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Täglich wiederholt sich auf den Straßen Tbilissis, der Hauptstadt Georgiens, das gleiche Schauspiel: Der Präsident begibt sich, in einer von zwei schwarzen Limousinen sitzend, zur Arbeit oder nach Hause. Begleitet wird er von einer Eskorte einfacherer Autos - das Polizeiaufgebot für diesen Zweck ist beachtlich, sogar schwere Waffen sind im Einsatz. Die Straßen werden für den normalen Autoverkehr zeitweise gesperrt: Ein Symbol öffentlicher Machtdemonstration oder ein Eingeständnis von Angst und Misstrauen dem eigenen Volk gegenüber?
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Der im April dieses Jahres wiedergewählte Eduard Schewardnadse hat bereits zwei Anschläge auf sein Leben hinter sich. Jedes Mal nutzte er diese Gelegenheit, um mit ehemali- gen Mitstreitern, die in Ungnade gefallen waren, oder politischen Gegnern abzurechnen. Ein Beispiel sind die sogenannten "Zwiadisten", Anhänger des im Oktober 1990 zum Präsidenten gewählten Zwiad Gamsachurdia, einer zentralen Figur der national orientierten, antisowjetischen und antikommunistischen Dissidentenbewegung. Weiteres Beispiel: Nach dem ersten Anschlag im Jahr 1995 wurden zahlreiche Mitstreiter der paramilitärischen "Mchedrioni" (zu deutsch: Reiter), zusammen mit ihrem Führer Dschaba Iosseliani verhaftet. Iosseliani war aus dem Gefängnis geholt worden. um nach Gamsachurdias Entmachtung "Ruhe und Ordnung" wiederherzustellen.
Schewardnadse verdankt Comeback dem Putsch '91
Eduard Schewardnadse würde nur zu gerne verschleiern, dass er sein politisches Comeback den Ereignissen des Militärputsches Ende 1991 verdankt, der Gamsachurdias ehemaligen Mitstreiter Tengis Kitowani, neben Tengis Sigua und Dschaba losseliani, kurzfristig an die Macht beförderte. Schewardnadse kam im März 1992 nach Georgien, um den Vorsitz im interimistischen Staatsrat zu übernehmen.
Die Zeit bis zu den Wahlen im Oktober ist als "gesetzlose Zeit" in die Geschichte Georgiens eingegangen, in der bewaffnete Banden wie die "Mchedrioni" ungestraft ihr Unwesen treiben und ein Klima von Angst und Chaos schaffen konnten, das jeglichen Oppositionswillen ersticken sollte. Auch die sogenannten "Strafexpeditionen" zur Unterwerfung der abtrünnigen Abchasen im Nordwesten des Landes gehen hauptsäch- lich auf das Konto der "Mcherioni", die seit dem Einmarsch von Kitowanis Nationalgarde in Sochumi im August 1992 ihren Aggressionen freien Lauf ließen. Der kürzlich aus dem Exil nach Georgien heimgekehrte stellvertretende Vorsitzende des Parlaments unter Gamsachurdia, Nemo Burtschuladse, spricht davon, dass der Krieg in Abchasien dazu benutzt wurde, Gamsachurdia und seine Anhänger, die sich nach Sugdidi, der Hauptstadt Megreliens nahe der abchasischen Grenze zurückgezogen hatten, aufzureiben. Gamsachurdias Familie stammt aus dieser Region die traditionell antizenitralistisch eingestellt ist. Hier war der Rückhalt für den vertriebenen Präsidenten unter der Bevölkerung besonders stark. Tatsächlich konnte die "Befriedung" der Kriegsgebiete nicht ohne russische Hilfe und nicht ohne den Preis des Beitritts zur GUS erreicht werden.
Menschenrechtsverletzungen vom Westen ignoriert
Den westlichen Ländern, die den Dissidenten Gamsachurdia anfangs unterstützt hatten, missfiel bald sein nationalistischer Kurs, sein autoritärer Führungsstil und vermutlich auch sein Unabhängigkeitswille Russland wie dem Westen gegenüber. Der politische Wechsel wurde daher sowohl von Deutschland als auch von den USA begrüßt. Bereits im Mai 1992, noch vor den Wahlen, reiste US-Außenminister Baker nach Tbilissi, um am Platz der Republik öffentlich seine Gratulation zum "demokratischen" Wandel auszuspre- chen. Dabei überhörte er geflissentlich, dass etwa einen halben Kilometer entfernt auf Demonstranten geschossen wurde. Von Schewardnadse ist der Außenministerbesuch als Zeichen seiner Stärke zelebriert worden - und als Warnung an seine Gegner. Sie wurde verstanden: Ab diesem Zeitpunkt gab es kaum mehr Straßenunruhen. Der Westen drückt nach wie vor beide Augen zu. Grobe Verletzungen der Menschenrechte werden mitunter damit entschuldigt, das sich die Demokratie eben erst im Aufbau befinde. Die Existenz politischer Gefange- ner wurde lange Zeit ignoriert, gemäß Schewardnadses Diktion, dass es in Georgien keine politischen Gefangenen, sondern nur "Zwiadisten" gäbe. Dass diese "Zwiadisten" allerdings jahrelang aufgrund ihrer politischen Gesinnung festgehalten und in den Gefängnissen, die für ihre menschenunwürdigen Bedingungen bekannt sind, schlimmsten Misshandlungen ausgesetzt waren, wurde nicht selten übersehen.
