Für seine zweite Chance setzt Norbert Hofer auf Mäßigung und fordert 100 Milliarden - als Marschall-Plan für Nordafrika.
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Wien. Politiker, die ihre Strategien und Positionen plötzlich verändern, gibt es seit Erfindung der Politik, da muss man nicht auf Konrad Adenauers legendäre Selbsterkenntnis verweisen. Für die Neuauflage der Stichwahl für das Amt des Bundespräsidenten durchläuft nun auch FPÖ-Kandidat Norbert Hofer einen Verpuppungsprozess: weg vom Scharfmacher hin zum Politiker einer gemäßigten Rechten. Die "Wiener Zeitung" traf den 45-jährigen Burgenländer und Dritten Nationalratspräsidenten nach einer für ihn (Antrag auf Berufsunfähigkeitspension) und die Republik (die Wahlkarten!) turbulenten politischen Woche zum Interview.
"Wiener Zeitung": Herr Hofer, wie stark ist Ihr Vertrauen in die österreichische Demokratie?Norbert Hofer: Stark. Natürlich gibt es Probleme, aber Österreich ist eine gewachsene Demokratie.
Ich frage, weil im Wahlkampf immer wieder von FPÖ-Spitzenfunktionären behauptet wird, der Sieg Alexander Van der Bellens in der Stichwahl vom 22. Mai sei nur durch Manipulation zustande gekommen und deshalb auch aufgehoben worden. Tatsächlich hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass er keine Hinweise auf Manipulationen gefunden habe. Geht die FPÖ hier nicht fahrlässig mit einem der höchsten Güter der Demokratie um, dem Grundvertrauen, dass bei Wahlen nicht absichtlich betrogen wird?
Nein, das sehe ich nicht so. Uns sind einzelne Fälle bekannt, wo es wirklich zu Manipulationen gekommen ist. Diese Fälle hat die Kanzlei Böhmdorfer am Freitag der Staatsanwaltschaft übergeben.
Faktum bleibt: Das Höchstgericht hat die Wahl nicht wegen Manipulation aufgehoben. Doch genau das behauptet die FPÖ.
Aufgehoben wurde, weil es Raum für Manipulationen gab. Das andere müssen nun Juristen klären. Aber ich betone noch einmal: Ich habe volles Vertrauen in den Rechtsstaat.
Also keine Kritik von Ihnen an solchen Behauptungen. Sie sind Dritter Nationalratspräsident und als solcher staatstragend; nun kandidieren Sie als Staatsoberhaupt: Müssten Sie hier nicht klare Grenzen setzen?
Ich sehe das anders. Es gab gravierende Mängel, die Raum für Manipulationen ließen. Deshalb wurde die Stichwahl aufgehoben. Das Vertrauen erschüttern nicht diejenigen, die diese Mängel aufgezeigt haben, sondern jene, die für diesen Umgang mit der Briefwahl verantwortlich sind. Es gab ja auch schon in der Vergangenheit Verurteilungen. Die Politik muss jetzt dafür sorgen, dass wir ein sicheres Wahlrecht erhalten, wo Manipulationsmöglichkeiten mit der Briefwahl ausgeschlossen werden. Was ich wirklich für gefährlich halte, sind Aktionen wie von Hans Peter Haselsteiner (der vor der Wahl Hofers warnt, da dieser für einen EU-Austritt plädiere; Anm.). Das Video wirkt wie ein Propagandafilm aus dem Zweiten Weltkrieg. Wir dürfen nicht vergessen: Nach der Wahl wird entweder Van der Bellen oder ich Bundespräsident sein. Wenn man auf solche Art Stimmung macht, schadet man nicht nur der Person, sondern auch dem Amt und dem Staat. Man kann nicht einen Kandidaten verteufeln und glauben, dass das nicht ausstrahlt.
Sie messen mit zweierlei Maß: Die FPÖ-Attacken gegen Van der Bellen sind nichts für Zartbesaitete. Sie selbst haben ihn als "faschistischen grünen Diktator" bezeichnet.
Dazu habe ich festgestellt, dass ich das so nicht mehr formulieren würde. Gegen mich richten sich täglich "Nazi"-Anwürfe. Genau deshalb plädiere ich ja jetzt für mehr Besonnenheit, und ich will selbst einen Beitrag leisten, indem ich mich um eine gemäßigtere Wortwahl bemühe.
Gudenus wollten Sie vorhin jedoch nicht zur Mäßigung aufrufen.
Ich kann es nur für mich persönlich machen, Van der Bellen kann auch nicht auf andere Funktionäre der Grünen Einfluss nehmen. Wir sollten die Emotionen im Zaum halten.
Also kein Problem, wenn am Ende Ihr Konkurrent gewinnt?
