prinzipiell zum Nachteil der betroffenen Bevölkerungsgruppe auszulegen seien. Diese "Politik administrativer Schikane", wie sie Freund nennt, änderte sich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten "von heute auf morgen" in Richtung Vernichtungspolitik.
Auf Basis des "Zigeunererlasses" war auch eine "Zigeunerkartei" angelegt worden, derer sich die Nationalsozialisten nun bedienten. Einerseits war im Dritten Reich der Rassismus zur Staatsdoktrin aufgestiegen, andererseits wurden die als "Zigeuner" titulierten Personen aber auch aufgrund der kriminalbiologistischen Sicht der Nazis verfolgt: Kriminalität galt als angeborene Charaktereigenschaft, derer man nur mit Vernichtung Herr werden konnte, wie Freund erklärt.
Österreichs Gauleiter als Triebfeder
Als Triebfeder der Vernichtung der Roma und Sinti gelten die ostösterreichischen Gauleiter. Die Verhaftung der "Zigeuner" sei zwar aus Berlin angeordnet worden - aber auf Basis der Forderungen aus Ostösterreich, so der Experte.
Im November 1941 wurden mehr als 5000 Roma und Sinti aus Österreich in ein eigenes "Zigeunerlager" im polnischen Ghetto Lodz deportiert. Ohne Wasserversorgung und Toiletten brach dort rasch das Fleckfieber aus - 680 Menschen starben in den ersten Wochen. Die Überlebenden gehörten zu den ersten Nazi-Opfern, die im Dezember 1941 und Jänner 1942 im Vernichtungslager Chelmno/Kulmhof getötet wurden.
Auf Basis des "Auschwitz-Erlasses" von SS-Chef Heinrich Himmler wurden ab 1943 die meisten Roma und Sinti aus Deutschland und Österreich in ein "Zigeuner-Familienlager" in Auschwitz deportiert. Eine besondere Behandlung gab es für Roma und Sinti nicht, sagt Freund: "Die Juden waren der Hauptfeind der Nazis - der Genozid an den Zigeunern passierte einfach nebenbei." Europaweit starben 200.000 bis 500.000 "Zigeuner" in der Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Von den 11.000 von der Polizei so bezeichneten Österreichern waren nach 1945 noch 1500 bis 2000 am Leben.
Doch auch dann wurde die Diskriminierung fortgesetzt: Der "Zigeunererlass" aus 1888 wurde wieder in Kraft gesetzt, die "Zigeunerkartei" bis in die 1960er weitergeführt. Roma und Sinti erhielten weniger Opferhilfe als andere Gruppen. Erst mit dem Nationalfonds wurden sie mit den anderen Opfergruppen der Nazis gleichgestellt, so Freund.