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Geordnete Bodennutzung

Von Christoph Braumann

Reflexionen
Die Raumplanung soll der Zersiedelung entgegenwirken, was aber nicht überall gelingt.
© Foto: Braumann

Vor sechzig Jahren wurde im Bundesland Salzburg das erste österreichische Landesgesetz zur Raumplanung verabschiedet. Seitdem wurde in diesem Bereich manches erreicht, anderes lässt zu wünschen übrig.


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Die Begriffe "Raumordnung" und "Raumplanung" sind keine österreichische Erfindung. Vielmehr wurden sie in den dreißiger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts in Deutschland für die Belange der staatlichen raumbezogenen Planung im weitesten Sinn geprägt. Im Gefolge des "Anschlusses" an das Deutsche Reich wurden sie nach 1938 auch in Österreich übernommen. Im Jahr 1953 - also vor nunmehr sechzig Jahren - befasste sich erstmals der Landtag eines österreichischen Bundeslandes mit der Schaffung eines eigenen "Raumordnungsgesetzes". Unter der Zielsetzung einer "koordinierenden Vorsorge für eine geordnete, den Gegebenheiten der Natur und dem zusammengefassten öffentlichen Interesse im Lande entsprechenden Flächennutzung" forderte damals der Salzburger Landtag die Erarbeitung entsprechender Rechtsgrundlagen.

Allerdings kannte die damals geltende Bundesverfassung, die im Wesentlichen aus dem Jahr 1920 stammte, den Begriff der "Raumordnung" noch gar nicht. Deshalb war man sich in Salzburg der kompetenzrechtlichen Situa-tion nicht sicher und befasste vorsorglich den Österreichischen Verfassungsgerichtshof (VfGh) mit der Fragestellung, ob Raumordnungsregelungen in die Kompetenz der Länder fielen. Der VfGh traf in seinem Erkenntnis vom 23. Juni 1954 eine maßgebliche Weichenstellung, denn er befand, dass " . . . die planmäßige und vorausschauende Gesamtgestaltung eines bestimmten Gebietes in Bezug auf seine Verbauung, insbesondere für Wohn- und Industriezwecke einerseits und für die Erhaltung von im wesentlichen unbebauten Flächen andererseits . . ." in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache sei.

Daraus ergab sich zugleich die Tatsache, dass der Bund in Österreich - im Gegensatz zu Deutschland oder zur Schweiz - über keine eigene Raumordnungskompetenz verfügt; eine Situation, die in Fachkreisen seither wiederholt beklagt wurde.

Vorreiter Salzburg

Aufgrund der verfassungsrechtlichen Klarstellung wurde im Jahr 1956 das Salzburger Raumordnungsgesetz beschlossen - als erstes derartiges Gesetz in Österreich. Darin wurden sowohl die Belange der kommunalen Planung (Gemeindeplanung) als auch die der überörtlichen Raumplanung (Landesplanung) geregelt. Bis alle anderen österreichischen Bundesländer diesem Schritt gefolgt waren, sollte es allerdings fast zwanzig Jahre dauern; als letztes Bundesland verabschiedete Vorarlberg im Jahr 1973 ein "Raumplanungsgesetz".

Bei allen Detailunterschieden zwischen den Regelungen in den einzelnen Bundesländern ist ihnen der grundsätzliche politische Auftrag gemeinsam, eine geordnete Nutzung und Entwicklung des Lebensraumes im Interesse des Gemeinwohls sicherzustellen. Die vorsorgliche Vermeidung von Konflikten zwischen den einzelnen Raumansprüchen ist dabei ein grundlegendes Ziel der Raumordnung; ebenso eine Verteilung der Nutzungen im Raum entsprechend ihren spezifischen Standortansprüchen. Die Sicherung und Entwicklung der natürlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebensgrundlagen zählt dafür als wichtige Voraussetzung. Insbesondere bildet auch der möglichst weitgehende Ausgleich der Lebensbedingungen der Bevölkerung ein zentrales Anliegen der Raumordnung.

