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Wiener Zeitung:Herr Rektor Winckler, wie ist es gekommen, dass die Wissenschaft zu Ihrem Beruf wurde? | Georg Winckler: Letztlich ist das schwer zu ergründen. Die Entscheidung fiel sehr früh. Schon während des Studiums habe ich mich sehr für Fragen interessiert, die ins Methodische, ins Systematische gegangen sind. Und von dorther wollte ich nicht an der Oberfläche kleben bleiben, sondern wollte Gesellschaft und Wirtschaft tiefer verstehen. Dazu kommt, dass ich immer großes Interesse an der Mathematik, am Politischen, an der Geschichte und am Englischen hatte. Und dafür bieten sich die Wirtschaftswissenschaften an.
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Was fasziniert Sie an der Wissenschaft besonders? Josef Penninger hat einmal gesagt, das Wichtigste für einen Wissenschafter ist Leidenschaft.
Ich würde nicht Leidenschaft sagen, sondern Neugier. Das Wichtigste ist Neugier. Was aber sicher dazu kommt, ist, dass man die Bedingungen verstehen muss, unter denen Erkenntnis möglich ist. Und diese Bedingungen sind gegeben durch angewandte Methoden, durch Erkenntnismethoden, durch das, worüber schon viele Generationen vor uns nachgedacht haben. Aber wichtig ist: Man muss neugierig bleiben. Für die Wirtschaftswissenschaften gilt: Man muss auch Interesse an der Wirtschaft haben, wissen wollen, was hinter den Finanzmärkten steckt. Ich habe mich sehr mit Finanzmärkten beschäftigt. Dort gibt es millionenfache Preisbildungen - was steht hinter ihnen? Gibt es Trends, die man ablesen kann? Viele interessieren sich für Finanzmärkte, um reich zu werden - das hat mich nicht so interessiert.
Als Rektor sind Sie ins Wissenschaftsmanagement eingestiegen, haben also nun nicht mehr viel Zeit für Ihr Fach. Bedauern Sie das?
Ich habe mein Leben immer sehr stark im Zusammenhang mit Lebenszyklen gesehen. Es ist so, dass ich zwischen 20 und 40 möglichst umfassend Philosophie, Mathematik und Wirtschaft verstehen wollte. Ich war damals wie ein Schwamm und habe Verschiedenstes aufgesogen, Zahlen, Theorien, Daten, alles Mögliche. Nach 40 beginnt man sich zunehmend auf bestimmte Gegenstände zu konzentrieren, man will in diesen Bereichen zu wichtigen Einsichten kommen. Und wenn man etwas älter wird, bekommt man auch zunehmend Interesse am Handeln. Das Interesse daran, das Umfeld zu verändern. Das Nur-Erkennen ist mir ein bisschen zu dürftig erschienen. Erkennen ohne Handeln, ohne Verändern zu wollen ist etwas, was letztlich unbefriedigend ist. Heute will ich Erkennen und Handeln im Universitätsmanagement verbinden.
Sie kennen nicht nur die österreichische, sondern auch die europäische Universitätslandschaft sehr gut. Wo sehen Sie Österreichs Stärken und Schwächen?
Lassen Sie mich vorweg sagen, dass ich auch die amerikanische Universitätswelt gut kenne - aus der Perspektive des Studierenden, aber auch aus der Perspektive des Professors. Meine Zeit in Amerika hat mich eigentlich zu einem Europäer gemacht. Wenn Sie in Amerika sind, dann bedauern Sie die vielen nationalen Fragmentierungen in Europa und wünschen sich, dass Europa zu einer einheitlicheren Linie kommt. Die nicht die amerikanische ist! Aber gerade, um der amerikanischen Linie etwas entgegenzusetzen, ist es wichtig, dass Europa gemeinsame Aktionslinien findet. Einer der Gründe, warum ich mich in Europa engagiert habe, ist, weil ich gesehen habe, wie klein Österreich in Europa und Europa in der Welt ist. Gemessen an der Anzahl der Universitäten, des Budgets, des Personals, vielleicht auch am Anteil des wissenschaftlichen Fortschritts insgesamt, hat Österreich in Europa nur einen Anteil von zwei Prozent, in der Welt vielleicht von einem halben Prozent. Meine Sorge ist, dass man sich in Österreich rasch der Illusion hingibt, wie gut man ist, aber solche Illusionen entstehen nur, weil man sich nicht wirklich an den vielen Wirklichkeiten außerhalb Österreichs reibt.
