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Bill Clinton bezeichnete Grenze zwischen den beiden Koreas einst als beängstigendsten Ort der Welt.
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Panmunjeom. Bill Clinton meinte einmal, das hier sei der furchteinflößendste Ort der Welt. Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist mit einem Panzersperrwall, Minenfeldern, Stacheldraht und einem elektrischen Zaun, der quer über die koreanische Halbinsel verläuft, gesichert. Nordkorea verfügt über die Atombombe und hat 1,2 Millionen Soldaten unter Waffen, Südkorea ist ebenfalls hochgerüstet, derzeit dienen 639.000 Mann in der Armee.
Dass es einen Souvenir-Shop gibt, in dem Grenzstreifen-Memorabilia verkauft werden, beruhigt und führt zu Assoziationen eines bizarren Disneylands für Geopolitik-Touristen.
Doch für ein Disneyland ist die Lage zu ernst, auch wenn die Zahl der Besucher seit Ausbruch der Krise auf der Halbinsel dramatisch angestiegen ist, wie der Korporal der US-Armee, Brandon Demeo, ausführt. Der 25-jährige US-Soldat aus North Chelmsforf, Massachusetts, ist der "Reiseführer" auf dieser Expedition an die nordkoreanische Grenze. Wie alle Soldaten hier trägt er eine dunkle Sonnenbrille, auch wenn der Himmel an diesem Tag stark bewölkt ist. Seit elf Monaten dient Demeo in der US-Armee, Panmunjeom ist für ihn ein Symbol der Teilung der koreanischen Halbinsel, eine Erinnerung an die tragische Geschichte der beiden koreanischen Staaten: Die Halbinsel war seit 1910 von Japan annektiert, nach der Kapitulation des Tenno teilten die Sowjetunion und die USA das Land entlang des 38. Breitengrads in einen Nord- und einen Südteil auf. Die den Koreanern versprochenen gesamtkoreanischen Wahlen fanden nie statt, 1948 setzten die UdSSR und die USA ihnen jeweils loyale Vasallen-Regierungen ein. 1950 versuchte Nordkorea sich den Süden einzuverleiben, der daraus folgende Korea-Krieg sollte bis zum 27. Juli 1953 dauern, fast eine Million Soldaten und rund 2,5 Millionen Zivilisten starben auf beiden Seiten.
Der 38. Breitengrad ist auch heute die Demarkationslinie zwischen der Republik Korea und der Demokratischen Volksrepublik Korea und führt in Panmunjoem mitten durch drei blaue Baracken, in denen die Waffenstillstandskommission im Bedarfsfall zusammentritt.
Der Blasen-Krieg
Korporal Demeo führt in die mittlere der drei blauen Baracken, die Besucherdelegationen von beiden Seiten abwechselnd zugänglich ist. Ein Soldat der südkoreanischen Armee, mit ernster Miene, Helm, Sonnenbrille und langem Militärmantel, steht in Tae-Kwon-Do-Bereit-Stellung da und bewacht die Türe. Es soll schließlich kein Mitglied der Journalistendelegation in den Norden überlaufen. Es heißt übrigens, dass beide koreanischen Armeen jene Soldaten hierher schicken, die am größten gewachsen sind, um die andere Seite zu beeindrucken.
"Halten Sie einen Mindestabstand von 15 Zentimetern zum Soldaten der südkoreanischen Armee, damit sie ihn nicht in seiner Arbeit behindern", bittet Korporal Demeo. Routiniert erzählt er von den Treffen zwischen den beiden Militärdelegationen, die hier stattgefunden haben. "Die meisten haben zwischen zwei und vier Stunden gedauert, es gab aber einmal eines, das ununterbrochen elfeinhalb Stunden lang war. Kein Vertreter der beiden Seiten benutzte dabei die Toilette, man wollte vor der Gegenseite keine Schwäche zeigen.
Es geht um geopolitisches Posing und um einen Krieg der Augäpfel: Beide Seiten beäugen einander misstrauisch, und wie um dieses Faktum zu unterstreichen, holt der nordkoreanische Soldat, der gleich hinter den blauen Baracken Aufstellung genommen hat, seinen Feldstecher hervor und nimmt genau unter die Lupe, was auf südkoreanischer Seite passiert.
Potemkinsche Dörfer
Ebenfalls auf dem Spielplan des großen Welttheaters: ein Krieg der Worte und Gesten. Korporal Demeo erzählt: "In diesem Haus da drüben finden sich stets rund zehn oder zwanzig nordkoreanische Soldaten ein, sobald wir hier eine Besprechung abhalten. Sie ziehen die Vorhänge auf, schneiden Grimassen und machen unanständige Gesten oder Drohgebärden, fahren sich beispielsweise mit der Handkante den Hals entlang. Was das heißen soll, erklärt sich von selbst. Aufgrund dieses kindischen Verhaltens der nordkoreanischen Soldaten nennen wir dieses Gebäude das Affenhaus."
