Seit vorgestern Nachmittag werden in Brüssel die designierten zehn neuen Kommissionsmitglieder ins Kreuzverhör genommen. Die Fragen stellen die EU-Parlamentarier. Doch was wie eine Prüfung inszeniert ist, täuscht. Denn die künftigen Kommissare sind auf die meisten Fragen von den EU-Referenten bestens vorbereitet worden, sodass vor dem Beantworten der Fragen nicht einmal mehr nachgedacht werden muss. Kein Terminus technicus, kein EU-Kürzel, das fremd ist. Minutenlang wird in einwandfreiem Englisch oder Französisch auf die Fragen geantwortet, ohne tatsächlich auf diese einzugehen.
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Das meiste sind unverbindliche, gut klingende Floskeln - wie "über das Thema Armut gibt es eine Menge Bücher und Studien, wir müssen uns wieder diesem Thema widmen", meint etwa Polens Kommissarin Danuta Hübner. "Bildung ist einer der wichtigsten Impulse für die Wirtschaft", so Dalia Grybauskaite aus Litauen. "Für ein Mitglied der Kommission ist es wichtig, dass konzentriert gearbeitet werden kann", findet Janez Potocnik, der junge Kommissar aus Slowenien. "Die neuen Mitglieder werden der EU gut vorbereitet beitreten", erklärt Pavel Telicka, der Amtsanwärter aus Tschechien. Die Diskussion dümpelt zumeist dahin, manchmal gibt es kritische Einwürfe, doch diese werden auf elegante Weise abgeschmettert.
Die Kommissare sind zwar schon designiert, und sie werden mit 1. Mai ihr Amt antreten und zwar an der Seite der bisher amtierenden. Das Problem dabei ist jedoch: Noch steht nicht fest, mit welchem Ressort sie in der neuen Kommission betraut werden und ob sie überhaupt in dieser vertreten sind.
Diplomatisches Hearing
Dementsprechend vorsichtig sind die Antworten. Kaum einer traut sich, beim Hearing Stellung zu beziehen. Als Beobachter hat man den Eindruck, dass hier Diplomaten und nicht Politiker am Wort sind. Wollten die Abgeordneten etwas über die Schwachstellen in der Kommission erfahren, so war naiv, wer auf eine ehrliche Beurteilung hoffte. Denn keiner der neuen will es sich mit den künftigen Kollegen verscherzen, bevor noch der Kuchen verteilt wurde. Die neuen Kommissare beteuern durchgehend, dass es wichtig sei, die Europäische Union und die Bedeutung der Erweiterung den Menschen näher zu bringen. Das Manko wird also sehr wohl erkannt - doch auch die neuen lassen wenig Hoffnung, dass sich an diesem Zustand bald etwas ändern wird. Das Fazit der Veranstaltung: Jeder, der sich in der Schnupperrunde nicht deklarieren musste, hat damit seine Chancen auf ein attraktives Amt erhöht - dies dürfte zumindest die Erwartung gewesen sein.
Parlament als Filmkulisse
Bei der Anhörung von Danuta Hübner wurde der Sitzungssaal des EU-Parlaments auch als Filmkulisse benutzt: Die Pornodarstellerin Dolly Buster stürzte in den Saal, setzte sich Kopfhörer auf und ließ sich dabei filmen. Die deutsche Staatsbürgerin wird, wie berichtet, bei der EU-Wahl für Tschechien kandidieren. Interesse an den Themen hatte sie nicht, denn sobald der Dreh vorbei war, sprang sie wieder auf und verließ die Veranstaltung. Buster ist absolut zuversichtlich, EU-Abgeordnete zu werden. Die Umfragen würden ihr allergrößte Chancen prophezeien, erklärte sie auf Anfrage der "Wiener Zeitung".