Grüne warnen vor rascherer Zulassung von Genprodukten. | Berlakovich: "Kernpunkt ist Wahlfreiheit beim Anbau." | Brüssel. Das Angebot der EU-Kommission klingt so verlockend wie selten: Nächsten Dienstag will Gesundheitskommissar John Dalli formell vorschlagen, dass sich Mitgliedstaaten künftig selbst aussuchen dürfen, ob sie gentechnisch veränderte Organismen (GVO) auf ihren Feldern anbauen oder nicht. Damit würden de facto Kompetenzen aus Brüssel an die nationalen Regierungen rückübertragen. Die Anregung kam von einer Ländergruppe, der Österreich federführend angehörte.
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Hintergrund des Schachzugs sei jedoch der Plan, die langwierigen Zulassungsverfahren zu beschleunigen, um den EU-Markt für den Anbau zahlreicher neuer Gentech-Feldfrüchte zu öffnen, monieren GVO-Gegner. Sollte dieser Plan aufgehen, könnte sich die Freiheit, selbst über den Anbau entscheiden zu dürfen, als Pyrrhussieg erweisen, warnt die Grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek. Der Druck der Herstellerlobbys auf die Staaten, den Anbau zu erlauben, würde steigen.
Konkret plant Dalli, über zwei Schienen vorzugehen, wie aus Entwürfen seiner Vorschläge hervorgeht, die der "Wiener Zeitung" vorliegen. So sollen neue Leitlinien für die Koexistenz von GVO-Anbau mit konventioneller und biologischer Landwirtschaft mit sofortiger Wirkung beschlossen werden. Zum Schutz der Letzteren könnten Regionen oder ganze Länder zu gentechnikfreien Zonen erklärt werden, ohne dass die EU-Kommission wieder dagegen vorgehen wird.
"Ein gefährlichesGeschäft"
Als weiterer Schritt soll ein Absatz der EU-Freisetzungsrichtlinie geändert werden, damit ein GVO-Anbau auch aus anderen Gründen wie Gesundheits-, Umwelt- oder Koexistenzbedenken verboten werden kann. Die Verhandlungen darüber könnten aber ein bis zwei Jahre dauern.
Als Gegenleistung für seine Vorschläge hofft Dalli offenbar, dass Wackelkandidaten wie Deutschland aus der bisherigen Sperrminorität gegen die Zulassungen herausfallen, weil ohnehin Selbstbestimmungsrecht beim Anbau bestünde.
"Ein gefährliches Geschäft" sei das für die Mitgliedstaaten, warnt Mute Schimpf von der NGO Friends of the Earth Europe. Die Vorschläge brächten den Regierungen und Regionen nämlich keine Rechtssicherheit für die Einrichtung GVO-freier Zonen. Gründe wie ethische oder politische Überlegungen würden vor den Gerichten gegen die Anwälte der Biotech-Konzerne kaum standhalten.
Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich kann mit der Kritik nicht viel anfangen: "Wir sind mit dem Angebot der EU-Kommission absolut zufrieden", sagt er zur "Wiener Zeitung". Der Kernpunkt sei, dass sich jedes Land aussuchen kann, ob es die Produkte anbaut. In Österreich werde das nicht geschehen. "Ob die Zulassungsverfahren schneller abgewickelt werden, ist daher irrelevant."
Bisher sind in der EU nur die Genmaissorte Mon810 vom US-Konzern Monsanto und die Generdäpfel Amflora von BASF für den Anbau genehmigt. Das ist im Vergleich von rund 130 GVO weltweit recht wenig.