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Nigeria kommt in Österreichs Medien meist nur in Negativ-Schlagzeilen vor. Unter "Nigeria-Connection" wurden Betrugsversuche bekannt, bei denen per E-Mail millionenschwere Provisionen versprochen wurden. Aus Nigeria stammen angeblich die meisten der Drogendealer auf Wiens Straßen. Und jetzt soll das geplagte westafrikanische Land auch noch für den jüngsten Anstieg des Ölpreises zumindest mitverantwortlich sein.
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Zwar werden Experten nicht müde, auch das Spekulantentum an den Börsen für den hohen Ölpreis verantwortlich zu machen. Einen Angebotsengpass gibt es nämlich nicht, sondern bloß die öffentliche Wahrnehmung eines Engpasses, wie jüngst OPEC-Analystin Claude Clemenz erläuterte. Diese von Angst geprägte Wahrnehmung machen sich wiederum Spekulanten zunutze. Einen der Beiträge zu dem so genannten "fear factor", der sich aus den verschiedensten geopolitischen Spannungen nährt, liefert zur Zeit eben Nigeria.
Dass der Angstfaktor hier zum Tragen kommt, ist kein Wunder: Das Land ist der größte Erdölexporteur Afrikas und der fünftgrößte Produzent unter den OPEC-Staaten (Organisation Erdöl exportierender Länder). 2,5 Mio. Barrel werden täglich gefördert. Das ölreiche Niger-Delta deckt zehn Prozent des US-amerikanischen Rohölbedarfs ab. Die Exporteinnahmen des Staates kommen denn auch zu 95 Prozent aus dem Erdöl.
Die Bevölkerung hat indes wenig davon: 70 Prozent leben unter der Armutsgrenze. In den Fördergebieten müssen die Menschen überdies mit der Umweltzerstörung durch lecke Pipelines leben. Acker- und Weideland gehen dadurch verloren, das Wasser wird vergiftet, die Fische sterben. Die Gesundheit der Bewohner des Niger-Deltas hat sich signifikant verschlechtert, berichtet Friends of the Earth Nigeria.
Ölkonzerne beschuldigt
Verantwortlich dafür werden die großen Ölkonzerne gemacht, in deren Hand die Förderung liegt, allen voran Shell. Die Firma selbst hat zugegeben, dass allein im Jahr 2002 rund 2.700 Tonnen Öl in die Umwelt flossen. Schon während der Zeit der Militärdiktatur, die 1999 endete, bildeten sich Protestbewegungen, die die Beteiligung der lokalen Bevölkerung an den Gewinnen und einen Stopp der Umweltverschmutzung forderte. Einer ihrer prominentesten Aktivisten, der Schriftsteller Ken Saro-Wiwa, wurde von einem Sondertribunal unter fadenscheinigen Anklagen verurteilt und zusammen mit acht Mitstreitern am 10. November 1995 trotz internationaler Proteste hingerichtet. Shell wird von dem im Delta ansässigen Volksstamm der Ogoni, für den sich Saro-Wiwa eingesetzt hatte, bis heute die Schuld dafür wie auch für die damaligen Militäraktionen gegeben.
Korrupte Umweltsünder
Der Konzern hat seither sein schlechtes Image zu ändern versucht. Er gab nach eigenen Angaben 100 Mio. US-Dollar für Entwicklungsprojekte in ausgewählten Gemeinden aus und versuchte, mit den Einheimischen stärker in Dialog zu treten. Doch die Konflikte verschärfen sich weiter. Es liegt nicht an der Geschäftspolitik des Ölmultis, versicherte ein Konzernsprecher, räumte aber ein, dass es den Delta-Bewohnern egal sei, ob die Probleme von der Shell-Führung oder von Angestellten verursacht würden.
Die allgemeine Korruption, die die Verwaltung lähmt, greift nämlich auch auf Angestellte von Shell oder Subunternehmen über. Sie schüren Auseinandersetzungen, um dadurch in die eigene Tasche wirtschaften zu können. So kommt eine vom Konzern in Auftrag gegebene Expertise der Beratungsfirma WAC Global Services zu dem Ergebnis: "Das Verhalten von Shell und seinen Angestellten trägt zu Konflikten bei und verschärft sie." Als Beispiel genannt wird auch die Art, wie Shell Verträge vergibt, sich Zugang zu Land verschafft oder wie mit lokalen Repräsentanten umgegangen wird.
Die Einsicht von Sprecher und Studie schlägt sich allerdings nicht wirklich in der aktuellen Handlungsweise des Konzerns nieder. Erst vor kurzem schaltete er Anzeigen in den örtlichen Tageszeitungen, in dem er die Verantwortung für die Umweltschäden ablehnte und sie auf Sabotage zurückführte. Er reagierte damit auf den Beschluss des Senats des nigerianischen Parlamentes, dass der Konzern 1,25 Mio. Dollar für angerichtete Schäden bezahlen müsse. Das Parlament hat allerdings keine Möglichkeiten, diese Forderung durchzusetzen.
Diese Gegensätze führten vor wenigen Wochen zu einem neuen Ausbruch der Gewalt, der in die Drohung der Rebellen mündete, ab 1. Oktober Ölförderanlagen anzugreifen. Shell hat daraufhin eine seiner Anlagen geschlossen, auch andere Ölfirmen zogen ihr Mitarbeiter zurück.
Waffen mit Öl bezahlt
Zu solchen Angriffen wären die Milizen durchaus imstande, haben doch auch sie vom Ölgeschäft profitiert. Jeden Tag verschwinden rund acht Millionen Liter Rohöl aus den nigerianischen Pipelines, knapp sieben Prozent der täglichen Fördermenge. Mit dem Erlös aus dem abgezapften Öl konnten sich die Milizen schwer bewaffnen, um gegen das Militär, aber auch gegeneinander um territoriale Kontrolle zu kämpfen. Die rivalisierenden Rebellen vertreten jeweils andere ethnische Gruppierungen.
Kürzlich wurde zwischen der "Freiwilligenarmee des Nigerianischen Deltavolkes" und der Niger-Delta-Bürgerwehr allerdings nicht nur ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, sondern auch positiv auf ein Friedensangebot der Regierung reagiert. Der Ölpreis sank kurzfristig. Mittlerweile erreicht er aber neue Rekordhöhen, wobei neben anderen "Angstfaktoren" auch wieder Nigeria eine Rolle spielt: Gestern begann ein für vier Tage anberaumter Generalstreik, der sich diesmal gegen die jüngsten Energiepreiserhöhungen - Benzin wurde im letzten Monat um 25 Prozent teurer - richtet.
Die Konflikte schwelen also weiter, und angesichts dessen kann man die Haltbarkeit der Waffenruhe bezweifeln. Einer Autonomie, wie sie der Führer der "Freiwilligenarmee", Mujahid Dokubo-Asari, anstrebt, stünden wohl die Interessen des ganzen, von der Ölproduktion abhängigen Landes entgegen.
Dokubo-Asari vom Volk der Ijaws beruft sich gerne auf den hingerichteten Vorkämpfer Saro-Wiwa. Dieser hatte im Schlusswort seines Prozesses erklärt: "In meiner unerschütterlichen Überzeugung rufe ich das Volk der Ogoni, die Völker des Niger-Deltas und die unterdrückten Minderheiten Nigerias auf, sich zu erheben und furchtlos und friedlich für ihre Rechte zu kämpfen". Von friedlichem Kampf wird wohl weiterhin nicht viel zu spüren sein.