Konkret zu Ihrer Frage: Die Autonomie der Universitäten ist in Österreich seit dem Universitätsgesetz 2002 überdurchschnittlich hoch. Die österreichische Entwicklung hin zur Autonomie hat in Europa große Beachtung gefunden, und es freut mich, dass Finnland jüngst beschlossen hat, unser Reformmodell zu übernehmen. Die Finnen prüfen sehr kritisch, und können es sich auch leisten, sehr kritisch zu prüfen. Die Handlungsfähigkeit britischer Universitäten ist noch größer als die der österreichischen. Aber innerhalb Europas gehören österreichische Universitäten durch die Universitätsreform sicher zu jenen mit der größten Handlungsfähigkeit.
Wenn es um die Finanzierung geht, so liegen wir knapp über dem europäischen Durchschnitt. Wir waren im Durchschnitt, wir haben uns seit 2004 ein wenig hinaufbewegt, jetzt liegen wir knapp darüber. Man könnte durchaus argumentieren, dass in Österreich pro Studierendem ein Betrag von 10.000 Euro zur Finanzierung fehlt. Oder anders: Ein amerikanischer Student findet einen um 10.000 Euro besser finanzierten Studienplatz vor. In Europa sind zum Beispiel skandinavische Universitäten um 50 Prozent finanziell besser ausgestattet als Unis in Österreich.
Was die Partizipationsraten der Bevölkerung an Universitätsangeboten anlangt, so sind wir unterdurchschnittlich. Es ist uns nicht gelungen, die Universitäten für breite Bevölkerungsschichten zu öffnen. Vor allem ist es uns nicht gelungen, die Universitäten für Personen aus einkommensschwachen Schichten zu öffnen. Und das, obwohl wir freien Hochschulzugang haben.
Die Probleme liegen hier woanders: Einerseits beginnt die Differenzierung zu früh, anderseits haben wir zu langwierige und zu intransparente Studienbedingungen. Der Bologna-Prozess und das damit zusammenhängende Mehrzyklen-Studium werden hoffentlich dazu beitragen, dass Hochschulbildung für sozial schwache Gruppen leichter erreichbar wird. Das Hochschulsystem sollte insgesamt differenzierter sein.
Was halten Sie von internationalen Rankings?
Es ist wichtig, mehrere Rankings zu haben und zu schauen, was da oder dort herauskommt. Und es ist auch sehr wichtig, zu sehen, was ein Ranking genau beantwortet, ob Forschungsleistungen in den Wissenschaften, Zufriedenheit der Studierenden oder was auch immer. Aber letztlich halte ich Rankings für gut. Es gibt zum Beispiel Rankings über die meistzitierten Forscher in verschiedenen Fachbereichen. Soweit ich das für meinen und andere Fachbereiche beurteilen kann, sind die ausgezeichnet. Und die angesehenen Rankings von Shanghai Jiao Tong oder im "Times Higher Education Supplement" beruhen teilweise selbst auf Rankings, die in speziellen Bereichen der Universität gemacht wurden.
Sie haben das Universitätsgesetz 2002 erwähnt. Kann man mit diesem Gesetz wirklich gut arbeiten? Es gab diverse Konflikte im Zusammenhang mit Rektorswahlen. Sind solche Konflikte durch das neue UG vorprogrammiert oder ist es Zufall, wenn sich an einzelnen Hochschulen Senat und Universitätsrat in die Haare geraten?
Interessant ist, wie zum Beispiel die Finnen mit der Rektorswahl künftig umgehen wollen. Die konkrete gesetzliche Ausgestaltung ist dort noch nicht absehbar, aber im Gespräch mit dem Vorsitzenden der dortigen Rektorenkonferenz sowie mit Ministerien und Parlamentariern ist mir klar geworden, dass sie die österreichische Regelung nicht für gut halten, und zwar vor allem deswegen nicht, weil zwei Organe, Senat und Rat, gegeneinander zu kämpfen beginnen können. In Finnland hält man es für vorteilhafter, aus Anlass der Rektorswahl aus diesen beiden Organen ein gemeinsames Gremium zu bilden. Ansonsten läuft man Gefahr, dass sich Meinungen polarisieren. Das muss nicht sein, könnte aber sein.
Ein Rektor, der etwas in Bewegung setzen will und Weitblick hat, wird sich an seiner Uni nicht nur Freunde machen, aber auch ein Mindestmaß an Vertrauen seitens der Universitätsangehörigen brauchen. . .
Das würde ebenfalls dafür sprechen, dass man ein gemeinsames Gremium bei der Rektorsbestellung schafft. Es ist sicher wichtig, Themen, die im Senat aufkommen, ernst zu nehmen. Ebenso wichtig ist aber, zu verstehen, dass viele Argumente des Senats auf Verteidigung des Bestehenden hinauslaufen, während auf der anderen Seite der Rat oft zwei Schritte zu schnell ist. Da muss man eben die Balance finden. Wichtig ist, und das soll im Gesetz so bleiben, dass der Rektor eine doppelte Legitimation erfährt, nämlich aus der Universität durch den Senat und auch durch den Universitätsrat, der aus externen Mitgliedern besteht.