Tatsächlich wurde die Rolle der Raumordnung aus Sicht der Politik und der öffentlichen Meinung lange eher als eine "unvermeidliche Einschränkung" der freien Bodennutzung gesehen. Daher nimmt es nicht wunder, dass erst Ende der achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts für sämtliche Gemeinden in Österreich Flächenwidmungspläne aufgestellt waren, in denen die zulässige Nutzung für alle Flächen - Bauland, Verkehrsfläche oder Grünland - festgelegt wurde. Örtliche Entwicklungskonzepte mit der Formulierung von längerfristigen Zielen und Maßnahmen für die räumliche Entwicklung einer Gemeinde sind zumindest in den vergangenen zwei Jahrzehnten Allgemeingut geworden.

Zusätzlich bestehen weithin Rahmenvorgaben durch Instrumente der überörtlichen Raumplanung - wenn auch in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Das "Österreichische Raumentwicklungskonzept" (ÖREK), in Kooperation von Bund und Ländern im Rahmen der "Österreichischen Raumordnungskonferenz" (ÖROK) erstellt, bildet ein gemeinsames strategisches Leitbild für die räumliche Entwicklung Österreichs.

Immerhin verdeutlichen diese kurzen Hinweise, dass Österreich im Lauf der vergangenen Jahrzehnte durchaus eine beachtliche Entwicklung der "nominellen Raumplanung" auf der Grundlage rechtlicher Regelungen erfahren hat. Weshalb sind ungeachtet dessen immer wieder Stimmen zu hören, die "Ordnung im Raum" sei mangelhaft und die Siedlungsentwicklung nicht nachhaltig? Warum äußern Kritiker, die Raumordnung habe "vieles nicht erreicht", fordern mehr "Mut zur Schönheit"; oder postulieren überhaupt ein "Versagen der Raumplanung"? Einige Thesen sollen hier in aller Kürze maßgebliche Gründe dafür erhellen.

Ein "Geburtsfehler"

Am Anfang der Bemühungen um das oben genannte erste Raumordnungsgesetz war die Wohnungsnot der Nachkriegszeit gestanden. Seitens der Salzburger Politik wurde festgestellt, dass "...infolge der zunehmenden Bautätigkeit Gemeinden und Städte bei der Beschaffung von Baugründen in zunehmendem Maße in Schwierigkeiten geraten."

Klingt das nicht auch heute wieder ziemlich vertraut? Als Abhilfe hatte man vorerst eine Rechtsgrundlage zur Grundbeschaffung für Wohn- und Siedlungszwecke durch die Gemeinden erlassen wollen. Doch der dazu befragte Österreichische Verfassungsgerichtshof hatte schon mit Erkenntnis vom 13. Oktober 1951 befunden, dass zur Erlassung eines solchen Gesetzes unter dem Kompetenztatbestand der Bodenbeschaffung und des "Volkswohnungswesens" der Bund zuständig sei. Diese Kompetenzaufteilung zwischen der Bodenbeschaffung einerseits und der Planung der Bodennutzung andererseits hat der Raumplanung aber ein zentrales Umsetzungsinstrument vorenthalten: Sie kann die zulässige Bodennutzung festlegen, hat aber keine Möglichkeit, eine tatsächliche Verwirklichung ihrer Festlegungen durchzusetzen. Zwar wurde im Land Salzburg zwischenzeitlich mit dem Raumordnungsgesetz 1992 versucht, eine verpflichtende "Vertragsraumordnung" zu verankern: Durch privatrechtliche Vereinbarungen zwischen Grundbesitzern und Gemeinde als Voraussetzung für jede Baulandausweisung sollten Grundflächen für den Wohnbau gesichert werden. Die Umsetzung war auch durchaus zielführend, doch 1999 wurde die Vertragsraumordnung in ihrer verpflichtenden Form vom Verfassungsgerichtshof als verfassungswidrig aufgehoben: Dies auch aus kompetenzrechtlichen Gründen, da den Ländern Regelungen zur Bodenbeschaffung nicht zustünden.

Wenn heute über die geringe Wirksamkeit der Raumplanung bei der Schaffung von günstigen Baulandflächen geklagt wird, darf dieser Hintergrund nicht übersehen werden.

