Zum Hauptinhalt springen

Genug weggeschaut

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
0

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Armut, Globalisierung, Integrationsdefizite, Arbeitslosigkeit, Tierleid: Das sind die Themen, über die wir gerne reden. Sicherheit im engeren Sinne gehört nicht dazu. Nur bei Anlassfällen, wie jetzt dem Berliner Terroranschlag, fällt der Blick auf Versäumnisse. Doch wenn gerade einmal nichts passiert, dann beschäftigen wir uns lieber mit anderen Fragen.

Man kann diese Verdrängungsstrategie menschlich finden, vernünftig ist sie nicht - und bei anderen, populäreren Themen gibt es sie auch nicht. Seit den Terrorangriffen vom 11. September 2001 sollte Sicherheit ganz oben auf der politischen Agenda stehen. Tatsächlich beschäftigt sie auch unzählige Experten, doch öffentlich debattiert wird lieber über anderes. Aus irgendeinem Grund gibt es einen ausgeprägten Widerwillen der liberalen Meinungsführer, sich nachhaltig und ernsthaft mit den Notwendigkeiten von Sicherheitspolitik auseinanderzusetzen. Dabei wäre deren kritische, aber konstruktive Stimme doppelt wichtig. Und weil das so ist, wurde dieses für den Zusammenhalt einer Gesellschaft so zentrale Politikfeld anderen überlassen, die weniger Gewissensbisse haben.

Woher diese Abneigung der politischen Mitte und Linken kommt, müssten politische Tiefenpsychologen beantworten. Vermutlich ist es eine Reaktion auf die Abgründe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und später dann haben sich ohnehin die USA für die Europäer der Sache angenommen.

Die richtige Balance bei Themen, bei denen es keine einfachen Lösungen gibt, lässt sich nicht finden, indem man die Augen vor unbequemen Tatsachen verschließt, sondern indem mit offenem Visier öffentlich über sie gestritten wird. Und zwar unaufgeregt, mit Sachkenntnis und auf der Basis überprüfbarer Erkenntnisse sowie realistischer Bedrohungsanalysen.

Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum etwa ist ein Affront für alle Liberalen. Wenn es um Ruhestörer und Randalierer geht, schießt sie mit Kanonen auf Spatzen. Aber möglicherweise ist sie der richtige Weg, Terroristen das Handwerk zu legen. Das gilt auch für die Speicherung von Vorratsdaten und Fluggastinformationen.

Es sind schlimme Zeiten. Und wenn sie nicht noch schlimmer werden sollen, steht die Politik in der Verantwortung, über das Notwendige erst zu streiten und dieses dann umzusetzen. Ohne Panikmache, aber auch ohne Schönfärberei.