Im Grunde sehen Sie das UG 2002 als großen Fortschritt. . .
Es ist ein großer Fortschritt gegenüber früher, weil die Budget- und Personalentscheidungen jetzt innerhalb der Universität fallen. Früher war die Universität ja nur so etwas wie eine Antragsgemeinschaft. Man beschloss etwas, dann pilgerte man zum Minoritenplatz, in der Hoffnung, dass dort die Anträge akzeptiert werden. Entschieden hat das Ministerium. Die Personal- und Budgetentscheidungen fielen im Ministerium, und diese Entscheidungen waren viel autokratischer, als es jetzt in der Universität der Fall ist. Die Universitäten waren bis 2003 rechtlich gesehen wie kleine Kinder gestellt. Ihre Rechtsfähigkeit lag weit unter jener der Österreichischen Hochschülerschaft. Die ÖH war vollrechtsfähig, die Universität jedoch nur teilrechtsfähig in einer sehr fragmentierten Weise.
Außerdem muss man in einer Universität schauen, dass es zu einer Weiterentwicklung der Organisation kommt, zu Weiterentwicklungen in den Fächern. Das Problem mit dem Universitätsgesetz 1975 war, dass die Universität in ihren Strukturen zunehmend versteinerte. Die Minister Busek, Scholten und Einem haben sehr wohl Reformen versucht, aber die Universitäten haben meist mit Verweigerung reagiert.
Und das Dritte ist: Es ist sicher so, dass die Universität viel zu stark fragmentiert war. Sie hatte keine einheitliche Qualitätssicherung, sie hatte keine Forschungsstrategie, auch keine Strategie hinsichtlich der Lehre. Das waren die einzelnen Institute, die sich um diese Fragen kümmerten, aber nicht die Gesamtuniversität. Was in der UG75-Universität nicht gelang, war, eine Gesamtstrategie zu entwickeln, die aber in einem mobiler gewordenen Europa des Wissens von entscheidender Bedeutung ist. Von dort her ist es eine Verbesserung, dass wir handlungsfähigere Strukturen haben.
Weil sie die ÖH erwähnen: Die findet ja das UG 2002 nicht so toll. Die Mitbestimmung ist ihr zu wenig. Sind Studenten nicht auch Kunden? Sollte man zu ihnen nicht ein Verhältnis wie von einem Anbieter zu einem Kunden entwickeln?
Ich sehe die Studierenden nicht als Kunden. Sie sind Angehörige der Universität in dem Sinn, dass sie auch aktiv in der Lehre mitwirken. Sie sollen nicht nur Hörer sein, also aus einem Ohr bestehen, sondern sie sollen mitdenken und mithandeln. Sie sind, vor allem im fortgeschritteneren Studium, ja schon Mitforschende, die in Projekten mitarbeiten. Aber selbst wenn man sie als Kunden bezeichnet: Dann ist es zwar durchaus legitim, dass sie die Leistungen der Universität bewerten, das heißt aber dann nicht, dass sie an sämtlichen Personal- und Ressourcenentscheidungen mitwirken. Wenn ich in ein Restaurant gehe, will ich essen und nicht herumkochen.
Welche Kriterien sind maßgeblich, wenn Sie etwa neue Lehrstühle errichten oder neue Disziplinen an die Uni holen?
Das ist keine Entscheidung des Rektorats, sondern eine zentrale Frage, die im Universitätsgesetz geregelt ist. Das Rektorat macht Vorschläge, der Senat nimmt dazu Stellung, und letztlich genehmigt der Universitätsrat neue Professuren. Das ist ein ausgeklügeltes Verfahren, das nur deshalb funktioniert, weil die Fakultäten in besonderer Weise einbezogen sind, denn dort ist ja das Wissen über die Fächer vorhanden. Richtig ist, dass solche Entscheidungen an der Universität schwer zu fällen sind, weil diejenigen, die jetzt an der Universität Stellen haben, häufig ein Interesse an der Bewahrung der Fachausrichtung, genau, wie sie jetzt ist, fortgesetzt wird. Wenn sie die Fächerstruktur der Panels des European Research Council ansehen, werden Sie überrascht sein, dass Sie dort Fächer wie Physik oder Chemie nicht mehr finden, sondern Begriffe wie Materialwissenschaften, Lebenswissenschaften und andere. Es ist nicht uninteressant zu sehen, wie hier eine Dynamik der Fächer stattfindet.
Ist die heutige Form der Finanzierung der Universitäten auch in Zukunft das richtige Modell?
