Rom - In ganz Italien fanden Dienstag Proteste gegen die Polizeirazzia von Sonntagnacht im Pressequartier der friedlichen Globalisierungsgegner von Genua statt. Die Staatsanwälte in Genua ermitteln in diesem Zusammenhang gegen die Polizei. Die italienische Opposition forderte den sofortigen Rücktritt von Innenminister Claudio Scajola. Die Regierung Berlusconi stellte sich in einer Parlamentsdebatte demonstrativ hinter den angegriffenen Minister.
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Zuvor hatte Scajola im Abgeordnetenhaus und im Senat Bericht über die Ereignisse in Genua erstattet, sich auf amerikanische (!) Quellen berufen, die die Zahl der gewalttätigen Demonstranten mit 5.000 angegeben hatten, und den Tod eines Demonstranten am Freitag Nachmittag als Notwehr bezeichnet. Der Polizist habe zwei Schüsse abgegeben, ohne zu zielen, "um sich gegen das zu verteidigen, was nach Lynchmord aussah". Scajola verteidigte auch die Polizeirazzia in der Nacht zum Sonntag, von der er erst im Nachhinein erfahren habe. Sie sei keine Vergeltungsmaßnahme gewesen. Ihre Rechtmäßigkeit werde von der Justiz überprüft.
Italienische Zeitungen, die in diesem Zusammenhang von einer "chilenischen Nacht" schrieben, hatten zuvor berichtet, dass bei dieser Razzia sogar eine Thermoskanne, Fotoapparate und eine Flasche mit Sonnenmilch beschlagnahmt worden seien, aber wenig Material, das einen derart drastischen Polizeieinsatz gerechtfertigt habe. Unter den 92 bei der Polizeirazzia Verhafteten war auch ein Journalist der bürgerlichen Zeitungskette "Resto del Carlino-Nazione-Giorno", dessen Chefredakteur sofort bei den Polizeibehörden interveniert hat.
Der Innenminister gab die Bilanz der Ausschreitungen von Genua mit 280 Festgenommenen und 231 Verletzten - davon 94 Ordnungskräfte, 121 Demonstranten und 16 Journalisten - an. Überwiegend seien französische, deutsche und schweizer Demonstranten festgenommen worden. In der Strafanstalt von Genua waren Dienstag noch 78 Ausländer in Haft, darunter 16 Österreicher.
Im Senat verließen nach Scajolas Bericht die Abgeordneten der Opposition den Saal und warfen dem Innenminister einen "Berg von Lügen" vor. Im Abgeordnetenhaus verlangte Oppositionsführer Francesco Rutelli die sofortige Demission des Ministers, der Chef der Altkommunisten Fausto Bertinotti auch jene der Chefs von Polizei und Carabinieri.
Unter welcher Anspannung Scajola bei der Vorlage seines Berichts gestanden hat, macht vielleicht sein verbaler Lapsus deutlich, als er von der Überwachung der "fioriere" (Blumenhändler) sprach, aber die "frontiere" (Grenzen) meinte.
Die Organisation ATTAC-Österreich hat Dienstag kritisiert, dass der G-8-Gipfel so gut wie keine Ergebnisse gebracht habe. Die Notwendigkeit, den Globalierungsprozess sozial und ökologisch zu regulieren, werde weiter ignoriert.