Politik und Ökonomie

Raumplanung als gesetzliche Aufgabe der öffentlichen Hand ist immer ein Instrument der Politik. Raumbezogene Planungen erfolgen im Auftrag politischer Gre-mien, und sie werden durch deren Beschluss rechtswirksam. Schon früher wurde unterstrichen, dass zu den zentralen Aufgaben der Raumplanung die Sicherstellung des "Gemeinwohls" zählt. In den Raumordnungsgesetzen wird dies mit Formulierungen wie "Vorrang des öffentlichen Interesses vor Einzelinteressen" umschrieben.

In der Realität ergibt sich allerdings oftmals die Frage, wie dieses "öffentliche Interesse" vom "Einzelinteresse" abgegrenzt wird und wer diese Abgrenzung trifft? So kann etwa eine neue Baulandausweisung für ein Wohn- oder Gewerbegebiet auf Gemeindeebene einen Gewinn an Einwohnern oder Arbeitsplätzen und damit letzten Endes auch an Budgetmitteln versprechen. Für den zuständigen Politiker bedeutet das Projekt eines Bauträgers möglicherweise die Versorgung von Wohnungssuchenden, und damit einen potenziellen Gewinn an Wählerstimmen. Die Raumplanung ist also vielfach ein Instrument der "politischen Ökonomie". Dies verwischt zugleich den Unterschied zwischen Einzelinteressen, parteipolitischen Interessen und öffentlichen Interessen und führt dazu, dass Entscheidungen der Politik nicht immer nach fachlichen Gesichtspunkten getroffen werden.

Akzeptanzproblem

Die Nutzung des Lebensraumes, die Beurteilung seines Zustands und damit auch die Wahrnehmung seiner Probleme sind Ausdruck kultureller Werthaltungen. Als maßgebliche Aufgabe der Raumplanung ist in diesem Zusammenhang die Sicherstellung einer umweltverträglichen Raumnutzung unter Wahrung von Entwicklungschancen für nachfolgende Generationen zu sehen - geprägt wurde dafür der Begriff der "nachhaltigen Raumplanung".

Maßnahmen in diese Richtung sind etwa die Eindämmung des Flächenverbrauchs für Siedlungen, die Verringerung des motorisierten Individualverkehrs und die Forcierung des öffentlichen Nahverkehrs. Die Klimaauswirkungen, aber auch die Kosten von Standortentscheidungen können heute bereits digitale "Planungstools" mit Hilfe von Mobilitäts-, Energie- und Standortdaten nachvollziehbar darstellen.

Die "nachhaltige Raumplanung" hat damit beinahe den Charakter eines "Kategorischen Imperativs" erhalten. Aber schon dem Schöpfer dieses ethischen Prinzips, Immanuel Kant, war es klar, dass das menschliche Handeln nicht von der reinen Vernunft bestimmt wird, sondern ebenso von individuellen emotionalen Beweggründen. Der so gern zitierte "Häuslbauer" würde vermutlich im Generellen die Ziele der "nachhaltigen Raumplanung" unterschreiben. Trotzdem strebt er selbst nach einem möglichst günstigen Grundstück für ein freistehendes Einfamilienhaus im Grünen, um seine Vorstellungen von den eigenen vier Wänden, von Freiraum und Ruhe zu verwirklichen. Bedürfnisse, Werthaltungen und gesellschaftliches Prestige sind starke Motive.

Aus diesem Grund besteht oft ein paradoxer Gegensatz zwischen der Akzeptanz der "nachhaltigen Raumplanung" in der öffentlichen Meinung und dem tatsächlichen Handeln der Menschen. Welche Motivationen geweckt oder Bedürfnisse berücksichtigt werden müssten, um den einzelnen Bürger für eine nachhaltige Raumentwicklung zu gewinnen - das scheint nach wie vor eine offene Frage.

Christoph Braumann, geboren 1952, ist Referatsleiter für Landesplanung und Geographisches Informationssystem SAGIS beim Amt der Salzburger Landesregierung. Fachpublikationstätigkeit in den Bereichen Raumplanung, Raumentwicklung und historische Kartographie.