Zum Hauptinhalt springen

Georgiens europäischer Weg auf dem Prüfstand

Von Philipp Brugner

Gastkommentare

Der Besuch einer russischen Delegation löste die jüngsten Demonstrationen im Land aus - doch es geht um mehr.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In Georgien wird seit einer Woche protestiert - doch die Proteste richten sich gegen mehr als nur die Ansprache eines russischen Politikers im georgischen Parlament. Vielmehr geht es um die schleichende Annäherung des Landes an einen eigentlichen Feind durch die Regierungspartei Georgischer Traum.

Die Ereignisse sind soweit bekannt - am Abend des 20. auf den 21. Juni kam es zu tumultartigen Szenen vor dem georgischen Parlament, das von Demonstranten auch kurzzeitig gestürmt wurde. Auch wenn der Protest mittlerweile in seinem Umfang abnahm (in den ersten Tagen mobilisierten sich noch mehrere tausend Menschen), dauert er bis zum heutigen Tag an. Laut aktuellem Stand wurden bereits mehr als 250 Menschen verletzt, einige davon schwer. Bemerkenswert dabei ist die Intensität im Vorgehen der georgischen Polizei, die Tränengas, Schlagstöcke und Gummigeschosse einsetzt. Unter den dadurch Verletzten befinden sich auch ausländische Journalisten. Ursprung der Ereignisse war der Besuch einer russischen Delegation unter Leitung des russischen Politikers und Duma-Abgeordneten Sergey Gavrilov im georgischen Parlament. Gavrilov kam in seiner Funktion als aktueller Vorsitzender einer interparlamentarischen Versammlung zwischen christlich-orthodoxen Ländern und adressierte die Abgeordneten vom Podium des Parlaments, und das noch dazu in russischer Sprache - ein Schlag ins Gesicht der georgischen Bevölkerung. Wegen des Befehls zur Polizeigewalt fordern die Demonstranten weiterhin den Rücktritt des Innenministers - bisher erfolglos. Zurückgetreten ist aber der Parlamentspräsident, der hauptverantwortlich für die Einladung des russischen Besuches war. Die russische Delegation reiste nach Unterbrechung der Parlamentssitzung unter Polizeischutz übrigens vorzeitig ab.

Internationale Solidarität

Als direkte Folge lässt der russische Präsident Wladimir Putin ab 8. Juli alle Flüge russischer Fluglinien nach Georgien einstellen und hat seine Regierung angewiesen, für die Heimholung aller sich in Georgien befindlichen russischen Staatsbürger zu sorgen. Diese seien, so seine Sichtweise, "direkter Provokation ausgesetzt und in Gefahr". Putin weiß genau, dass er mit dem Flugverbot eine neuralgische Stelle der georgischen Wirtschaft trifft - Besuche russischer Gäste bescheren dem georgischen Tourismus seit Jahren einen Höhenflug.

Liest man sich gleichzeitig etwas mehr in die internationale Medienlandschaft ein und beobachtet die Reaktionen in den Sozialen Medien, sieht man eine nie dagewesene Solidarität mit Georgiens Bevölkerung. Auf Facebook und Twitter ging die Kampagne "World welcome to Georgia" viral, in der dazu eingeladen wird, den Sommer in einem der "schönsten und gastfreundlichsten Länder dieser Erde" zu verbringen. Auslandsbotschafter von EU-Staaten und der USA in Georgien sowie der ukrainische Präsident haben die Kampagne geteilt und von ihren persönlichen Reise-Highlights im Land berichtet. Bisher haben mehr als 45.000 Personen auf change.org eine aus der russischen Zivilgesellschaft initiierte Petition zur Rücknahme des Flugverbotes unterschrieben.

Die Hintergründe der Proteste

Um die Dimension der Proteste besser zu verstehen, muss man die Hintergründe dieses ereignisreichen Besuchs kennen. Beginnen wir mit dem Jahr 2012 und der georgischen Parlamentswahl. Damals hatte noch der schillernde Mikhael Saakaschwili als Staatspräsident und Vorsitzender der liberalen Vereinten Nationalen Bewegung das Sagen im Land. Doch sein durchaus autoritärer Führungsstil, umstrittene politische Reformprojekte und regelmäßig auftretende Gewaltübergriffe seitens (korrupter) Polizisten gegenüber der Zivilbevölkerung wurden ihm letztlich zum Verhängnis. Die Wahl brachte eine absolute Mehrheit für die aus einer Bürgerbewegung entstandene und vom georgischen Milliardär Bidsina Iwanischwili finanzierte Oppositionspartei Georgischer Traum. Mit der Losung, eine neue Epoche einleiten zu wollen, kam die Partei 2012 mit viel Zuspruch aus der Bevölkerung in die Regierung.