Die "nationale Versöhnung", die sich Schewardnadse auf seine Fahnen heftet, hat in diesem Zusammenhang nicht mehr als Ankündigungscharakter. Als im Frühjahr 1998 vier UNO-Mitarbeiter vor einem "Zwiadisten" als Geiseln festgehalten wurden, um unter anderem die Freilassung der politischen Gefangenen einzuforein, wurde ein kurzfristiger "Dialog" begonnen, der allerdings bald zum Stillstand kam.
Nachdem die Geiselnahme mit Hilfe Burtschuladses, der zu diesem Zweck kurzzeitig nach Georgien einreisen durfte, ohne Zwischenfälle beendet werden konnte, wurde der Geiselnehmer Esebua kurz darauf getötet, obwohl seine Straflosigkeit vereinbart worden war.
Im April dieses Jahres, zur Zeit der Präsidentschaftswahl, kamen auf grund eines "Gnadenaktes" achtundsechzig politische Gefangene frei; etwa ebenso viele befinden sich noch in Haft. Die "Zwiadisten" wehren sich dagegen, die Amnestie als Gnadenakt zu bezeichnen, da die Festnahmen ihrer Ansicht nach ungesetzlich waren. Zumindest interpretieren sie die Anerkennung des "Zentrums für politische Gefangene und Exilanten" als Geständnis der Regierung, dass es sehr wohl politische Gefangene in Georgien gibt. Das "Zentrum" bemüht sich momentan um die Freilassung der verbliebenen politischen Gefangenen, und arbeitet an der Veröffentlichung von Mängeln in der Prozessführung.
Korruption und schwacher Staat
Doch die Regierung Schewardadse ist nicht nur bei ihren Gegnern unbeliebt. Auch jene, die sie gewählt haben, stehen ihr häufig kritisch gegenüber. Das Dilemma, so lauten viele Stimmen, liegt in der mangelnden Alternative zu Schewardnadse. Die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Georgiens liegen im Argen. Eines der größten Probleme besteht in der Korruption, die die gesamte Gesellschaft durchdringt und die Regierung mittels Anti-Korruptions-Programmen bekämpfen will. Experten sehen diesbezüglich aber keinen ernstzunehmenden politischen Willen. Der Staat hat sich als unfähig erwiesen, rechtzeitig Gehälter und Pensionen auszuzahlen. Alterspensionen zum Beispiel betragen etwa sieben Dollar monatlich - wenig genug. Dennoch stürzt die üblicherweise verspätete oder ganz ausbleibende Auszahlung die Familien in eine schwere Krise. Sogar offizielle Quellen sprechen davon, dass heutzutage etwa sechzig Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze lebt.
Ein weiteres, ungelöstes Problem für die georgische Gesellschaft sind die Flüchtlinge, hauptsächlich Georgier aus dem Abchasienkrieg. Nach der Eskalation des Krieges im Jahr 1993 und der Vertreibung von etwa 200.000 Georgiern aus Abchasien, sind viele gezwungen, ihr Überleben auf jede erdenkliche Weise zu sichern.
Dazu zählt zum Beispiel jegliche Art kleinsten Handels, der mittlerweile vom Straßenbild Tbilissis nicht mehr wegzudenken ist. Die Rückkehr dieser Flüchtlinge, (in Georgien "Intern Vertriebene" genannt, um die Zugehörigkeit Abchasiens zu Georgien zu betonen) ist eine politische Streitfrage, die genauso wie die Frage des politischen Status Abchasiens einer Lösung harrt. Diese ist aber nicht in Sicht. Der de facto Verlust Abchasiens ist eine offene Wunde in Georgiens nationalem Bewusstsein, und die politische Führung in Tbilissi verfolgt die Strategie, nicht am Status quo zu rütteln und die Gemüter neu zu erhitzen. Gibt es doch nicht wenige, die nach einem neuen Krieg gegen Abchasien rufen. Dass der Konflikt auf diese Art gelöst werden kann, ist unwahrscheinlich. Dementsprechend pessimistisch klingen Stimmen aus den Flüchtlingsorganisationen. Eine Lösung, so meinen manche, könnte es erst nach Schwardnadse geben.
Auch im Umgang mit anderen nationalen Minderheiten tut man sich in Georgien schwer. Der Konflikt mit den Südosseten existiert nach wie vor. Zu sehr ist der Krieg Anfang der 90er Jahre in Erinnerung geblieben, in dem beinahe jede Familie in Südossetien einen Toten zu beklagen hatte und viele zur Flucht gezwungen wurden. Heute wird den Südosseten der (inoffizielle) Status einer "nationalen Minderheit" zugestanden. Ossetisch, das nicht zu den kaukasischen Sprachen zählt, soll aber im Unterschied zum Abchasischen nicht als Staatssprache anerkannt werden. Man schätzt, dass etwa ein Drittel der georgischen Bevölkerung zu den nationalen Minderheiten zählen; neben den Osseten und Abchasen leben Armenier, Azeris, Russen, Kurden, Griechen und andere in Georgien. Den größeren Minderheiten wird zwar das Recht auf eigene Schulen eingeräumt, angesichts der staatlichen Defizite im Bereich der Bildung lässt die Realisierung aber oft auf sich warten.
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Gertraud Hödl ist Mitarbeiterin der Helsinki Federation/Research Federation.