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Gerald Matt

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Reflexionen

Gerald Matt, Direktor der Wiener Kunsthalle, über den Wettbewerb der Wiener Museen, die Provokationskraft moderner Kunst - und sein Interesse an der Führung eines Bundesmuseums.


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Wiener Zeitung: Herr Direktor Matt, die vor 15 Jahren eröffnete Kunsthalle ist im Bewusstsein der Öffentlichkeit eng mit Ihnen verbunden. Ist Ihre Beziehung zu diesem Haus eine Erfolgsgeschichte?Gerald Matt: Das müssen andere beurteilen; vor zwei Jahrzehnten jedenfalls gab es enorme Widerstände gegen das Projekt, heute nennt uns die "New York Times" "ein Mekka für zeitgenössische Kunst", und "Arte" zählt uns zu den fünf wichtigsten Häusern in Europa - und dies neben einem Centre Pompidou und einer Tate. Über zwei Millionen Besucher haben gezeigt, dass man auch für zeitgenössische Kunst in der Traditionsstadt Wien ein Publikum gewinnen kann.

Als Berater von Stadträtin Ursula Pasterk war ich von Anfang an dabei. Von ihrer Konsequenz und ihrem Mut, ihrem Einsatz für zeitgenössische Kunst bin ich heute noch tief beeindruckt.

Ging mit der Kunsthalle für Sie ein Traum in Erfüllung?

Ja, als Student ging ich am liebsten ins "Zwanzgerhaus" und dachte mir: Ich möchte einmal Direktor eines solchen Museums sein. Ich wollte mit Kunst und Künstlern leben. Und da war vor allem meine Neugier und der Wunsch, die Welt mit und über die Kunst zu entdecken und zu erfahren.

Hat das Ihre Entscheidung, bis 2014 Kunsthallendirektor zu bleiben, beeinflusst?

Ja natürlich - die Kunsthalle ist für mich so etwas wie ein eigenes Kind. Da gab es kein gemachtes Nest; wir haben drei Mal gebaut, am Karlsplatz und im Museumsquartier, das Haus mit einem internationalen zeitgenössischen Programm klar positioniert - und, wie ich meine, aus einem unsicheren Provisorium ein nicht mehr wegzudenkendes kulturelles Biotop für die Stadt gemacht.

Gab es bei der Kunsthallenplanung Anknüpfungspunkte in Wien?

Ja und nein, einerseits musste die Halle "neu erfunden" werden, andererseits basiert sie auch auf den Erfahrungen der Festwochenausstellungen. Mit dem Architekten Krischanitz entstand eine Schachtel für die Kunst, ein Raum für Möglichkeiten, keine Architektur um ihrer selbst Willen. Ein Konzept, das wir jetzt sogar nach Berlin exportieren konnten. Krischanitz baut die Kunsthalle am Schlossplatz und ich wurde eingeladen, die Eröffnungsausstellung zu machen.

Die ersten Veranstaltungen der Kunsthalle waren Festwochenausstellungen . . .

Nein, die Kunsthalle ist aus diesen Ausstellungen hervorgegangen, in Form eines Recyclings wurde die Innenarchitektur von Krischanitz für "Die Natur in der Kunst" zur provisorischen Schachtel. War das Haus anfangs ein Ort für internationale Wanderausstellungen, also Kraut und Rüben, von der klassischen Moderne bis zum Zeitgenössischen, so war mein Ziel, die Kunsthalle klar als Haus für internationale zeitgenössische Kunst zu positionieren; keinen Durchlauferhitzer, sondern einen Ort des Know how, der Produktion von Ausstellungen und des Exports von Ideen zu schaffen.

Der Wettbewerb zwischen den Museen nimmt zu - und daraus erwuchs eine neue Verantwortung in der Ausstellungspolitik.

An der Wiener Museumslandschaft problematisch ist jene Kombination einer an sich gutzuheißenden Privatisierung mit der Absenz eines auf inhaltlicher Kompetenzverteilung basierenden Museumskonzeptes. Fatale Konsequenz: Vier Rubensausstellungen zur selben Zeit! Die Devise lautet Quote um jeden Preis, von Chagall bis Picasso und retour. Kurzum: mehr Häuser, mehr Ausstellungen, weniger Vielfalt, weniger Spannung.

