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Georgien verkündet einseitig Waffenruhe

Von WZ Online

Politik

30.000 Flüchtlinge in Nordossetien. | Tausende Tote in den Kampfgebieten. | Tiflis. Georgien hat nach russischen Angaben eine sofortige einseitige Waffenruhe verkündet. Laut dem Sicherheitschef Georgiens, Alexander Lomaja, seien alle Soldaten aus Südossetien abgezogen. Zuvor hatten georgische Regierungsvertreter mitgeteilt, man habe sich wegen schwerer russischer Angriffe aus der südossetischen Hauptstadt Zchinwali zurückziehen müssen. Offenbar hat Russland am Sonntag weitere Ziele in Georgien aus der Luft angegriffen, erstmals auch im Bereich der Hauptstadt Tiflis.


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Lomaja sagte, Russland habe bisher 15 Städte in Georgien bombardiert. "Wir haben es hier mit einer totalen russischen Aggression und Invasion zu tun - zu Land, zu Luft und zu See." Zudem hätten russische Militärschiffe hätten den größten georgischen Frachthafen Poti blockiert. Drei Schiffe mit Treibstoff und Getreide seien von den Russen abgewiesen worden. Das georgische Militär sei nicht besiegt und kämpfe weiter, um neue Vorstöße Russlands zu verhindern. Mit sieben Kriegsschiffen im Schwarzen Meer habe Russland weitere Versorgungskanäle lahmgelegt. Zudem habe Moskau mit sechs Luftangriffen versucht, die BTC-Pipeline als einzige nichtrussische Ölleitung nach Europa zu zerstören.

Der stellvertretende russische Außenminister Grigori Karasin hielten dagegen, russische Kriegsschiffe hätten nicht vor, Öllieferungen nach Poti zu blockieren. Russland behalte sich jedoch das Recht vor, eintreffende und auslaufende Schiffe anzuhalten und zu durchsuchen.

Den georgischen Abzug aus Südossetien hat der russische Generalstab bestätigt. Die südossetische Hauptstadt Zchinwali werde weitgehend von russischen Truppen kontrolliert, sagte General Anatoli Nagowizyn am Sonntag in Moskau. "Die Lage ist diese: Wir bestätigen den Rückzug der georgischen Einheiten. Die georgische Seite hat damit begonnen, ihre Truppen aus Zchinwali abzuziehen."

In den Trümmern der weitgehend zerstörten südossetischen Hauptstadt harrten tausende Zivilisten aus. Augenzeugen berichteten im Tagesverlauf von vereinzeltem Beschuss. Nach unbestätigten Angaben aus Moskau starben bisher mehr als 2000 Menschen.

Die moskautreuen Machthaber in der international nicht anerkannten Republik Abchasien am Schwarzen Meer riefen die Mobilmachung ihrer Truppen aus. Abchasische Streitkräfte rückten im Landkreis Gali gegen georgische Stellungen vor, wie das abchasische Militär nach Angaben der Agentur Interfax mitteilte. Etwa 100 Kilometer nördlich von Gali griffen Kampfbomber den von Georgien kontrollierten oberen Teil des Kodori-Tals an.

Russland schickte am Sonntag Dutzende weitere Panzer, Militärtransporter und mobile Geschütze nach Südossetien. In dem Separatistengebiet seien mittlerweile 10.000 russische Soldaten sowie 300 Panzer stationiert, meldete der georgische Fernsehsender Rustawi2.

Bei den Gefechten in Südossetien wurde der Oberkommandierende der russischen Truppen, General Anatoli Chrulew, verletzt. Der Kommandeur der 58. Armee sei nach Artilleriebeschuss mit Splitterverletzungen in ein Krankenhaus in Russland gebracht worden, teilte der Generalstab in Moskau am Sonntag nach Angaben der Agentur Interfax mit.

Russische Kampfbomber griffen erneut Ziele in Zentralgeorgien an. Georgische Medien berichteten, dass ein Militärflugplatz nahe der Hauptstadt Tiflis getroffen worden sei. Georgiens Parlamentsvorsitzender David Bakradse beschuldigte Russland, sein Land erobern zu wollen. In Moskau sicherte der russische Präsident Dmitri Medwedew den Menschen in Südossetien eine umfassende Wiederaufbauhilfe zu.

