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Mitte Oktober hat der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ein Memo an seine hochrangigen Mitarbeiter abgeschickt, in dem er vorschlägt, dass in Fragen der Terrorbekämpfung das Pentagon, also der Hauptsitz des Verteidigungsministeriums, umgangen werden sollte. Doch während Rumsfeld das Pentagon für die Nachlässigkeiten im Kampf gegen den Terror verantwortlich machen will, eröffnet eine ehemalige Offizierin im Interview mit der "Wiener Zeitung" eine andere Perspektive. Sie beschuldigt die Neokonservativen, den Kongress, das Pentagon und das Volk in die Irre zu führen und in Wahrheit eine Schattenregierung aufzubauen.
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Die vor kurzem in Ruhestand getretene Karen Kwiatkowski, Oberstleutnant, arbeitete im Verteidigungsministerium in der Unterabteilung für Politik. "Mein Bereich war der Mittlere Osten, auf den sich die Neokonservativen konzentrieren", betont sie den Blickwinkel, der ihre Arbeit ihr bot.
Sie war in der Gruppe für Spezialpläne und Angelegenheiten im Mittleren Osten und Südasien tätig. Dort hat sie miterlebt, wie die Gruppe für Spezialpläne "die eigenen Leute im Pentagon belogen und sogar innerhalb des Ministeriums Propaganda betrieben hat".
Kwiatowski ging nach 20 Jahren Dienst am 1. Juli in den Ruhestand. Ihre letzten beide Arbeitsgänge hatte sie im Pentagon zu erledigen. Heute berichtet sie, dass "das, was diese Leute machen, die Iran-Contra Affäre wie ein Amateurschauspiel aussehen lässt. Es ist schlimmer als Iran-Contra. Es ist schlimmer als das, was in Vietnam passiert ist."
Wichtige Entscheidungen über die Nationale Sicherheit seien oft einfach ohne die "Beamten und Militärberater" des Pentagons durch politisch nominierte Angestellte, die gemeinsame Ideologien teilen, getroffen worden. Das habe zu einer Spaltung in den Arbeitsstrukturen des Pentagon geführt.
Syrien im Visier
"Eine Gruppe ausgewählter Neokonservativer innerhalb der Bush-Regierung verfolgt eine eigene Außenpolitik, die im Widerspruch zu Washingtons offizieller Linie steht", so Kwatkowski. Über den Sommer tauchten immer wieder neue Gerüchte über die Existenz einer solchen Schattenregierung auf und mit ihnen auch Spekulationen darüber, ob die Gruppe für den US-Anschlag auf einen irakischen Konvoy in Syrien Mitte Juni verantwortlich ist. "Viele in der Regierung glauben, dass dieser Angriff ein Versuch von Ideologen war, die Kooperation zwischen den USA und Syrien zu zerstören, zitierte die "New York Times" den ehemaligen hochrangigen Vertreter des militärischen Geheimdienstes (DIA), Patrick Lang.
Die sogenannten "fehlenden Geheimdienstinformationen" im Irak erklärt Kwiatkowski damit, dass es für die Strategie der Neokonservativen nicht wichtig war, "neue Informationen einzuholen", sondern nur, dass ihr "Plan bereit zur Durchführung" war. "Ihr Hauptaugenmerk lag darin, uns in den Krieg zu führen und nicht auf der Zeit danach", so Kwiatkowski und fügt überspitzt hinzu: "Um diesen ersten Schritt, die Besetzung des Irak, zu erreichen, musste der Kongress angelogen werden, um ihn an Bord zu holen." Bemerkenswert ist dabei die Verwendung der Phrase "erster Schritt".
Laut Kwiatkowski wurden Pentagon-Mitarbeiter unter Druck gesetzt, Bewertungen abzuändern. "Auf den militärischen Geheimdienst wurde Druck ausgeübt, Berichte zu verschönern. Ich habe diese Beeinflussung gesehen und auch den Bruch, den sie innerhalb des Pentagons verursacht", erzählt die ehemalige Offizierin.
Sie beschreibt ein "Nichtregierungs-Netzwerk", das außerhalb der normalen Strukturen und Abläufe arbeitet. Ein Netzwerk aus politisch eingesetzten Mitarbeitern in Schlüsselpositionen, die "dachten, sie müssten etwas tun, um in Sachen Außenpolitik und Nationaler Sicherheit etwas voranzutreiben". Mit gedämpfter Stimme gibt Kwiatkowski ihre Analyse preis: "George Bush hat keine Kontrolle. Das Land wurde entführt. Die Schlüsselstellen in der Regierung wurden ideologisch besetzt."
Im US-Fernsehen haben vor kurzem sowohl der Vorsitzende als auch ein hochrangiges Mitglied des außenpolitischen Komitees des Senats Präsident Bush dazu aufgerufen, in Sachen Neokonservative einzuschreiten. "Der Präsident muss Präsident sein", warnte der republikanische Vorsitzende Senator Richard Lugar.
Kwiatkowski beschuldigt Vizepräsident Dick Cheney und andere Kriegstreiber in der Regierung, dieses Netzwerk geschaffen zu haben, um ihre "Schattenpläne" durchführen zu können. Sie stellt fest, dass die "Politik der Neokonservativen im Verborgenen bleiben musste, denn wäre sie öffentlich verfolgt worden, hätte sie nie überlebt". "Dick Cheney hat mit Hilfe von Ahmed Chalabi und der Gruppe für Spezialpläne aus dem Pentagon Geschichten für das amerikanische Volk erfunden", fügt Kwiatkowski hinzu.
Mitte Juli veröffentlichte eine Gruppe hochrangiger früherer Geheimdienstmitarbeiter einen Brief an Präsident Bush, in dem sie Cheneys Rücktritt fordern. Die Begründung: Er habe eine Täuschungskampagne geführt, um die Invasion des Irak herbeizuführen.
Kwiatkowski beschreibt, dass einige der Ziele dieser geheimen Politik mit jenen übereinstimmen, die in den "Richtlinen zur Verteidigunsplanung" aus dem Jahr 1992 aufgelistet waren. Dieses Papier war von Dick Cheney in seiner Zeit als Verteidigungsminister in Auftrag gegeben worden. Die gleichen Ideen wurden im Bericht des "Projektes für ein neues amerikanisches Jahrhundert" (PNAC) "Der Wiederaufbau der amerikansichen Verteidigung" aus dem Jahr 2000 neu formuliert.
Bush als Staffage?
Die Neokonservativen "haben Bush seiner Macht beraubt", sagte Chalmers Johnson, die Autorität auf dem Gebiet der US-Politik und Autor des Buches "Blowback" (deutscher Titel: "Ein Imperium verfällt - Wann endet das amerikanische Jahrhundert?") gegenüber der "Wiener Zeitung". Auch er sieht Parallelen zwischen der Politik der Neokonservativen und den Ansätzen aus 1992. Zusätzlich vergleicht Johnson die derzeitige Situation mit der Periode, die den Fall des Römischen Reiches brachte. Es gäbe ähnliche Intrigen und politische Korruption.
Präsident Bush Senior hatte 1992 nach der Veröffentlichung einiger Teile der "Richtlinen zur Verteidigunsplanung" in Zeitungen eine Revision des Papieres angeordnet. Kritiker nannten das Originaldokument eine Schablone für die globale Hegemonie der USA, schärfere Gegner sahen darin Pläne zur Übernahme der Weltherrschaft durch die USA.
Es bleibt anzumerken, dass das "Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert" (PNAC) sich dem Vorschlag verschrieben hat, dass "eine amerikanische Herrschaft sowohl gut für Amerika ist als auch für die ganze Welt".
Übersetzung: Barbara Ottawa