Da galt es für die Kunsthalle ein klares zeitgenössisches Profil zu entwickeln, neue Ideen ins Spiel zu bringen, unerwartete Namen zu präsentieren, Themen schräg anzudenken; Kunst dem Diktat von Sektflöte und Seitenblicken auch als gesellschaftspolitisches Medium gegenüber zu stellen.

Sie gelten als Kandidat für eines der Bundesmuseen. Werden Sie sich dafür bewerben?

Ich gehöre - wie etwa auch Max Hollein - einer Generation an, die eine andere Ausbildung als unsere Vorgänger hat. Wir haben Wirtschaft und Kunstgeschichte studiert. Gerade deswegen kann ich all diese kapitalistischen Phrasen von Kunstpseudoökonomen nicht mehr hören. Die Kunst geht vor.

Ist da ein Nein zu einem Museumsdirektorjob herauszuhören?

Keineswegs. Wichtig war mir die Kunsthalle zu einem bedeutenden zeitgenössischen Institut zu machen, das auch Lebenswelten und Lebensfragen von Menschen thematisiert, etwa mit Ausstellungen wie "Televisions", "Superstars" oder "True Romance". Da ging es mir nicht darum, Bourdieu zu zitieren, Distinktionsgewinne für eine schmale Geldkunstelite zu erwirtschaften, sondern den kulturellen Mehrwert mit vielen zu teilen, d.h. Priorität für Kunstvermittlung. Ich denke auch, dass die Kunsthalle aufgrund ihrer straffen privatwirtschaftlichen Organisation bei gleichzeitig über Leistungsvereinbarung garantierter öffentlicher Finanzierung ein Modell für Reformen in der staatlichen Museumslandschaft sein könnte.

Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, auch in ein Museum zu wechseln, allerdings nur mit Pouvoir für inhaltliche und strukturelle Reformen. So sehe ich ein Museum heute nicht nur als einen Verwalter der Vergangenheit, sondern auch als Spiegel gegenwärtiger, kultureller, sozialer und politischer Befindlichkeiten.

Was gehört denn Ihrer Meinung nach verbessert?

Darüber denkt ja jetzt eine Kommission nach. Ich warte gespannt auf deren Ergebnisse. Ich denke, dass die Lösungen im Großen und Ganzen dahin zielen müssen, klare inhaltliche und wirtschaftliche Leistungsvereinbarungen zwischen Häusern und dem Subventionsgeber zu erstellen, bei einem gleichzeitigen Mehr an Autonomie und Verantwortung. In diesem Zusammenhang warne ich davor, Koordinierungsprobleme zwischen den Museen durch stärkere Zentralisierung lösen zu wollen, sprich vor einem "Holding"-Placebo. Da gilt, dass große Konzerne mehr Kosten und Overheads, aber keine Synergien einbringen, und gleichzeitig zu wenig Flexibilität und eine zu große Distanz zur Kunst haben.

Wie wichtig sind Ausstellungskooperationen?

Jede unserer Ausstellungen basiert letztlich auf Kooperation, da wir über keine eigene Sammlung verfügen. Wir können nur mit gutem Konzept und mit internationaler Reputation überzeugen. Dass das gelingt, beweisen die herausragenden Leihgaben für die Edward Hopper-Ausstellung aus Amerika. Was Kooperationen vor Ort betrifft, ging es etwa mit dem Kunstforum darum, die jeweiligen Publikumsschichten zu erweitern. International haben wir u. a. mit der Zacheta Galerie, dem Centre Pompidou oder der Tate zusammen gearbeitet. Derartige Kooperationen reduzieren die Kosten und lassen Economy of ScaleEffekte einfahren - vom gemeinsamen Katalog über Transport bis hin zu einer Zusammenführung von Know how und Erweiterung des Publikums. Letztlich ein partnerschaftliches Miteinander als eine Alternative zur McDonaldisierung der Museumswelt, wie sie das Guggenheim repräsentiert.

Ihre Projekte beschäftigen sich oft mit Grenzgängen zwischen bildender Kunst, Theater und Musik.