Dann geht es weiter in den Bus, zum Checkpoint Nummer Drei, vorbei am südkoreansichen Propagandadorf Daeseong-dong, das sich nur eineinhalb Kilometer vom nordkoreanischen Propaganda-Dorf Kijong-dong entfernt befindet.
Hier tobt ein weiterer Krieg der Symbole: In beiden Dörfern stehen gigantische Fahnenmasten, der im Süden ist 98,4 Meter hoch, der im Norden ist gleich 160 m hoch, die Fahne wiegt 270 Kilogramm. "Wenn es regnet, müssen die Nordkoreaner die Fahne einholen, die reißt sonst unter ihrem eigenen Gewicht", erzählt Korporal Demeo. Der Wind trägt Propagandamusik vom Nordkoreanischen Kijong-dong in den Süden. "Kijong-dong soll ein idyllisches Dorf darstellen und die Menschen zum Überlaufen nach Nordkorea animieren", sagt Demeo, "aber das Dorf ist mehr eine Kulisse. Einige der Fenster und Türen sind aufgemalt und viele der mehrstöckigen Häuser haben innen gar keine keine Stockwerke", sagt er. Woher man das wisse? Man sehe nach Einbruch der Dunkelheit, wie in den Häusern das Licht von der Decke bis ins Erdgeschoss flute.
Hinter dem nordkoreanischen Dorf ist am Horizont eine Hügelkette auszumachen, "dort ist der Großteil der nordkoreanischen Artillerie stationiert", sagt Demeo.
Nächste Station: Die Brücke ohne Wiederkehr. Nach dem Krieg wurden hier Kriegsgefangene ausgetauscht. Wer über die Brücke in den jeweils anderen Teil Koreas wechselte, konnte nie mehr zurück.
"Man ist in Nordkorea"
Frage an Korporal Demeo: "Was passiert, wenn man die Brücke überquert?" "Dann ist man in Nordkorea", sagt der trocken.
Demeo erinnert an einen Zwischenfall, der sich am 18. August 1976 gleich neben der Brücke zugetragen hat: Zwei G.I.s wurden von nordkoreanischen Soldaten mit Äxten getötet, das UN-Militärcamp trägt bis heute den Namen des beim Axt-Angriff getöteten US-Hauptmanns Arthur Bonifas.
Schließlich geht es im Bus zurück zum Camp Bonifas.
Das Camp liegt 400 Meter außerhalb der sogenannten demilitarisierten Zone, die zwei Kilometer breit in einer Länge von 250 Kilometern quer über die koreanische Halbinsel läuft. Korporal Demeo erzählt, dass man die Spannungen zwischen den beiden koreanischen Staaten hier am wenigsten verspürt habe, denn "hier sind wir immer in Alarmbereitschaft." Eine Eskalation hat aber auch Panmunjeom betroffen: Die nordkoreanische Seite hat das rote Telefon, das beide Seiten im Ernstfall für direkte Kommunikation benützen können, stillgelegt. "Sie haben die Leitung nicht gekappt, aber es hebt auf nordkoreanischer Seite einfach niemand ab", sagt Demeo.
Sollte es jemals zum Krieg auf der koreanischen Halbinsel kommen, sind die USA eine der Konfliktparteien: Immerhin sind bis heute 28.500 US-Soldaten in Südkorea stationiert. Derzeit gibt es Diskussionen darüber, ob die Amerikaner das Oberkommando im Süden an ihre südkoreanischen Verbündeten abtreten werden. Seit den jüngsten Eskalationen haben die USA Bedenken.
Unterdessen laufen die Geschäfte im Souvenirladen ausgezeichnet: Ein T-Shirt kostet rund 10 Euro, ein Stück Grenzdraht ein wenig mehr. Panmunjeom ist ein seltsamer, beängstigender Ort.
Sonderwirtschaftszone Kaesong
Das Prestigeprojekt der "Sonnenscheinpolitik" zwischen Nord- und Südkorea ist gefährdet: Das Vereinigungsministerium in Seoul sprach am Donnerstag ein kaum verdecktes Ultimatum aus, um Nordkorea zur Wiederaufnahme der Zusammenarbeit in der Sonderwirtschaftszone Kaesong zu bewegen. Am 9. April hatte Nordkorea seine rund 53.000 Arbeitskräfte aus Kaesong abgezogen, wodurch Milliarden-Umsätze auf dem Spiel stehen. Südkorea will nun die Wiedereröffnung des Komplexes erreichen, drohte für den Fall einer Ablehnung bis zum Freitag aber mit "bedeutenden Maßnahmen". Ein dauerhafter Rückzug des Südens aus dem Industriekomplex hätte für den Norden drastische Folgen: Kaesong ist eine wichtige Einnahmequelle für die Nordkoreaner, die sonst kaum die Möglichkeit haben, an harte Devisen zu kommen. Kaesong liegt zehn Kilometer innerhalb des nordkoreanischen Territoriums. Derzeit befinden sich noch 176 der sonst 850 südkoreanischen Mitarbeiter in der Anlage. Die Sonderwirtschaftszone Kaesong wird seit 2004 betrieben und erzielt Umsätze von rund zwei Milliarden Dollar.