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Österreich hat ein überaus soziales Bildungssystem. Das soll auch so bleiben, wenn es stimmt, dass insbesondere der freie und kostenlose Hochschulzugang beibehalten wird - wenngleich dies von den künftigen politischen Konstellationen im Land abhängt. Der Preis, der für unser liberales System bezahlt wird, ist hoch: Einerseits die große Anzahl an wertvolle Ressourcen verbrauchenden Studienabbrechern (die Hälfte von den Studienanfängern) und inskribierte "Leichen" (die zwar keine Prüfungen ablegen, dafür aber den Verwaltungsapparat belasten). Andererseits steht dem wachsenden Angebot an Absolventen eine zu geringe Nachfrage vom Arbeitsmarkt gegenüber. Dort, wo der Zustrom zur Ausbildung durch rigorose Aufnahmeverfahren reglementiert wird, zahlt sich das auch aus: Absolventen von berufsorientierten Ausbildungen (etwa Fachhochschulen) und besonders von postgradualen Programmen (wie die hochkarätigen MBA-Studien) werden hundertprozentige Berufsaussichten eingeräumt.
An den Universitäten fordern die Rektoren eine Studieneingangsphase - und lehnen sich damit für österreichische Verhältnisse ohnehin weit aus dem Fenster. Es wäre lediglich ein sanfter Versuch, die Anzahl der Studierenden, die später ("no na") auch Jobs haben wollen, zu reduzieren. Doch derweil gilt allemal der Grundsatz "inskribiert und nicht krepiert ist promoviert". Soll heißen: Die Unis fördern Akademiker zu Tage, die zumindest brav gelernt haben. Jene, die einst die Reifeprüfung mit Ach und Weh bestanden, erhalten an der Uni eine zweite Chance. Das ist zu begrüßen. Aber was dann?
Zu einer angebots- und nachfrageorientierten Studienplanbewirtschaftung ist es in Österreich bisher nicht gekommen. Das würde auch dem sozial(demokratisch)en Prinzip des freien Hochschulzuganges widersprechen. Freilich hat die Politik Rahmenbedingungen für das angeblich höchste Gut, nämlich die Bildung der Menschen zu schaffen. Aber nun liegt der Ball bei den Universitäten selbst. Möglicherweise ist das UOG ´93 (das den Unis weitergehende Autonomie und Eigenverantwortung zugesteht und an den großen Unis immer noch nicht vollständig umgesetzt ist) ein Hoffnungsträger. Vielleicht bieten in der Folge aber auch die von politischer Seite angestrebten "voll rechtsfähigen" Universitäten eine neue Chance. Das Modell von einer akademischen Bildungseinrichung als eigener Rechtsträger wurde ja bereits erfolgreich bei den Fachhochschulen umgesetzt.
Gefordert sind aber auch die Unternehmergeister. Mehr Offenheit für jene, die kein Ausbildungsstudium (etwa in Wirtschaftswissenschaften) absolviert haben, sondern in interdisziplinär, fächerübergreifend angelegten Studien durch den universitären Denkerclub gegangen sind, wäre wünschenswert. Das Prestige von Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaftern hält sich in der Alpenrepublik in Grenzen. Rauher Wind bläst ihnen vom Arbeitsmarkt entgegen, berufliche Flexibilität ist angesagt. Im angelsächsischen Raum hat man die Vorzüge dieser akademischen Spezies früher erkannt: Methodisches Arbeiten sind Geisteswissenschafter gewohnt und Unternehmer daher dafür offen, sie auch ohne spezifische Fachkenntnisse einzustellen. Ob derartige Mitarbeiter wohl auch hierzulande ein Unternehmen bereichern könnten?
Fazit: Es gibt kein Gesetz, das alles auf einmal reformiert. Reformen sind immer auch Experimente. Nur so passieren - notwendige - Innovationen. Die Bildungslandschaft ist wie in der Natur: bunt und vital. Die Vegetation gehört gepflegt. Die Pilze, die aus dem Boden schießen, wollen gedeihen und gepflückt werden