Für die jüngere Künstlergeneration ist das Medienübergreifende selbstverständlich geworden. Zeichnung und Video stehen nebeneinander, Bildhauer spiegeln die Dreidimensionalität und den Ewigkeitscharakter der Skulptur in zweidimensionalen Fotos und im Film, Performance wird als bildhauerischer Akt im Raum betrachtet. Denken Sie nur etwa an einen Künstler wie Matthew Barney.

*Gerade Themenausstellungen haben einen großen Stellenwert in der Kunsthalle.

Themenausstellungen gewinnen ein Publikum, das sonst nicht in Ausstellungen von zeitgenössischer Kunst ginge. Zu unserer Ausstellung über die E-Gitarre in der Kunst kamen drei Generationen von Besuchern. Das reicht vom pensionierten Elvis-Fan bis zu seinem Enkerl, das wissen wollte, wie es um die Magie des elektrifizierten Rock bestellt ist. "Barocke Party" zum Beispiel wollte zeigen, dass sich gewisse Vanitas-Gefühle oder die berühmte Sentenz "Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben" auch in zeitgenössischen Kunst-Haltungen wiederfinden lassen. Allerdings mit zeitgenössischen Darstellungsmitteln und aus einer völlig anderen existenziellen Perspektive.

Wie weit in Ihren Ausstellungen werden außereuropäische Blickwinkel berücksichtigt?

Wir versuchen die Welt als ein Gefüge der multiplen Zentren zu begreifen, wo auch außerhalb der G 8-Zone bedeutende ästhetische Setzungen und markante künstlerische Interventionen stattfinden. Zum Teil ist diese Kunst viel radikaler und wagemutiger als das, was man in den Top-Museen sehen kann.

Wir haben als eines der ersten zeitgenössischen Häuser Kunst aus Afrika, Asien und Lateinamerika gezeigt. Es geht einfach darum, nicht in einer Art postkolonialer Selbstüberhebung an diese Werke heranzugehen, sondern sie auf Augenhöhe mit den großen Namen aus den Metropolen zu präsentieren.

Finden die öffentlichen Kontroversen vor politischen Ausstellungen mit Absicht statt?

Man muss Themen behandeln, die unter den Nägeln brennen, eine Agora für zeitgenössische Problemlagen der Gesellschaft sein. Feridun Zaimoglus Fassadenbespielung der Kunsthalle mit einem Meer von türkischen Fahnen hat der Debatte um Integration und EUBeitritt der Türkei seine visuelle Metapher geliefert.

Das ist mir persönlich wichtig: Kunst sollte nicht nur in der geschützten Werkstatt des Museumsraumes stattfinden, wo sie zu den Konvertierten predigt, sondern die Menschen im öffentlichen Raum richtig anspringen, zu Reaktionen zwingen und sie dazu bringen, ihre Vorurteile und begriffslosen Klischeevorstellungen zu überdenken.

Die Kunsthalle hat kürzlich einen Ikonoklasmus wegen des Kopftuchs einer nackten Mädchengestalt von Olaf Metzel erlebt. Wird die gestürzte Skulptur noch einmal aufgestellt?

Metzel will genau das, was ich gerade beschrieben habe: den öffentlichen Raum als Debattenforum nutzen - und dabei geht es ihm nicht um das Klischee der erotischen Orientalin, sondern um Grundfragen zwischen Staat und Religion, Feminismus und Fundamentalismus. Und um die Frage des Selbstbestimmungsrechts der Frau in einer religiösen Kultur, aber auch in der kapitalistischen Gesellschaft, wo der Körper schamlos vermarktet wird. Sehr differenziert zeigt die derzeitige Schau "Mahrem", dass das Tragen oder Nichttragen des Schleiers in verschiedenen Kontexten eine Widerstandshaltung sein kann. Damit hat die Skulptur als Auslöser einer Debatte bereits ihren Zweck erfüllt.

Als Kurator beschäftigen Sie sich auch mit Männlichkeitsmythen wie Dandytum, Don Juan-Komplex oder Sebastian als Künstlermärtyrer. Ist die selbstironisch reflektierte Männlichkeit zeitgemäß?

