Die Gewerkschaft lässt Details vermissen, wie ihre sechs Milliarden schwere Steuersenkung finanziert werden soll - eine Analyse
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Wien. Es gab zwei Themen, die Österreichs Politik den vergangenen Jahren lähmten. Der Streit über die Gesamtschule und jener über die Vermögenssteuer. Sollte die Wahlbeteilung bei der nächsten Wahl in den Keller rasseln, wird der Polit-Frust über das rot-schwarze Hickhack maßgeblichen Anteil daran gehabt haben.
Vor diesem Hintergrund ist das Steuerreform-Papier des Gewerkschaftsbundes (ÖGB) und der Arbeiterkammer (AK) ein gutes Zeichen. Wie exklusiv in der "Wiener Zeitung" berichtet, sollen die Lohnsteuerzahler um sechs Milliarden Euro entlastet werden.
Weicher Knackpunkt
Auf den ersten Blick mag das Papier nicht wie eine Harmonieoffensive wirken. Denn wenn es darum geht, wo die sechs Milliarden Euro herkommen, heißt es nicht nur - äußerst vage - "Kampf gegen Steuerbetrug" oder "Doppelförderungen zwischen Bund und Ländern vermeiden" oder "Effizienzsteigerung". Sondern es findet sich auch das Kampf-Wort "Vermögenssteuern". Die sollen zwei Milliarden Euro von den Reichen einspielen, um es dem kleinen und mittelgroßen Mann zu geben. Die empörten Reaktionen des ÖVP-Wirtschaftsflügels und der Industrie ließen nicht lange auf sich warten. Vermögenssteuern treffen den Mittelstand und rauben den Menschen das Eigenheim, tönt es wie auf Knopfdruck. Doch die ÖVP besteht auch aus einem Gewerkschaftsflügel. Und der trug das Papier mit - inklusive Vermögenssteuern.
Grund für das schwarze Ja: Auch die roten Gewerkschafter ließen Federn, um die Schwarzen ins Boot zu holen. So steigt die Einkommensgrenze für den höchsten Steuertarif von 60.000 auf 80.000 Euro. Das heißt, auch Gutverdiener werden entlastet. Den Grünen geht diese Entlastung zu weit, ein Indiz, dass hier linke Zähne knirschten.
Das Kapitel zu den Vermögenssteuern ist dünn gehalten und wenig spezifisch. Der klare Fokus auf die Steuersenkung und die neuen Steuertarife soll signalisieren: Wo das Geld für eine Steuersenkung am Ende herkommt, daran soll die Reform nicht scheitern, Hauptsache, sie kommt. Das lässt der Regierung einen möglichst großen Spielraum.
"Unser Ziel war nicht eine Kampagne für eine Vermögenssteuer, sondern für eine Lohnsteuersenkung", sagt ÖGB-Präsident Erich Foglar. Nur selber finanzieren sollen sich die Arbeitnehmer die Steuersenkung nicht, etwa durch höhere Mehrwertsteuern oder die Abschaffung des steuerbegünstigten 13., 14. Gehalts. "Was gar nicht geht, ist rechte Tasche, linke Tasche", sagt Foglar. Einschnitte ins Sozialsystem oder bei den Beamten lehne er ab. Bei den wohl bald nötigen, schmerzhaften Nachjustierungen im Pensionssystem sagen Gewerkschaft und AK sowieso Njet.
Kein Grund für Grundsteuern?
Damit schließen die Arbeitnehmervertreter die meisten Quellen außer vermögensbezogene Steuern aus, um die sechs Milliarden Euro aufzustellen. Das heißt aber auch, sie schieben die heiße Kartoffel der Regierung zu. AK-Boss Rudolf Kaske verweist darauf, dass Experten der Arbeiterkammer in der Steuerreformgruppe der Regierung säßen. Außerdem hätte auch niemand dazugesagt, wie das Debakel bei der Hypo oder den Volksbanken gegenfinanziert werde.
Doch selbst zur Grundsteuer findet sich nichts im Papier, obwohl sich ÖVP und SPÖ bei dieser vermögensbezogenen Steuer noch am ehesten treffen könnten. Der Schluss liegt nahe, dass hier Rücksicht auf den Wohnungseigentümer Stadt Wien genommen wird. Der müsste auf die Grundsteuer verzichten, sollte sie nicht mehr auf die Betriebskosten der Mieter übergewälzt werden dürfen - das wäre eine logische Konsequenz einer sozial verträglichen Grundsteuererhöhung, die nicht auf die Mieter durchschlägt. Doch das letzte Wort in der roten Arbeiter-Reichshälfte dürfte noch nicht gesprochen sein. So könnten die Bundesländer die Grundsteuer selbst einheben und das Problem in die Hand nehmen.
Die Erbschaftssteuer wird zwar dezidiert erwähnt, mit welchem Freibetrag sie aber versehen wird, bleibt ebenfalls Sache der Steuerreformkommission.
