Emmanuelle Charpentier, Miterfinderin der Genschere Crispr/Cas9, über Patentstreits und eine Zukunft mit DNA-Veränderungen.
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Schon lange können Biologen das Genom von Lebewesen verändern. Doch erst das molekulare Werkzeug Crispr/Cas9 ermöglichte es, DNA-Sequenzen schnell, billig und zielgenau zu verändern. Die nobelpreisverdächtige Erfindung gilt als potentestes Instrument der modernen Genetik. Die Grundlage ist ein Enzym namens Cas9, das von einem DNA-Schnipsel, genannt guide-RNA, an sein Ziel geleitet wird. Dort spaltet es die DNA, um Gene zu entfernen oder Sequenzen einzubauen. Ein Ziel ist, Krebs, der über Fehlschaltungen von Genen startet, und Erbkrankheiten zu heilen. Eine der Erfinderinnen der Technologie, Emmanuelle Charpentier, eröffnete am Mittwoch das neue Gebäude des Instituts für Molekulare Pathologie (IMP) im Vienna Biocenter. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihr.
"Wiener Zeitung": Sie haben im Jahr 2011 einen Mechanismus mit-entdeckt, mit dem sich Bakterien gegen Viren verteidigen, indem sie deren DNA umschreiben. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie sahen, was Sie herausgefunden hatten?
Emmanuelle Charpentier: Es gab einige wegweisende Experimente, die uns zeigten, dass wir einen sehr speziellen Mechanismus entdeckt hatten. Als ich und meine beiden PhD-Studenten (siehe Story unten, Anm.) erkannten, dass wir ihn komplett verstanden hatten, waren wir einfach richtig froh und sehr glücklich.
Welche Anwendungen wird es von Crispr/Cas9 in zehn Jahren geben?
Ich glaube, dass die Technologie die Life Sciences transformieren wird. Sie wird in vielen Organismen und Zellen zum Einsatz kommen, von biologisch wichtigen Modellorganismen bis zur Pflanzenwissenschaft. Sie wird auch die Landwirtschaft transformieren. Und in der Medizin kommt Crispr/Cas9 schon heute zum Einsatz, etwa zur Behandlung von schweren und seltenen Erbkrankheiten. Die Technologie wird auch in der Onko-Immuntherapie verwendet, um Immunzellen dazu zu bringen, Krebs-Zellen zu erkennen. All diese Anwendungen werden noch weiterentwickelt.
Für die Klärung des Mechanismus an Bakterien gelten Sie und Ihre US-Kollegin Jennifer Doudna als Nobelpreis-Kandidatinnen. Doch einen langjährigen Patentstreit um Crispr/Cas9 hat nun der chinesische Forscher Feng Zhang vom Broad Institute in den USA für eine Anwendung gewonnen, die es ermöglicht, die Methode auch an menschlichen Zellen zu benutzen. Warum?
Ich würde nicht sagen, dass das Patent für eine Anwendung erteilt wurde, sondern für eine andere Herangehensweise. Der Zuschlag liegt am Zugang der Behörden, die zu dieser Entscheidung kamen - und jetzt muss jeder damit leben. Unsere Anwälte haben die Entscheidung beeinsprucht.
Sie sind Mitbegründerin zweier Firmen, die Medikamente auf der Basis der Genschere entwickeln und auch Lizenzen hierfür vergeben. Wie wichtig ist es Ihnen, dennoch Patente zu halten?
Natürlich kann man Firmen gründen und die Technologien für Anwendungen lizenzieren, aber das ist nicht das ursprüngliche Ziel. Wenn Sie als Wissenschafterin im Labor an einem Mechanismus arbeiten, der der Gesellschaft nützen könnte, und Sie dabei eine schöne Entdeckung machen, wollen Sie diese zuallererst patentieren. Das zweite Ziel ist, sie der Forschung frei zugänglich zu machen, und alles weitere hängt vom Output ab.
Sind Sie aus allen Wolken gefallen, als Sie das Patent nicht bekamen?
Sagen wir es so: Ich habe meine Wissenschaft gemacht, die zu zwei Publikationen geführt hat. Darin haben wir genau beschrieben, wie der Crispr/Cas-Mechanismus funktioniert, sodass ihn jeder Biologe als Genschere verwenden kann, und das haben wir zum Patent eingereicht. Und damals hatte ich den Eindruck, dass wir die Einzigen waren, die den Mechanismus verstanden hatten, und wussten, wie er einzusetzen ist. Alles weitere kann ich im Moment nicht kommentieren.
Woran arbeiten Sie derzeit?
Wir arbeiten immer noch an Crispr und machen zusätzlich Projekte, die wir begonnen haben, bevor Crispr uns sozusagen dazwischen kam. Wir wollen Mechanismen in Bakterien verstehen, die Krankheiten beim Menschen verursachen und die für neue anti-infektiöse Strategien nützlich sein könnten. Crispr/Cas ging aus Untersuchungen an Bakterien hervor und nun wollen wir verstehen, wie Bakterien mit ihrer Umwelt zurechtkommen.
Einige Experten haben Bedenken, dass die Methode riskante Genome oder gefährliche genetische Veränderungen in die Welt bringen könnte. Man könnte dabei zu weit gehen und Monster schaffen. Teilen Sie die Bedenken?
Ja, es ist wichtig, sich dieser Risiken bewusst zu sein, nur so kann eine Diskussion darüber starten. Regulierungen sind nötig, wenngleich sie zu implementieren eine große Herausforderung ist. Ich zähle mich zur Gruppe der Wissenschafter, die der Ansicht sind, dass Crispr/Cas nur in der Forschung und Entwicklung zum Einsatz kommen sollte, sowie im medizinischen Bereich nur in der Behandlung. Ich hoffe, dass die Diskussion, die ich gestartet habe, in die richtige Richtung gehen wird, indem die Anwendungen limitiert werden. Was wir allerdings schon jetzt wissen, ist, dass Crispr/Cas9 in der Landwirtschaft gut funktioniert, weil es präziser ist als vorherige Technologien. Man kann damit sogar Schritte rückgängig machen, und es ist ein gutes Werkzeug zum Schutz der Umwelt.
Was verbinden Sie mit Wien?
Ich komme immer gerne, weil ich dabei Freunde und Kollegen treffen kann. Die Zeit hier war sehr schön, kollegial und ich lernte viel zum Start der Max Perutz Laboratories im wachsenden Vienna Biocenter. Allerdings hatte ich hier zu wenig Perspektive und bekam ein besseres Angebot aus Umea. Das ist normal - Gruppenleiter bleiben nicht ewig.
Emmanuelle Charpentier, geboren am 11. Dezember 1968 in Juvisy-sur-Orge (Frankreich), ist
Mikrobiologin, Genetikerin und Biochemikerin. Sie war Gruppenleiterin an den Max Perutz Laboratories in Wien und an der schwedischen Universität Umea. Seit 2015 ist sie Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie.