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Geopolitik in historisch vermintem Gelände: die EU-Ostpartnerschaft

Von Gerhard Lechner

Analysen

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Geopolitik ist trotz klammer Kassen en vogue: Was den Franzosen ihr Mittelmeer ist, den Österreichern ihr Donauraum und Balkan, sind den Polen (und Schweden) die Ukraine und Weißrussland. Gemeinsam mit Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldawien sollen diese Länder im Rahmen der 2009 gegründeten Östlichen Partnerschaft an die EU angebunden werden. Am Freitag ging in Warschau das zweite Spitzentreffen der Gruppe mit den EU-Staaten zu Ende.

Der polnische EU-Vorsitz hat dabei Schwierigkeiten, die eigenen geopolitischen Interessen mit der Förderung von Demokratie und Menschenrechten in Einklang zu bringen - dem erklärten Ziel der Partnerschaft. Dass Letztere in Georgien und insbesondere Aserbaidschan verletzt werden, mag verschmerzbar sein - von den Vorgängen am Kaukasus nehmen nur wenige Notiz. Anders ist die Lage in Minsk und Kiew, wohin vor allem Polen enge historische Bande geknüpft hat. Dass die Weißrussen das Treffen boykottierten, dass der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch sich in Warschau für seinen Umgang mit der Opposition rechtfertigen musste, störte die Gipfelharmonie dann doch beträchtlich.

Vor allem im Fall des von Alexander Lukaschenko autoritär geführten Weißrussland steckt Warschau (wie die ganze EU) in einem Dilemma: Trifft man sich, wie im Vorfeld des Ost-Gipfels, mit der Opposition, reagiert Minsk verschnupft, der Dialog liegt auf Eis und der Gewinner heißt Moskau. Ähnlich im Fall der Ukraine: Dort hat man es nach der kurzlebigen Orangen Revolution mit Janukowitsch zu tun, dem "Bösewicht" von 2004. Hofiert man ihn, verärgert man die westlich orientierte Opposition, geht man auf Konfrontation, heißt der Gewinner: erraten, Moskau.

Hier stößt das "europäische Friedensprojekt" im wahrsten Sinn des Wortes an Grenzen. Entgegen schönen Worten wird Russland schließlich vor allem als geopolitischer Rivale wahrgenommen. Weißrussland und die Ukraine sind aber nun einmal historisch und kulturell stark mit Russland verbunden. So gilt etwa Kiew als "Mutter der russischen Städte", zählen Ukrainer wie Nikolaj Gogol zu den Säulenheiligen der russischen Kultur. In Moskau werden Präsident und Patriarch auch nicht müde, um die "orthodoxen Brüder" jenseits der Grenzen zu werben - auch wenn vor allem viele Ukrainer skeptisch bleiben und bei einer erneuten Anbindung an Russland einen Rückfall in die Russifizierungspolitik der Sowjetzeit befürchten.

Ein EU-Beitritt, wie ihn sogar Janukowitsch will, scheint da verlockend - statt kleiner Bruder in einer slawischen Union wäre man Teil des - bis dato reichen - Europa. Moskau wäre dann allerdings "draußen vor der Tür" und von seiner eigenen Herkunft abgeschnitten. Ein "Friedensprojekt" sieht anders aus.