Und die klassische Substanz-Steuer auf Immobilien, Finanzvermögen, Wertgegenstände? Sie ist die Gott-sei-bei-uns-Steuer für die ÖVP. Schon vor Erstellung des Papiers versteifte sich die Gewerkschaft nicht darauf und sprach lieber von "vermögensbezogenen Steuern". Die Hoffnung dahinter: ÖVP und SPÖ kratzen aus einer Vielzahl "kleinerer" Steuermaßnahmen genug Geld von den Vermögenderen zusammen, ohne dass die ÖVP ihr Gesicht verliert. Ob es wirklich sechs Milliarden Euro sein müssen, auch hier legt man sich nicht fest. "Das kommt auf die Rahmenbedingungen an. Wir sind keine Utopisten", sagt Foglar mit Verweis auf den Krieg in der Ukraine, dessen Folgen für die Wirtschaft noch offen sind.
Die Umsetzung
Fazit: Bei der Finanzierung ihres Entlastungsreigens bleiben AK und ÖGB - den politischen Kompromiss im Blick - vage. Beim Ziel für ihre "Lohnsteuer runter"-Kampagne, die bis dato fast 600.000 Arbeitnehmer unterschrieben haben, legen sie sich hingegen fest: "Die Kampagne ist erst zu Ende, wenn der Nationalrat die Steuerreform beschlossen hat und dem Arbeitnehmer mehr Netto vom Brutto bleibt. Wenn es notwendig ist, werden wir den Druck verstärken", lässt Foglar dann doch kurz die Muskeln spielen, um nicht zu versöhnlich zu wirken.
Reaktionen
Man werde die Ideen nun wie alle anderen prüfen, erklärte Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) in einer ersten Reaktion auf das ÖGB/AK-Papier. "Ich bekomme täglich Konzepte. Ich bedanke mich für die Ideen." Die Bundesregierung müsse sich zunächst auf ein Volumen für die Reform verständigen. Erst dann könne man über die Gegenfinanzierung reden. Sein Plan sei weiterhin, eine Steuerreform ohne jegliche neue Steuern durchzuführen.
Innenministerin und ÖAAB-Obfrau Johanna Mikl-Leitner sprach von einem "Wettbewerb der besten Ideen", und jede Idee sei willkommen. Das ÖGB-Modell liege ihr noch nicht vor, sie sei aber jedenfalls gegen Substanzbesteuerung. Ein zentrales Anliegen sei ihr die Entlastung der Arbeitnehmer sowie der Familien mit Kindern. Auch Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner verwies darauf, dass verschiedene Vorschläge auf dem Tisch liegen. Diese werde man nun prüfen.
Aus Sicht von SPÖ-Klubchef Andreas Schieder hat das ÖGB-Modell zwei Vorteile: Einerseits sei es "ökonomisch gut durchdacht" und würde das Wirtschaftswachstum stärken, andererseits sei es politisch breit aufgestellt, es werde von allen Fraktionen getragen. Für den Klubchef ist es eine "gute Grundlage für weitere Verhandlungen" in der Regierung. Schieder verwies auf den gemeinsamen Entschließungsantrag von SPÖ und ÖVP, der eine Senkung des Eingangssteuersatzes in Richtung 25 Prozent vorsieht. Das ÖGB-Modell habe außerdem den Vorteil, dass es auf die Frage der Gegenfinanzierung "mögliche Antworten" gebe. Dass im ÖGB-Modell
2 Milliarden Euro aus Vermögenssteuern vorgesehen sind, hält Schieder für eine "gute und richtige" Forderung. "In Summe ist es ein guter Kompromiss."
Die neue Gesundheitsministerin und frühere ÖGB-Vizechefin Sabine Oberhauser sieht im Modell eine "gute Unterstützung" für die Steuerreformkommission. Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) meinte, es handle sich um einen Vorschlag, der in die Gesamtdebatte einfließt. Er zeigte sich "hocherfreut", dass das Modell auf dem Tisch liegt. Auf scharfen Widerstand stößt der Vorschlag bei ÖVP-Wirtschaftsbund sowie der Industriellenvereinigung (IV). Der Plan, rund 2 Milliarden Euro aus Vermögensbesteuerung zu lukrieren, wird strikt abgelehnt. Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner erklärte, der Gewerkschaftsbund sei "mit seinen fadenscheinigen Steuerideen weiter auf dem Belastungspfad". Eine "richtige Steuerreform" habe nichts mit der Einführung neuer Steuern zu tun. Zwar loben Haubner und auch IV-Präsident Georg Kapsch das Ziel einer Entlastung. Dieser Weg könne aber nicht "über eine zusätzliche Belastung des Mittelstandes durch Substanzsteuern" führen, betonte Kapsch. Vermögenssteuern seien "ideologisch, aber nicht ökonomisch motiviert".
FPÖ-Finanzsprecher Hubert Fuchs bezeichnete eine Lohnsteuersenkung als "Tropfen auf den heißen Stein". Ein Großteil der Abgaben auf das Einkommen entfalle auf die Sozialversicherung, die niedrige Einkommen überproportional belaste.
Eine Gegenfinanzierung durch eine Vermögenssteuer sei indiskutabel, meinte FPÖ-Budgetsprecher Elmar Podgorschek.
Kritik kam auch vom Grünen Klubchef und Budgetsprecher Werner Kogler: "Man kann das anders, besser, seriöser und vor allem gerechter machen als der ÖGB", sagte er. Die angestrebten 2 Milliarden Euro aus Vermögen seien zu wenig, die Grünen - sie wollen demnächst ihr eigenes Konzept vorstellen - peilen hier 3 Milliarden an.