Mich interessiert daran nicht das Männliche, sondern das Mythische: Wie sich in bestimmten, zum Klischee gewordenen Figuren gesellschaftliche Fragestellungen artikulieren und individuelle und kollektive Selbstgewissheit erschüttert werden. Bohemien und Dandy bilden, nach Arnold Hauser, die zwei Seiten der Subversion gegenüber einer zweckrational orientierten Gesellschaft. Es geht um das subversiv-ironische Potential künstlerischer Haltungen. Sebastian ist kein zu Tode diskutierter Märtyrer, sondern steht für den Künstler als exemplarisch Leidenden. Modifiziert geht es bei Sebastian um die Ironisierung des männlichen Schönheitscodes, um das Künstlerinteresse an homosexueller Ästhetik bis zur Zerstörung des bürgerlichen Künstlerbildes.

Don Juan zeigt die männliche Projektion, die gerade von Frauen als bemitleidenswert entlarvt wird. Der heutige Don Juan muss sich bei einer Partnerschaftsagentur bewerben, so schaut die Wirklichkeit aus! Kunst hat dank ihrer subversiven Kraft Ironie freigelegt. Und nichts tut mehr weh, als das Lächerlichmachen von dummen, festgefahrenen Traditionen.

Oft hat man das Gefühl, dass Sie selbst in die Rolle Ihrer Themen schlüpfen, gewissermaßen als Werbeträger für die Kunsthalle!

"All the World´s a stage" hat Shakespeare geschrieben. Und in diesem Sinne bin ich wie jeder andere ein öffentlicher Darsteller meiner Obsessionen. Aber die Kunsthalle ist nicht mein Privattheater, in dem ich das Drama meiner Existenz aufführe, sondern ein Haus, in dem viel diskutiert wird und kollektiv über Themen und Programme entschieden wird.

Was ist dran an den Gerüchten über einen Umzug der Kunsthalle?

Das ist Unsinn trotz der Kunstfeindlichkeit der Museumsquartier-Betreibergesellschaft mit ihrer enormen Bürokratie. Uns schweben Lösungen vor, die Fischer von Erlach-Spangen gemeinsam mit dem Mumok zu bespielen. Die Donauplatte allerdings wäre ein falsches Signal. Zeitgenössische Kunst gehört ins Zentrum einer Gesellschaft.

Gibt es keine Bespielung der Höfe mehr, wie etwa im Begleitprogramm von "Das unmögliche Theater"?

Der Hofbereich ist ein Problem: Hier sollte man der Kunst und ihrer Öffentlichkeitswirkung vertrauen und nicht hochsubventionierte Glühweinbuden und Eisstockbahnen hinstellen. Gelegentlich sind diese potthässlichen Gastro-Architekturen so hoch, dass man die Ausstellungsplakate nicht mehr sehen kann. Kunst wird durch Kommerz bekämpft. So etwas nennt man normalerweise Schildbürgerstreich.

Woher holen Sie sich Ihre Inspirationen?

Ausstellungen, Künstlerkontakte, Reisen, Romane, theoretische Abhandlungen, Fahrpläne und Hotelführer.

Im Übrigen bringt jeder Tag Neues in mein Leben, und in dem, was widerständig ist und sich nicht aus dem Bewusstsein drängen lässt, kann vielleicht der Keim zu einer Ausstellungsidee stecken.

Gerald Matt wurde 1958 in Hard (Vorarlberg) geboren, studierte Rechtswissenschaften, Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte. Von 1992 bis 1995 war er kulturpolitischer Berater der Wiener Stadträtin für Kultur, Ursula Pasterk. Seit 1996 ist er Direktor und Kurator der Kunsthalle Wien.Seit 2002 ist Matt auch Lektor am Institut für Kulturmanagement (IKM) an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Seit 2007 ist er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats und Kurator der Kunsthalle Berlin, Lektor am Institut für strategische Unternehmensführung an der Universität Innsbruck, sowie Gastprofessor an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und Dozent am CIAM, dem Zentrum für Internationales Kunstmanagement in Köln.Publikationen: "Kultur und Geld. Das Museum - ein Unternehmen. Ein praxisorientierter Leitfaden" (2001), "Kommentare zu Kunst, Kultur und Politik" (2006); Herausgeber der Bände "Interviews 1 - Gespräche mit 40 Künstlern von Shirin Neshat bis Anri Sala" (2006) und "Interviews 2 - Gespräche mit 42 Künstlern von Matthew Barney bis Louise Bourgeois" (2007).