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Gerechtigkeit, eine Tochter der politischen Opportunitäten

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Wenn internationale Konzerne in Europa nur minimalistische Steuern zahlen, so ist jene politische Klasse schuld, die sich darüber nun auch noch empört.


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Dass die Linzer Voest ein international höchst erfolgreicher Konzern ist, erfreut nicht zuletzt jene rund 22.000 österreichischen Mitarbeiter des Unternehmens, die zusammen mehr als zehn Prozent der Aktien des multinationalen Unternehmens im Wert von knapp 500 Millionen Euro besitzen und so fröhlich an dessen satten Erträgen partizipieren können.

Würde freilich Konzernchef Wolfgang Eder heuer in den USA oder einem anderen wichtigen Markt der Voest damit beginnen, freiwillig mehr an Steuern und Abgaben zu entrichten, als dort gesetzlich vorgeschrieben sind, müsste er sich vermutlich Fragen nach seiner mentalen Gesundheit gefallen lassen - wenn nicht gar juristische Konsequenzen dafür gewärtigen, dass er das Eigentum seiner Aktionäre und Mitarbeiter ohne Not verschenkt.

Man muss kein Nobelpreisträger in internationalem Steuerrecht sein, um diesen Zusammenhang nachvollziehbar zu finden. Um so eigenartiger riecht freilich jener Empörungssturm, der über der EU hängt, seit im Frühjahr publik geworden ist, dass US-Konzerne wie Apple oder Starbucks genau das tun, was auch ihre Aktionäre mit Recht von ihnen verlangen: nämlich sich penibel an die geltenden Steuergesetze zu halten und dabei nicht mehr an gewinnmindernden Abgaben zu zahlen, als innerhalb dieser Gesetze notwendig ist. Auch die zehntausenden Apple-Mitarbeiteraktionäre hätten vermutlich wenig Verständnis dafür, wenn das Unternehmen irgendwelchen europäischen Regierungen Geld in den Rachen wirft, ohne dazu im Geringsten verpflichtet zu sein.

Es ist daher eher scheinheilig, wenn nun Apple & Co von den allesamt verschuldeten und dementsprechend an zusätzlichen Steuern interessierten europäischen Politikern zumindest implizit denunziert werden als eine Art geldgeiler Steuerhinterzieher. "Wir können nicht akzeptieren, dass europäische oder nicht-europäische Unternehmen mit heute legalen Methoden der Besteuerung entgehen", gab Frankreichs Staatschef François Hollande den gesamteuropäischen Ton der Kapitalisten-Hatz vor. Dass weder Starbucks noch Apple diese "legalen Methoden" des europäischen Steuerrechts beschlossen haben, sondern im Wesentlichen christdemokratische wie sozialistische Politiker in ganz Europa, erwähnte Hollande bei dieser Gelegenheit freilich nicht.

Man mag es ja für falsch halten, dass Google oder Amazon in Europa einen geringeren Teil ihres Einkommens an den Staat abführen müssen als ihre deutschen oder österreichischen Angestellten - aber verantwortlich dafür sind ausschließlich jene Politiker, die nun scheinheilig beklagen, dass Unternehmen sich "legaler Methoden" bedienen.

Sehr wenig zu hören war von der Politik übrigens in letzter Zeit von der Bekämpfung jenes Steuerbetruges, der üblicherweise als "Pfusch" oder gar "Nachbarschaftshilfe" bagatellisiert, allein hierzulande einen Schaden von drei bis vier Milliarden Euro jährlich anrichtet, die dem Fiskus entzogen werden. Und zwar nicht mithilfe "legaler Methoden", sondern ganz schlicht illegal. Aber "Gerechtigkeit" ist, noch dazu in Vorwahlzeiten, wohl eine Tochter der politischen Opportunitäten, ganz besonders, wenn es um Steuern geht.

ortner@wienerzeitung.at