Mehr als 30.000 Menschen sind ins benachbarte Nordossetien geflohen. Die südossetische Führung sprach von einer humanitären Katastrophe. Russland und Georgien wollen laut Medienberichten zwei Hilfskorridore einrichten, über die Verletzte und Flüchtlinge aus Südossetien gebracht werden sollen. Unter Berufung auf die russische Armee berichtete die Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Sonntag, dass eine entsprechende Einigung zwischen Moskau und Tiflis erzielt worden sei. Georgische und ossetische Flüchtlinge sollen über die Korridore demnach aus der Krisenregion in den Norden nach Russland oder in den Süden nach Georgien gebracht werden.

Das UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR forderte die Konfliktparteien auf, Hilfsorganisationen in die Krisenregion zu lassen. Es sei wichtig, dass die Helfer zu den "betroffenen und vertriebenen" Menschen gelassen würden, sagte Hochkommissar Antonio Guterres in Genf. Beide Seiten müssten "humanitäre Prinzipien respektieren und den Schutz und die Sicherheit der Zivilisten gewährleisten".

Europäische Union vermittelt

Die Europäische Union bemühte sich unterdessen um eine Beilegung des Konflikts. Der finnische Außenminister Alexander Stubb reiste am Sonntag nach Paris, um von dort aus zusammen mit seinem französischen Kollegen Bernard Kouchner nach Georgien zu fliegen. Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, auf dessen Initiative die Vermittlungsmission zurückgeht, forderte am Samstag im Namen der EU einen sofortigen Waffenstillstand im Kaukasus. Frankreich hat derzeit die EU-Präsidentschaft inne.

Die Krise in der von Georgien abtrünnigen Region Südossetien soll Sarkozy zufolge in drei Schritten beigelegt werden: Waffenstillstand, Respektierung der territorialen Unversehrtheit Georgiens und Rückzug aller Truppen auf die Stellungen vor dem Ausbruch der Kämpfe. In Kürze soll es eine Sitzung der EU-Außenminister zur Lage im Kaukasus geben. Auch die Einberufung einer Dringlichkeitssitzung des Europäischen Rats wollte Sarkozy nicht ausschließen.

Der finnische Außenminister Stubb will von Georgien aus nach Moskau weiterreisen, um sich auch dort für eine Lösung des Konflikts einzusetzen, wie sein Ministerium mitteilte. Finnland führt zurzeit den Vorsitz in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).

Die USA warnten Moskau vor einer weiteren "unverhältnismäßigen und gefährlichen Eskalation". Andernfalls werde dies "bedeutsame langfristige" Auswirkungen auf die US-russischen Beziehungen haben, sagte der stellvertretende nationale Sicherheitsberater des Weißen Hauses, James Jeffrey, am Sonntag in Peking. Sollten sich die Meldungen über einen georgischen Rückzug aus Südossetien bestätigen, stelle dies einen "Schlüsseltest" für die wahren Interessen Russlands dar.

Papst Benedikt XVI. rief zu einem umgehenden Ende der Kämpfe auf. Das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche forderte die internationale Gemeinschaft am Sonntag auf, bei der Suche nach einer friedlichen Lösung des Konflikts über Georgiens abtrünnige Provinz Südossetien zu helfen. Er sei zutiefst bedrückt, dass es durch die Kämpfe bereits viele unschuldige Opfer gegeben habe und viele Menschen in die Flucht getrieben wurden. (APA)

AUA streicht Flüge nach Tiflis

Angesichts der schweren Kämpfe um die von Georgien abtrünnige Region Südossetien haben die Austrian Airlines ihre Flüge in die georgische Hauptstadt Tiflis (Tbilisi) am Sonntag und am Montag gestrichen. Wie AUA-Pressesprecher Michael Braun am Samstag mitteilte, sehe die AUA die Sicherheit von Passagieren und Crew angesichts der derzeitigen politischen Lage nicht gewährleistet. Deshalb sei auch schon der AUA-Flug nach Tiflis am Freitagabend kurzfristig storniert worden.

Am Montag werde über das weitere Vorgehen beraten, sagte der Sprecher. Die Austrian Airlines fliegen laut Braun am Montag, Mittwoch, Freitag und Sonntag jeweils um 22.25 Uhr in die georgische Hauptstadt (Flugnummer OS 653). Auf der AUA-Homepage wurden am Samstagnachmittag die gestrichenen Flüge vom Sonntag und Montag als "ausgebucht" angezeigt.

Das österreichische Außenministerium hatte am Freitag eine Reisewarnung für das gesamte Staatsgebiet Georgiens ausgegeben. Österreicher, die sich derzeit in Georgien aufhalten, wurden ersucht, sich unverzüglich mit dem österreichischen Honorarkonsulat in Tiflis, der österreichischen Vertretungsbehörde in Moskau oder der nächstgelegenen Vertretung eines EU-Mitgliedstaates in Verbindung zu setzen.