Sieben Jahre - inklusive einer weiteren Parlamentswahl 2016 (mit erneuter Mehrheit für den Georgischen Traum) - später scheint das Vertrauen nun aufgebraucht zu sein. Das hat verschiedene Gründe. Einer davon ist der folgenschwere russische Besuch, der vom Georgischen Traum organisiert wurde. Es geht aber auch um Verstrickungen Iwanischwilis mit der russischen Wirtschaftselite, deren Wohlwollen er braucht, um seine Geschäfte mit dem großen Nachbarn abwickeln zu können. Für einen Parteichef, der dem Land einen unabhängigen und transparenten Weg in die Zukunft versprochen hat, ist das eine ganz schiefe Optik. Auch die orthodoxe Kirche übt im eigentlich säkularen Land nach wie vor zu viel Einfluss auf die Politik aus (der georgische Patriarch hat den Besuch übrigens auch mitorganisiert). Und das Gewaltpotenzial der Polizei ist offensichtlich nach wie vor ein Problem - obwohl Iwanschwili 2012 mit dessen Bekämpfung argumentierte.

Politisches Vakuum vor Wahl

2020 wird in Georgien erneut gewählt. Entgegen der Lesart vieler, dass es sich im Moment nur um zivilgesellschaftliche Proteste gegen die herrschenden Zustände handle, sind die parteipolitischen Implikationen unverkennbar. Natürlich, tausende Georgier machen von ihrem Recht Gebrauch und gehen auf die Straße. Aufgerufen dazu wurden sie aber auch aus der Ukraine, wo Saakaschwili gerade im Exil lebt. Man sagt ihm nach, die Vereinte Nationale Bewegung nach wie vor zu steuern, obwohl mit Grigol Vashadze formell ein anderer die Partei führt.

Aufgrund der seit 2012 immer bekannter werdenden Verbindungen Iwanischwilis nach Moskau glauben immer weniger Georgier daran, dass der Georgische Traum den Europa-Kurs ihres Landes fest in Händen halten wird - ganz im Gegenteil, sie fürchten die zunehmende Anbiederung an einen eigentlichen Feind, der seit dem Krieg 2008 mit Südossetien und Abchasien noch dazu zwei georgische Gebiete militärisch besetzt hält und als eigene Staaten anerkennt. Saakaschwilis Partei nutzt dieses Vakuum geschickt aus und platziert sich vor der Wahl als die logische Alternative. Im Gegensatz zum russischen Weg Iwanischwilis verspricht Saakaschwili, den europäischen Weg des Landes weiter zu gehen. Die Politik, die er einst gemacht hat, ist vergessen. In der Zwischenzeit hat er genug Auslandserfahrung gesammelt (unter anderem war er in den USA, beriet den ukrainischen Präsidenten in dessen Reformkurs und war 2015/2016 Gouverneur der Oblast Odessa in der Ukraine), mit der er bei der Bevölkerung punkten kann. Saakaschwili möchte 2020 als starke politische Figur unbedingt in sein Land zurückkehren.

Die dieser Tage international wahrgenommenen Proteste in Georgien sind eine erste Reaktion auf einen symbolträchtigen Besuch. Vor allem aber sind sie eine bereits lange schwelende Antwort auf eine sieben Jahre dauernde Politik, die sich mit dem europäischen Reformkurs des Landes nicht immer leicht tut. Mit einem Reformkurs nämlich, der innerhalb der Zivilgesellschaft definitiv unumstritten ist und auch internationales Lob erfährt (unter den sechs Ländern der Östlichen Partnerschaft der EU gilt das Land als Musterschüler - Assoziierungsabkommen, vertiefter Freihandel und Visa-Liberalisierung sind in Kraft), jedoch innerhalb der aktuellen Regierungspartei weiterhin gegen andere Interessen aufgewogen wird.

Im Herbst plant das Land Steiermark eine Veranstaltung zum Thema "Steiermark - Europa - Östliche Partnerschaft" in Graz, bei der Philipp Brugner zum Thema sprechen wird.