Nein, aber die Wahl ist eine Richtungsentscheidung. Die Regierung hat in den letzten Monaten bei den Themen Flüchtlingen und Freihandel nicht zuletzt aufgrund der Meinungsumfragen einen Kurswechsel eingeschlagen, den ich für vernünftig halte. Wenn ich gewinnen sollte, ist das ein Garant dafür, dass der neue Kurs auch beibehalten wird. Bei Van der Bellen ist das nicht sicher, er hat hier teils andere Vorstellungen.
Unterstützen Sie den Weg, den die Koalition mit Sonderverordnung einschlägt?
Bei der Notverordnung gibt es bei der Umsetzung Probleme, zu viele Fragen sind offen. Deshalb wird das eher nicht funktionieren, wir lösen damit auch nicht die Ursachen der Flüchtlingskrise. Das kann nur gelingen, wenn die Schengen-Außengrenze streng kontrolliert wird. Wir müssen genauer zwischen Asylflüchtlingen, die Recht auf Schutz haben, und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden. Und wir müssen die Probleme bei der Wurzel packen: Europa wird um einen Marschall-Plan für Nordafrika nicht umhinkommen, soll der Migrationsdruck aus dieser Region dauerhaft verringert werden. Jeder Euro, den ich dort investiere, ist viel mehr wert, als wenn ich ihn hier ausgebe. Das wird nicht sofort wirken, aber Europa muss das jetzt mutig angehen. Das wäre ein gutes Projekt für die EU.
Wie viel Geld soll die EU dafür einsetzen?
100 Milliarden Euro sollten es wohl schon sein.
Weil die FPÖ schon einmal plakatiert hat "Unser Geld für unsere Leute": Österreich soll aliquot seinem Anteil mitzahlen?
Ja, weil es uns billiger kommen wird, bei einem solchen Projekt mitzumachen, als wenn wir die Kosten für die Integration von immer mehr Flüchtlinge in Österreich bezahlen müssen.
Glauben Sie das wirklich, dass es billiger wird?
Oh doch.
Wie geht Ihre Rechnung?
Was glauben Sie, was man mit tausend Euro Mindestsicherung für einen Flüchtling in Österreich in Nordafrika anfangen kann.
Schon, aber die Flüchtlinge sind ja bereits hier, und die Kosten für einen neuen Marschall-Plan kommen da ja noch dazu.
Ich rechne langfristig. Es werden dann weniger Flüchtlinge zu uns kommen, und unsere Wirtschaft kann von neuen Aufträgen in dieser Region profitieren.
Das erinnert an den Kauf der Eurofighter oder die Hypo-Verstaatlichung, die beide am Ende auch einen Gewinn abwerfen sollten . . .
Das kann man nicht vergleichen.
Grundsätzlich ist die Idee eines Entwicklungsplans vernünftig. Warum werben Sie damit nicht bei Ihren Wahlkampfauftritten?
Weil ich die Idee erst am Donnerstag in einem Gespräch mit einem Experten entwickelt habe. In Zukunft werde ich damit auch wahlkämpfen.
Sie kritisieren, dass Österreich in der EU zu wenige Verbündete hat. Jetzt gibt es die Visegrad-Gruppe aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. In der Flüchtlingspolitik teilen diese Länder viele Positionen mit der FPÖ: Soll sich Österreich der Gruppe anschließen?
In solchen Fragen braucht es eine enge Abstimmung mit Kanzler und Außenminister. Dass wir uns Visegrad anschließen, halte ich für unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Mir schwebt eher eine Bündnisgruppe vor, wie sie die Benelux-, aber eben auch die Visegrad-Staaten haben.
Die Frage ist: mit wem?
Erste Ansprechpartner sind natürlich unsere Nachbarn, Slowenien etwa, aber auch Kroatien, Tschechien, auch Ungarn. Das muss aber eng mit der Regierung abgestimmt sein.
Auffällig ist, dass Sie Deutschland nicht erwähnen, mit dem Österreich seit Jahrzehnten die engsten Verbindungen hat, vor allem wirtschaftlich, aber auch politisch.
Deutschland ist ein Akteur, der schon allein genug Einfluss in der EU hat. Mir geht es um die kleineren Staaten, die oft zu wenig gehört werden. Deutschland ist ein wichtiger Partner für uns, aber die Interessen liegen nicht immer gleich, etwa bei den Flüchtlingen, bei Ceta und TTIP, wir sind neutral, Berlin ist in der Nato.
Selbst wenn Sie verlieren, werden Sie das beste Wahlergebnis erreicht haben, das je ein FPÖ-Politiker geschafft hat. Prädestiniert Sie das nicht für höhere Aufgaben, etwa für die Spitzenkandidatur bei der nächsten Nationalratswahl?
Nein, wenn ich verliere, geht das Leben weiter und ich bleibe, was ich jetzt bin: Dritter Nationalratspräsident. Das Amt des Bundeskanzlers ist definitiv nicht Teil meiner Lebensplanung.