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Geplatzte Lebensträume

Von Sophia Killinger

Wirtschaft

Fast jeder dritte überschuldete ehemalige Selbständige war vor der Gründung arbeitslos.


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Wien. Vom Arbeitslosen zum eigenen Chef und wieder zurück in die Arbeitslosigkeit - viele häufen auf diesem Weg hohe Schulden an. Seit der Einführung des AMS-Gründungsprogramms 1998 ist die Zahl der Arbeitslosen, die sich selbständig machen, deutlich gestiegen. Mittlerweile werden 14 Prozent der Unternehmen von Arbeitslosen gegründet. Unter den gescheiterten Selbständigen bei den Schuldenberatungen waren 31 Prozent vorher AMS-Kunden, wie eine Langzeituntersuchung der Dachorganisation ASB Schuldnerberatungen ergeben hat. 2003 waren es noch 20 Prozent.

"Es platzt ein Lebenstraum. Viele wursteln mit der Hoffnung auf Besserung weiter, bis die Schulden so hoch sind, dass man sie nicht mehr mit einem normalen Arbeitseinkommen oder einem Leben am Existenzminimum zurückzahlen kann", sagt Hans W. Grohs, Geschäftsführer von ASB Schuldnerberatungen. Ehemalige Selbständige sind mit im Durchschnitt 101.000 Euro höher verschuldet als der durchschnittliche Schuldner mit 66.910 Euro.

Gründer aus der Not

"Aus einer Notlage heraus gründen ist nicht der richtige Ansatz", meint Grohs. Vielen würden die Kompetenzen für die Führung eines Unternehmens fehlen. "Nicht jeder eignet sich als Unternehmer", sagt auch Beate Sprenger, Sprecherin des Arbeitsmarktservice (AMS). Daher werde beim Unternehmensgründungsprogramm "sehr hart selektiert, welche Geschäftsideen sich eignen, um die Zahl der Gescheiterten möglichst klein zu halten". Weder dem AMS noch dem Kunden sei gedient, wenn Arbeitslose nach einer gescheiterten Selbständigkeit zum AMS zurückkehren. Pro Jahr stehen 5000 Plätze im Gründungsprogramm zur Verfügung.

"Viele Gründer prüfen die Marktfähigkeit ihrer Idee zu wenig", sagt Bettina Fuhrmann, Professorin für Wirtschaftspädagogik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Laut Sprenger muss die Geschäftsidee vom AMS-Kunden kommen und deren Chance wird mit einem Unternehmensberater abgetestet. Know-how können sich die Teilnehmer in geförderten Kursen aneignen.

"Das zweite Jahr ist das kritischste Jahr für Gründer, immer mehr scheitern aber schon im ersten Jahr", sagt Grohs. Dass ehemals arbeitslose Gründer insgesamt häufiger oder früher scheitern, lässt sich allerdings nicht an den Zahlen ablesen: Ein Viertel zieht in den ersten drei Jahren die Reißleine, 36 Prozent in den ersten fünf Jahren. Das sind etwas weniger als unter allen Gründungen, bei denen 40 Prozent die ersten fünf Jahre nicht überleben.

Auffallend ist laut Grohs, dass sich der Anteil der ehemals selbständigen Schuldner über 50 Jahren seit 2003 von 20 Prozent auf 38 Prozent im Jahr 2013 fast verdoppelt hat. Beim AMS werden die Gründer laut Sprenger hingegen nicht älter - im Durchschnitt machen sich Teilnehmer des AMS-Programms mit 38 Jahren selbständig.

Wissenslücken über Finanzen

Beim Beenden der unternehmerischen Tätigkeit hilft nun erstmals die Schuldenberatung Salzburg in einem Pilotprojekt: "Viele Selbständige hören einfach auf und informieren Sozialversicherung und Finanzamt nicht. Dann erhalten sie weiter Zahlungen vorgeschrieben", sagt Peter T. Niederreiter, Geschäftsführer der Schuldenberatung Salzburg. Heuer will man in dem Bundesland - finanziert von der Wirtschaftskammer - 50 ehemalige Gründer bei Behördenwegen und beim Ausfüllen von Formularen unterstützen.

Insgesamt gibt jeder fünfte Schuldner gescheiterte Selbständigkeit als Grund für seine Überschuldung an, laut den Statuten sind Schuldnerberatungen aber nicht für Unternehmer zuständig.

Fuhrmann sieht die Ursache von Überschuldung häufig in mangelnder Finanzbildung: "Viele wissen nicht, dass Umsatz nicht mit Gewinn gleichzusetzen ist." 41 Prozent der fast 60.000 Klienten der Schuldnerberatung haben nur die Pflichtschule abgeschlossen. In Interviews mit Jugendlichen hätten sich Wissenslücken gezeigt, etwa was Inflation und Zinseszins bedeuten. Beispielsweise sahen manche Jugendliche Geldausborgen von Freunden nicht als Schulden, "weil man das Geld ja fix zurückzahlt".