Geht man nach den Empfehlungen der EU-Kommission, dann müsste es eine 60- bis 70prozentige Steigerung des Uni-Budgets geben. Die jetzige Finanzierung reicht nicht für einen breiten Uni-Zugang aus. Das UG 2002 hat aber eine entscheidende Wende gebracht, denn die Strategie-Entwicklung wird seither primär den Universitäten überlassen. Meiner Meinung nach kann es nur dort gute Unis geben, wo die Strategieentwicklung in den Unis selbst vorgenommen wird. Der Staat kann zwar steuernd in die Uni-Entwicklung eingreifen und Anreize setzen, in welche Richtung es gehen soll, aber gehen muss die Uni schließlich selbst.
Glauben Sie, dass die Bedingungen für den Hochschulzugang reformiert werden müssten?
Österreich muss schon darauf achten, dass es ein Teil Europas ist. Ich kann nicht einerseits Mobilität und Qualität predigen und anderseits den Uni-Zugang nur national gestalten. Das ist eine Frage des Abwägens. Zum Beispiel gibt es an der Uni Wien auf der Psychologie jedes Wintersemester 1200 Studienplatzbewerber, und nur 480 von ihnen können wir aufnehmen - und das ist schon jenseits normaler europäischer Betreuungsrelationen. Aber ich finde nicht, dass es sinnvoll ist, in Österreich einen Numerus Clausus deutscher Art einzuführen, denn wir sollten uns nicht auf die Maturanoten verlassen. Viel eher müssen wir Studieneingangsphasen machen und am Beginn eines Studiums feststellen, ob die relevanten Fähigkeiten da sind. Wenn dem so ist, dann sollten wir die Studenten aber auch festhalten. Aber in einem Semester 1200 Anfänger in der Psychologie aufzunehmen, hat absolut keinen Sinn, dann müssten mehr als 10 Prozent der Universitätsangehörigen im Psychologiebereich arbeiten. Fächervielfalt heißt nicht, dass wir das Angebot ändern, je nachdem, wie gerade die Nachfrage ausschaut.
War es klug, sich durchwegs an der Bologna-Architektur zu orientieren?
Ja, absolut. Bei einem Ministertreffen in Berlin im Jahr 2003 hat nur die Hälfte der Teilnehmer gesagt, dass sie den Bologna-Prozess umsetzen wollen, heute sind es bereits 80 Prozent.
Sie haben unlängst scharfe Kritik am Fremdenrechtspaket 2005 geübt. . .
Es kann nicht sein, dass die Unis internationale Mobilität realisieren sollen, und dann werden die Bedingungen der Mobilität für Studenten und Wissenschafter immer schlechter und schlechter. Die Politik muss sich endlich ein genaueres Bild davon machen, wen sie will und wen nicht, und den Wissenschaftsstandort für internationale Studierende und Wissenschafter offen halten.
Zur Person
Georg Winckler ist seit 1999 Rektor der Universität Wien und seit März 2005 Vorsitzender des Dachverbandes der Europäischen Universitäten, der European University Association (EUA). Winckler wurde am 27. September 1943 in Ostrau, in der heutigen Tschechischen Republik, geboren, absolvierte von 1953 bis 1962 das neunklassige Realgymnasium in Wetzlar (Bundesrepublik Deutschland) und studierte anschließend an der Universität Wien und an der Princeton University in New Jersey (USA) Wirtschaftswissenschaften. 1968 wurde er an der Uni Wien zum Dr.rer.pol. promoviert. Neben seiner akademischen Laufbahn - er war Assistent und später Dozent an der Uni Wien, ehe er dort im September 1978 ordentlicher Universitätsprofessor für Volkswirtschaftstheorie und Volkswirtschaftspolitik wurde - arbeitete er am Institut für Wirtschaftsforschung und bei den Unternehmen Pont-à-Mousson S.A. beziehungsweise Saint Gobain S.A. in Nancy (Frankreich). Gastprofessuren führten ihn unter anderem in die Schweiz, in die Slowakei und in die USA.
Seit 2000 hatte Winckler den Vorsitz in der Österreichischen Rektorenkonferenz inne, nach der Wahl zum EUA-Präsidenten im März 2005 gab er dieses Amt ab. Im Juni 2004 wurde er Mitglied des Europäischen Forschungsbeirats. Davor war er Auslandsreferent der Universität Wien (1981 bis 1999) und Direktor des Zentrums für Internationale und Interdisziplinäre Studien (1994 bis 1999).
Im Februar 2007 wurde Winckler für eine dritte Amtszeit (bis 2011) als Rektor der Uni Wien wiedergewählt, er ist jetzt schon der am längsten amtierende Rektor der ehrwürdigen Alma Mater Rudolphina.
Seine derzeitigen fachlichen Schwerpunkten sind: Monetäre Ökonomie, Europäische Währungsintegration sowie Makroökonomie.